Handbuch der Interpersonellen Neurobiologie. Daniel Siegel

Handbuch der Interpersonellen Neurobiologie - Daniel Siegel


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Wenn Sie daran interessiert sind, diesen Knotenpunkt noch weiter zu vertiefen, dann können Sie sich dem Knotenpunkt-Netzwerk zuwenden. Dort finden Sie weitere Abschnitte und die entsprechenden Seitenzahlen, wo diese Knotenpunkt-Idee oder dieser Begriff besprochen wird. Innerhalb des Textes werden Sie auch schattierte Passagen finden, die als ein einfacher visueller Hinweis Kernideen anzeigen, die nach Bedarf gelesen werden können, um das Gerüst des Wissens noch weiter zu integrieren. Zudem habe ich am Ende des Buches einige Zeichnungen und Abbildungen hinzugefügt, um den ganzheitlichen Ansatz zu unterstützen.

      Beim Versuch, die Natur dieses Leitfadens zu beschreiben, fiel mir das Bild einer „Wissenssphäre“ ein. Eine Sphäre ist eine dreidimensionale Struktur, die einen inneren Raum (denken Sie beispielsweise an das Innere eines Balles) und eine äußere Oberfläche hat. Ich stelle mir die Abschnitte in diesem Buch als die gewölbten Bereiche auf der Oberfläche der Sphäre vor (s. Abb. A im Bildteil des Buches). Wir können durch einen dieser Eingänge in der Oberfläche ins Innere der Sphäre gelangen. Sie laden uns dazu ein, die Sphäre des Wissens zu erforschen. Wenn wir uns in einem solchen Eingang befinden, entdecken wir kursiv geschriebene und mit Sternchen versehene Knotenpunkte*, denen wir in den Innenraum der Sphäre folgen können. Wir können uns diese Knotenpunkte als Kreuzungen vorstellen, die durch verschiedene Linien miteinander verbunden sind. Sie bilden im Inneren der Sphäre wie auch auf der Oberfläche der Sphäre leuchtende Verbindungen mit vielen anderen Knotenpunkten (s. Abb. B).

      Noch ein Beispiel: Wenn Sie in einem Abschnitt den Begriff Empathie* finden, dann können Sie im Verzeichnis der Netzwerk-Knotenpunkte nachschauen und die Seitenzahlen in anderen Abschnitten heraussuchen, in denen der Begriff Empathie ebenfalls eine Rolle spielt. Einer dieser Abschnitte handelt möglicherweise im Besonderen von Beziehungen, wie Bindung*. Wenn Sie sich diesem Abschnitt widmen und sich in den Text vertiefen, entdecken Sie vielleicht den Begriff Integration*. Sie lesen darüber und spüren den Impuls, wieder zum Verzeichnis der Netzwerk-Knotenpunkte zurückzukehren, wo Sie andere Abschnitte finden, aus denen Sie für das Weiterlesen auswählen können. Während des Lesens eines solchen Abschnitts stoßen Sie möglicherweise unerwartet auf den Begriff Gewahrsein*, Ihr Interesse erwacht und Sie wenden sich wieder dem Knotenpunkt-Netzwerk zu, um im Netz der Knotenpunkt-Verbindungen andere Abschnitte zum Thema Gewahrsein zu finden. Im Abschnitt selbst befinden Sie sich wieder in den bekannten und nützlich ergänzenden, linearen Ausführungen der Information. So können Sie sich vom Eintreten in einen Knotenpunkt als Thema eines Abschnitts an der Oberfläche der Sphäre über Knotenpunkt-Verbindungen im Innern der Sphäre wieder zurück zu den Abschnitten an der Oberfläche der Sphäre bewegen. Dadurch sind Sie in der Lage, ein Netzwerk dieser Wissenssphäre zu bilden (s. Abb. A und B). Das ist dreidimensionales Lernen! Aber keine Sorge: Sie brauchen keine 3-D-Brille! Dieser Ansatz ist vielleicht neu, aber ich hoffe, dass Sie ihn zutiefst erfüllend finden, hilfreich für Ihr Lernen – und dass er Ihnen sogar Spaß macht.

