Um Gottes willen, ein Mediziner!. Herbert Lipsky

Um Gottes willen, ein Mediziner! - Herbert Lipsky


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etwas Abfälliges über unseren Kollegen zu sagen. Wir sahen uns an, einer sagte: „Ich glaube, der Herr muss operiert werden.“ Dann gingen wir zu ihm hin und fragten ihn, ob er das wolle. Er verneinte dies aufs heftigste und wollte sich zurückziehen. Es war aber bereits zu spät. Die Operationsindikation war schon gestellt. Wir schubsten ihn in das Hinterzimmer und legten ihn auf einen Tisch. Einmütig wurde festgestellt, dass er bereits genug prämediziert sei. Als Hauptanästhetikum wurde ihm ein Krügel Bier in seinen Kragen gegossen. Die Operationsdiener hielten ihn fest, und zwei Chirurgen schnitten mit einem Taschenmesser blitzartig sämtliche Knöpfe von seiner Kleidung und auch noch die Krawatte ab. Er sprang vom Tisch – übrigens ist das das Zeichen einer guten Anästhesie – und lief hinaus. Die Medizinstudenten hat er wohl in der Folge gemieden.

      Herrenhofdiele

      Seit vielen Generationen war es ein Studentenspaß in Graz gewesen, ein Ruderboot vom Hilmteich zu nehmen und dieses an der Uni vorbei in das Stadtzentrum zu tragen. Dort wurde es am Eisernen Tor in den Brunnen gesetzt und dann wurde gerudert. Das war deshalb möglich, weil die Polizei weniger Streifenwagen hatte. Das Boot wurde immer in einer Gruppe, wie in einer Prozession, getragen. Wurde man dabei von der Polizei überrascht, musste man das Boot fallen lassen und flüchten. Die Eingefangenen wurden unbarmherzig je nach Verhalten zu 24 oder 48 Stunden Haft verknackt. Es war aber Pflicht der Kommilitonen, im Gefängnis zu erscheinen und die armen Häftlinge mit Anatomiebüchern und mit einer Jause zu versorgen.

      Ein anderer beliebter Studentenspaß war es, kleine und leichte Automobile wie einen Puch 500, eine Isetta oder einen Fiat Topolino aufzuheben und zwischen zwei Stadtparkbäume zu stellen. Kam der Besitzer dann aus dem Kaffee- oder Gasthaus, so konnte er mit seinem Auto nicht wegfahren. Ein anderer häufig geübter Sport war es auch, in heißen Sommernächten im Springbrunnen vor dem Opernhaus zu baden. Dies geschah nicht ohne Risiko, da sich vis-a-vis eine Polizeiwachstube befand. Tat man dies in den Pausen der Opernvorstellungen, so wurde natürlich die Polizei verständigt und man wurde gefasst. Zu späterer Stunde war es jedoch prinzipiell ungefährlich. Ein Kollege von uns musste es aber auf die Spitze treiben. Nach einem Abend im Brandhof war es ihm heiß geworden, er nahm ein Bad vor Oper und ging dann, noch nass und nur mit einer Unterhose bekleidet, auf die Polizeiwachstube. Er wünschte allen dort einen guten Abend und bat um ein Handtuch. Man behielt ihn gleich dort.

      Hilmteich

      Einmal wurde eine ganze Gruppe von Medizinern zu einem Gartenfest im Mai in der Vorstadt eingeladen. Einer von ihnen war ein ehemaliger Turmspringer. Zusammen mit einem Schwimmkollegen beschloss er zu mitternächtlicher Stunde, auf den hohen Kirschbaum zu steigen, um von dort aus seine Sprungkünste zu zeigen. Unter dem Kirschbaum befand sich nur ein kleines Planschbecken. Zur gleichen Zeit erschienen die Eltern der Gastgeberinnen, um zu sehen, wie sich die Kinder amüsierten. Was sahen sie: zwei Lackeln in Unterhosen , die in den Ästen ihres schönen Kirschbaumes herumturnten, bis diese abbrachen. Zum Schluss stürzten die Turner mit den Ästen in das Schwimmbecken. Wir alle mussten daraufhin diese schöne Party vorzeitig verlassen und wanderten zurück nach Graz Richtung Zentrum. Plötzlich fiel es uns ein – am nächsten Tag war ja Muttertag! Was lag näher, als über niedrige Zäune zu steigen und für unsere Mütter den größtmöglichen Blumenstrauß zu pflücken. Ein herrliches Tulpenbeet würde geplündert. Es zog uns nicht gleich zum eigenen Mütterlein, sondern in üble Lokale auf dem Lendplatz. Es ging uns auf, dass hier auch werdende und seiende Mütter hart arbeiteten. Mit unseren Blumen waren wir die Hähne im Korb. Wir schenkten jeder der leichtgeschürzten Damen einen Strauß Blumen und wünschten ihnen dabei alles Gute zum Muttertag. Für das Mütterlein daheim blieb leider nur ein Fliederstamm übrig.

