Chronik von Eden. D.J. Franzen

Chronik von Eden - D.J. Franzen


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Auf seiner Zunge spürte er einen intensiv blauen Geschmack.

      Blauer Geschmack?

      Gehirnerschütterung.

      Das musste es sein. Niemand konnte einen blauen Geschmack auf der Zunge haben. Erinnerungen wehten als Nebelfetzen durch sein Denken, wollten die Sicht auf die vagen Schatten dahinter nicht freigeben. Dann die jähe Erkenntnis.

      Er war unterwegs!

      Er war angefallen worden!

      Ein entsetztes Wimmern kroch seinen Hals empor, ein Laut der Angst, den schon seine Vorfahren in der Steinzeit von sich gegeben haben mussten, wenn ihnen ein Säbelzahntiger über den Weg gelaufen war. So schnell er konnte rappelte er sich auf die Knie, die wässrige Schwere seiner Arme und Beine ignorierend, die Zwerge in seinem Kopf verfluchend. War er etwa jetzt einer von ihnen? Fühlte man sich so, wenn man reanimiert worden war?

      »Hübsch langsam, mein Freund«, erklang eine helle Stimme neben ihm. Langsam drehte er den Kopf und sah im Dämmerlicht zwei schlanke Beine in dunklen Hosen und abgewetzten Lederstiefeln. Sein Blick wanderte langsam höher. Eine schmale Taille, darüber ein ebenfalls schwarzes T-Shirt, das oberhalb eines flachen Bauches eindeutig gut gefüllt war. Zwischen der üppigen Füllung des Shirts glotzte ihn das dunkle Auge seiner eigenen Maschinenpistole an.

      »Wenn du kotzen willst, dann mach es jetzt und hier. Oben sind zwar Toiletten, aber die Spülkästen sind leer.«

      Aus einer dichten Mähne feuerroten Haares blitzten zwei katzengrüne Augen auf. Sommersprossen tanzten auf milchig blasser Haut um eine gerümpfte Nase.

      »Ich bin keiner von denen.« Frank erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. »Könntest du also bitte das Ding in irgendeine andere Richtung halten?«

      »Wenn du einer von denen wärst, wäre dein Gehirn gerade auf dem Weg in einen geostationären Orbit.«

      »Und warum dann das da?« Frank deutete betont langsam auf die Waffe. Nur keine falsche Hektik an den Tag legen!

      »Du könntest ein Plünderer sein.«

      »Plünderer? Ich? Ich bin ein Überlebender auf der Suche nach Ausrüstung und Essen.«

      Die Rothaarige nickte.

      »Sag ich doch. Ein Plünderer. Wo sind deine Kumpane?«

      »Ich habe keine Kumpane. Ich bin alleine.«

      Die Frau schien nicht sonderlich überzeugt zu sein. Langsam trat sie einen Schritt zurück, die Waffe immer noch auf Franks Kopf gerichtet.

      »Und was sollte das Open Air da draußen? Wolltest du von diesen Dingern etwa Eintritt verlangen?«

      »Nein. Ich habe festgestellt, dass sie vor allem auf Geräusche und Bewegung reagieren. Geräusche scheinen aber einen größeren Reiz auf sie auszuüben. Deswegen die Musik. Ich wollte sie ablenken.«

      Ein leises Lachen.

      »Und da hattest du nix besseres im Repertoire, als diese dünnbrüstige Einkaufsmucke? Nix Härteres? AC/DC oder Iron Maiden vielleicht?«

      »Es war eines der Lieblingslieder meiner Mutter.«

      »Oh!«

      »Darf ich aufstehen?«

      Die Frau zögerte. Dann nickte sie und ließ die Waffe sinken. Nur ein wenig, aber immerhin ein Anfang. Frank stand auf und verzog das Gesicht. Die Zwerge in seinem Kopf legten eine Extraschicht ein.

      »Ich bin Frank. Frank Martinsen.«

      »Sandra.«

      Frank neigte fragend den Kopf.

      »Einfach nur Sandra?«

      »Willst du mich etwa heiraten und machst dir Sorgen um deinen neuen Nachnamen?«

      »Nein, nat...«

      »Also«, fuhr ihm Sandra ins Wort. »Ich Sandra, du Frank. Ende der Vorstellung.«

      Frank sah sie jetzt etwas besser, obwohl das Licht, das durch die Fenster einfiel, nur sehr schwach war. Sandra schien höchstens Mitte zwanzig zu sein, und hatte eine verdammt aufregende Figur. Erst jetzt bemerkte er, dass sie immer noch im Hausflur der ehemaligen Berufsschule waren. Draußen wurde es allmählich dunkel und …

      Dunkel?

