Dalriada. Gerhard Streminger

Dalriada - Gerhard Streminger


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      Gerhard Streminger

      DALRIADA

      Ein schottisches Märchen

      Leykam

      Zitat

      Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch ­die Erde. Leer sind noch viele Sitze für ­Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht. Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben.

      Wahrlich, wer wenig besitzt, wird umso ­weniger besessen …

      Friedrich Nietzsche,

      Also sprach Zarathustra

      Prolog

      Als ich noch im Norden nahe der Küste lebte, sah ich dieses spezielle Wetterphänomen recht häufig. Aber dort, wo ich nun wohne, ereignet es sich nur sehr selten, vielleicht ein oder zwei Mal pro Jahr:

      Nach einem stürmischen Regen, der die Luft gereinigt hat, erstrahlt die Sonne wieder in voller Pracht. Der Blick, der lange Zeit eingeschränkt war, öffnet sich und erlaubt eine Sicht über viele Kilometer. Falls es immer noch stürmt, folgen der abziehenden, dunklen Wetterfront oft dutzende schneeweiße Wolken vor hellblauem Hintergrund. Bisweilen nähern sie sich so rasch, als wären sie von einem Vulkan knapp hinter dem Horizont in die Luft geblasen worden. Zumeist scheinen einige dieser Wattewolken noch eine unsichtbare Leiter zu erklimmen und werden, je näher sie kommen, größer und größer.

      Untermalt werden diese weißen Rauchzeichen am Himmel noch vom Rauschen des Windes, der Zweige und Blätter hin und her schüttelt. Dabei entsteht eine Klangwolke, die einmal nach oben hin anschwillt, dann wieder in die Tiefe sinkt. Aber Folge und Rhythmus der Töne sind gänzlich ungeordnet: Unerwartet kommen sie, und auf einmal sind sie wieder verschwunden. Manches Mal krachen Äste aneinander, und es entsteht ein kaltes Geräusch wie der jähe Schlag auf eine Trommel, der mich immer frösteln lässt.

      Das Blau der Himmelskuppel zusammen mit dem Wolkenspiel aus Licht und Schatten sowie das unvorhersehbare Grollen des Windes vermögen in mir in besonderer Weise Erinnerungen wachzurufen. Bilder tauchen auf, die ansonsten in der Nacht des Vergessens schlummern. Zumeist handeln sie von einem Sommernachmittag vor vielen Jahren, als ich auf einem einsamen Parkplatz in den schottischen Highlands Rast gemacht hatte: Vor mir ein riesiges Trogtal mit zwei kleinen Seen, in denen sich winzige Ausschnitte der kargen Hügellandschaft und des mächtigen Wolkengebildes spiegelten. Auch damals heulte der Wind, aber er zeichnete keine Wellenmuster in Gebüsche und in das Geäst der Bäume, sondern in das Heidekraut wie in das Fell eines riesigen Bisons. Über mir erstreckte sich auch kein blauer Ozean von Horizont zu Horizont mit einigen weißen Inseln, sondern der Himmel war fast bis zur Erde düster mit schweren Regenwolken behangen. Wenige Meter über mir türmten sich Wolkenbänke auf, die sich mit dumpfem Getöse aus allen Richtungen genähert und zum Teil ineinander verkeilt hatten.

      An einigen wenigen Stellen waren diese schwarzgrauen Ungetüme jedoch geborsten, und es öffnete sich ein kleiner Schacht, durch den grelles Sonnenlicht wie fließende Lava strömte. Vom Sturm wurden die Sonnenfenster über die Heide- und Moorlandschaft wie fliehende Schafe getrieben. Aber zwischendurch war es fast völlig windstill, und die Lichtflecken wanderten dann im Zeitlupentempo den Bergrücken entlang, oder schnell den Hügel hinab, über kleine verkrüppelte Birken und tiefe Furchen hinweg, überquerten die beiden Seen und kleinen Bäche, die wie blaugraue Arterien die Heide durchströmten. Schließlich stürmten die Sonnenfenster den schroffen Abhang hinauf … und verschwanden im Nichts. Wenn man jedoch über das Tal hinweg in die Ferne schaute, sammelten sich die Wolken zu einer so dichten und unheimlichen Wolkenmasse, als wäre dort die Nacht nicht nur an-, sondern ausgebrochen.

      Neben mir stand Heather, eingehüllt in ihren gelben Regenschutz. Ihren Kopf hatte sie noch zusätzlich durch ein breites Stirnband, gebunden aus einem Seidenschal, vor Wind und Nässe geschützt. Wie in alten Filmen bei extremer Zeitlupe tauchten wir gemeinsam einmal in Licht, dann wieder in Dunkelheit. Zuweilen rüttelte der Wind so heftig an unseren Körpern, dass wir uns mit Gewalt dagegen stemmen mussten. Als holte sich die Erde gelegentlich neue Kraft, war es zwischen den Windstößen oft längere Zeit vollständig ­ruhig. Nach diesen Phasen der Erholung brach jedoch neuerlich der Sturm los, und wir mussten unsere ganze Kraft aufbieten, um ihm zu trotzen. Ein ständiges Auf und Ab hatte die Gegend erfasst, so als atmete die Erde gerade an dieser Stelle tief ein und aus. Einmal hatte der Wind die Wolkendecke an mehreren Stellen auseinandergetrieben, und ein Lichtstreifen folgte dem anderen. Als diese den Hügel hinabhuschten, kleideten sie die Heide in ein Sträflingsgewand.