      Das Studentenleben in Graz war natürlich auch von den korporierten Studenten geprägt. Diese führten schon damals so wie heute am Samstag einen traditionellen Bummel durch die Innenstadt durch. Viele unserer Studienkollegen gehörten einer Burschenschaft an. Man traf immer wieder einen mit schwarzen Binden über dem Kopf. Sie erzählten stolz von ihrer letzten Mensur. Es gab bei ihnen strenge Benimmregeln und man lernte auch Reden zu halten. Man warf ihnen damals noch nicht politische Haltungen vor. Da auch das Trinken einem gewissen Reglement unterlag, wurde dies sehr oft systematisch bis zum totalen Untergang durchgehalten. Das ist eine Gewohnheit, die Burschenschafter ihr ganzes Leben nie mehr ganz ablegen können. Besonders wichtige Feiern sind für sie die Stiftungsfeste. Alte Herren, Burschen und Füchse feiern gemeinsam ihr Gründungsfest. Ein guter Bekannter von mir hatte einmal den Einfall, mit dem Feiern schon früh am Morgen zu beginnen. Diese Vorfeier brachte ihn in übel beleumundete Lokale auf dem Griesplatz. Er schloss dort die Freundschaft mit einer hübschen jungen „Dame“. Diese gefiel ihm so gut, dass er beschloss, sie auf sein Stiftungsfest mitzunehmen. Die beiden trafen dort ein, als das Fest schon etwas vorgerückt war. Die Dame war ein großer Erfolg. Die alten Herren waren von ihr begeistert, begrüßten sie mit: Küss’ die Hand, gnädige Frau. Keiner schien zu merken, woher sie kam. Sie genoss diese Behandlung und begann sogar Hochdeutsch zu sprechen. Sie wurde pausenlos zum Tanzen aufgefordert und genoss es im Zentrum des Festes zu stehen. Die alte Redensart, dass man Damen wie Huren und Huren wie Damen behandeln soll, scheint doch etwas für sich zu haben. Als die Geschichte mit der Dame aufflog, hat sie meinem Freund bei seiner Burschenschaft ziemlich geschadet.

      Die studentische Jugend von Graz hat damals nicht ausschließlich studiert und getrunken, sondern auch Sport betrieben. Die wichtigste Sportart war Basketball. Es gab unzählige Vereine, die wichtigsten waren der GAK und die BUG. Weiters gab es eine sehr gut spielende griechische Studentenmannschaft namens Hellas. Bei dem Spiel Hellas gegen Graz kamen damals fast so viele Zuschauer wie bei einem Fußballspiel. Fand dieses Spiel im Freien statt, so wurden von erregten griechischen Fans immer wieder Rasenstücke auf das Spielfeld geworfen. Das Basketballgeschehen war in der Landesturnhalle beheimatet. Hier war auch so etwas wie ein gesellschaftlicher Mittelpunkt. Man kam, um das ganze Wochenende zu spielen, Spielen zuzusehen, jemanden kennen zu lernen und Freunde zu treffen. Die Basketball spielenden Studenten von damals sind fast alle etwas „Besseres“ geworden und bilden auch so etwas wie einen Geheimbund.

      Wie bei allen Studien schied sich auch bei uns rasch die Spreu vom Weizen. Die ganz Fleißigen gingen nie aus, sie lernten nur, viele hatten ihren Spaß und lernten trotzdem, und einige hatten nur ihren Spaß. Einige Kolleginnen heirateten im Vorklinikum und hörten mit dem Studium auf. Nur wenige Damen promovierten. Von denjenigen, die nicht lernten, gaben viele auf. Manch einer, der uns als älterer weiser Kollege einen guten Rat erteilt hatte, war überholt worden. Es gab einige echte Methusalems. Ich erinnere mich an einen stets würdevollen, vor der Universität mit Bierbäuchlein und Spaniel einher schreitenden Kollegen, den wir immer bewundert hatten. Er beendete sein Vorklinikum erst, als wir promoviert hatten. Für eine spätere politische Karriere war das lange Studium kein Hindernis. Er wurde Staatssekretär.

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