      Wo war die Musik?

      »Wie lange war ich weg?«

      »Gut und gerne vier bis fünf Stunden. Warum?«

      »Wann ist die Musik ausgegangen?«

      »Zehn Minuten, nachdem ich dir einen technischen Knock-out verpasst habe. Ich habe das Gedudel beendet.«

      Frank schluckte.

      »Wie?«

      Sandra grinste schief und hob die Waffe leicht an.

      »Scheiße!«, rief Frank. »Wie sollen wir hier ohne Probleme rauskommen? Hast du darüber mal nachgedacht?«

      »Hast du mal darüber nachgedacht, dass du nicht der Einzige auf der Suche nach Futter bist? Deine Scheißmusik konnte man bis auf die andere Rheinseite hören. Bist wohl doch ein Plünderer, und wolltest deine Kumpel herlotsen!«

      Die Waffe ruckte wieder hoch. Frank hob langsam die Hände.

      »Sandra, ich bin kein Plünderer. Ich habe ein Haus in Ostheim. Vor diesem ganzen Mist habe ich es so gut es ging gesichert, eine dicke Solaranlage auf dem Dach und im Keller drei verfluchte Batterien, die den Geist aufgegeben haben. Meine Tiefkühltruhen sind aufgetaut. Deswegen bin ich hier. Ich suche Vorräte, um diese ganze Sache irgendwie zu überstehen.«

      »Ah ja. Und deine beiden Zimmerflaks hatte der Aldi letzten Monat im Angebot, nicht wahr? Ach nein! Das war ja der Baumarkt, der die Dinger plötzlich in seinem Sortiment führte.«

      Frank atmete tief durch. Adrenalin pumpte heißkalt durch seine Adern. Ein unangenehmes Kribbeln hatte sich in seinem Bauch festgesetzt.

      »Die Waffen habe ich einem Polizisten abgenommen.« Sandra hob die Augenbrauen, senkte die Waffe aber nicht. »Er war schon tot. Oder untot. Wie auch immer.«

      »Aha. Hast du ihm denn was von Roger Whittaker vorgeträllert, oder hast du lieber zu einem Hit von James Last gegriffen, damit du an ihn rankommen konntest?«

      »Weder noch. Er torkelte stundenlang um mein Haus herum. Sein rechter Arm war …« Frank schluckte, bevor er fortfuhr.

      »Ich habe mich von einem Fenster aus auf die Lauer gelegt, und ihm mit einer Druckluftnagelpistole eine in den Schädel verpasst.«

      »Du hast ihn also festgenagelt?«

      »So ungefähr. Ja.«

      Langsam sank die Mündung der Maschinenpistole nach unten. Sandra schien immer noch skeptisch, aber ihre Feindseligkeit wich einer großen Müdigkeit.

      »Ich hänge hier drin schon seit drei Wochen fest. Du bist der erste Normale, den ich treffe. Wenn du ein Plünderer wärst … « Sie ließ den Satz unvollendet und zuckte nur mit den Schultern.

      »Und wie machen wir jetzt weiter?«, fragte Frank.

      Sandra schulterte die Waffe, und ihr Zeigefinger deutete wie ein Dolch auf Franks Brust.

      »Regel Nummer Eins: Auch wenn ich ziemlich pralle Möpse habe, kann ich mich wehren. Gucken darfst du, wenn´s nicht zu aufdringlich wird. Anfassen kostet dich mindestens einen Finger.« Frank nickte nur. »Regel Nummer Zwei: Hier bin ich der Boss. Du bist nur zu Besuch. Regel Nummer Drei: Wenn du gebissen wirst oder sonst irgendeine Scheiße versuchst, male ich mit deinem Spatzenhirn ein Rohrschachtmuster auf die nächstbeste Tapete.«

      Frank deutete auf seine erbeutete Dienstwaffe, die in Sandras Hosenbund steckte.

      »Bekomme ich die wenigstens zurück?«

      Sandra schnaubte ein Lachen.

      »Vergiss es. Und jetzt komm


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