      Wie lange wir dort standen, weiß ich nicht mehr so genau. Zwar hatte ich versucht, das Geschehen möglichst gefasst über mich ergehen zu lassen, aber ich fühlte mich fehl am Platz, als Eindringling, der vertrieben werden sollte. Derartigen Naturgewalten ausgesetzt, verspürte ich eine beklemmende Fremdheit und Hilflosigkeit. Aber gelegentlich überkam mich auch ein sonderbares Gefühl des Unbeteiligtseins, insbesondere dann, wenn das grelle Licht der Sonne plötzlich wieder aufgeleuchtet und Ruhe eingekehrt war. Selbst der Wind schien eine Zeitlang wie gebannt der Grabesstille zu lauschen.

      Ungeachtet dieser dramatischen Eindrücke wäre ich wohl schon längst ins Auto gestiegen und hätte den Sturm einfach Sturm sein lassen, wäre da nicht Heather gewesen. Denn im Gegensatz zu mir schien sie sich pudelwohl zu fühlen, als wäre sie als Ehrengast zu einem höchst seltenen Naturschauspiel geladen. Sobald mir dies bewusst geworden war, vergrub ich die Hände noch tiefer in den Taschen meines Anoraks und versuchte breitbeinig, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen.

      Einmal quittierte Heather die Tatsache, dass sie nach einer längeren finsteren Phase erneut in hellem Licht stand und ihr Körper wieder Schatten warf, mit einem Jauchzer. Ein andermal versuchte sie, indem sie sich bei mir einhakte und meinen Blick in eine bestimmte Richtung lenkte, mich auf ein Sonnenfenster aufmerksam zu machen. Wie ein Bullauge geformt, hatte es unten im Tal einige Schwarzkopfschafe in ein Scheinwerferlicht getaucht. Das Fell der Tiere war vom Wind so arg zerzaust, als wäre gerade ein Helikopter knapp über sie hinweg geflogen. Aber unbeeindruckt wanderten sie wiederkäuend von einem Flecken Gras zwischen dem Heidekraut zum nächsten.

      Heather begann in einer für mich fremden Sprache leise zu singen und ihren Oberkörper im Rhythmus des Lieds ein wenig nach rechts und nach links zu drehen. Mich irritierte ihr Verhalten noch zusätzlich, und ich empfand es als einigermaßen deplatziert. Wenn ich mich jedoch heute, viele Jahre später, daran zurückerinnere, so war wohl nicht Heathers, sondern meine Reaktion der Situation durchaus unangemessen. Denn in Wirklichkeit war ich bloß eifersüchtig darauf, dass sie diesen Naturgewalten so entspannt begegnen konnte, während ich nicht so recht wusste, wie mir geschah, und ratlos wie eine Kuh dastand, die in steilem Gelände vom vertrauten Weg abgekommen war. Doch zu meiner endgültigen Verwirrung meinte ich, als das Heulen des Windes wieder einmal eine Atempause eingelegt hatte, Heather nicht mehr leise singen, sondern tief schluchzen zu hören.

      Nachdem der immer heftiger werdende Sturm uns fast umgeworfen hatte, schubste sie mich, und wir taumelten die wenigen Schritte zurück zum Auto und suchten darin Schutz.

      1. Kapitel

      Das Herz Englands

      Alles nahm seinen Anfang damit, dass ich in einem deutschsprachigen Magazin über Landschaftsarchitektur folgende Annonce las:

      Symposium über

      Gartenarchitektur in

      Castle Howard, England.

      Seit der Verfilmung von Evelyn Waughs Roman Wiedersehen mit Brideshead, der zu einem Großteil in eben jenem Castle Howard gedreht wurde, hegte ich den Wunsch, dieses Schloss zu besuchen. Zwar missfielen mir Barockarchitektur und Interieur des Gebäudes – so typisch für katholische Länder, aber so selten in England – als viel zu überladen und bombastisch. Aber es war die Landschaft um das Schloss, die vielen Parks und Gärten, die mich faszinierten. Zudem war ein zweiter großer Schauplatz dieser Fernsehserie das alte Oxford gewesen, und es wurde praktisch gerade zu jener Zeit gedreht, als ich dort studierte. Somit waren die Aufnahmen, neben der Dramatik der Erzählung, für mich auch so etwas wie ein Zeitdokument.

      Von den beiden Aufnahmeorten einmal abgesehen, war ich zudem von der Art und Weise,


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