      Im kommentierten Index und im Knotenpunkt-Netzwerk werden Sie auch sehen, dass einige Begriffe als akademische Terminologie angezeigt werden, dazu fügen wir nach dem Begriff die Abkürzung „F“ hinzu und kennzeichnen ihn so als einen „Begriff, der durch die wissenschaftliche Forschung gestützt wird“. Das bedeutet, dass dieser Begriff allgemein anerkannt ist und in der wissenschaftlichen Fachsprache verwendet wird. Im Gegensatz dazu haben andere Begriffe den Zusatz „A“. Dies zeigt an, dass es sich um eine wichtige Idee in der Interpersonellen Neurobiologie handelt; ein Begriff, der für praktische Anwendungen in der weit gefassten klinischen Arbeit, in der Pädagogik, der Organisationsberatung, der Praxis der Reflexion und beim Umgang mit Kindern – im Kontext der Perspektive der Interpersonellen Neurobiologie – grundlegend wichtig ist. Diese Begriffe werden von Anwendern aber nicht notwendigerweise in der Forschung verwendet. Die Information über diese Unterscheidung kann hilfreich sein, um zu wissen, wie diese Begriffe entstanden sind und wo ihre Anwendung auf ein allgemeines Verständnis und weitgehende Akzeptanz trifft. Oft entstammen diese praktischen Begriffe den verschiedenen Ebenen der subjektiven Erfahrung, die im Kern der Praxis und der Beschäftigung mit Medizin, Psychotherapie, Pädagogik, Beratung, Kinderbegleitung, Reflexion und Kontemplation – und anderen Wegen, wie wir in unserem beruflichen und privaten Leben Menschen im Wachstum und bei der Heilung unterstützen – liegen. In diesem Handbuch finden Sie ein Fundament, in dem das Beste aus der streng akademischen, auf Forschung basierenden Wissenschaft mit nützlichen praktischen Ansätzen verbunden ist. Diese Ansätze können Sie dann in kreativer Weise anwenden, um Wachstum und Wohlbefinden in einer Reihe von Bereichen zu fördern. Durch dieses Verweben im Prozess und Inhalt dieses Buches werden Sie zum aktiven und einzigartigen Mitgestalter dieser Erfahrung von Integration und Geist – neben vielen anderen Dingen.

      Ich habe versucht, das Medium zur Botschaft zu machen, indem ich in einer Möglichkeit für aktives Lernen den Prozess und den Inhalt miteinander verwoben habe. Insgesamt ist dieser Leitfaden ein Versuch, durch seine verschiedenen Ebenen wechselseitig miteinander verbundener Ideen integrativ zu wirken. Einige dieser Ideen finden sich in hervorgehobenen Passagen in den verschiedenen Abschnitten. Dieser Versuch der Integration mit den vielen Eingängen für den Zugang zum Thema und den Knotenpunkten* der wechselseitigen Verbindungen hat zum Ziel, die Modi des nicht-linearen und des linearen Lernens miteinander zu verbinden. Ich hoffe, dass dadurch für Sie eine bestärkende Erfahrung der Synthese möglich wird. Wenn wir Konzepte voneinander unterscheiden und sie dann miteinander verbinden, integrieren wir Wissen. Und die Integration – des linear aufeinanderfolgenden und des ganzheitlichen Lernens, des persönlich subjektiven und des wissenschaftlich objektiven Lernens – ist (wie wir schon bald sehen werden) das zentrale Thema der gesamten Interpersonellen Neurobiologie. Dieses Handbuch hat zum Ziel, Ihnen bei der persönlichen und beruflichen Anwendung der Interpersonellen Neurobiologie zu helfen, um mit diesem Ansatz einen gesunden Geist, ein integriertes Gehirn und empathische Beziehungen zu entwickeln; es möchte die Erfahrung des Wachstums und des Erwachens, die im Kern unserer Reise liegt, „reicher, tiefer und freudvoller“ machen, wie es mein Reiseführer für Paris vorgeschlagen hat. Ich hoffe, dass Ihnen dieser kleine Begleiter helfen wird, sich besonders lebendig zu fühlen und die Schätze der Interpersonellen Neurobiologie zu testen und sich zu eigen zu machen.

      Bon Voyage!

Kursiv geschriebene Begriffe=Schlüsselidee oder -prozess
Kursiv geschriebene Begriffe mit Sternchen*=Knotenpunkt-Idee oder -Prozess
Schattierter Text=Schlüsselkonzepte
Fett gedruckte, kursiv geschriebene Begriffe mit Sternchen*=Titel eines Abschnitts; dient als Knotenpunkt im Netzwerk des Wissens

      1 O’Reilly, J., Habegger, L., O’Reilly, S. (2002). Travelers’ Tales Paris. Berkeley: Publisher’s Group West (S. xx).

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      Geist

      Worum geht es?

      Der Begriff „Geist*“ bezieht sich auf unsere innere subjektive Erfahrung* und den Prozess*, durch den wir bewusst oder gewahr* sind. Zudem kann der Geist auch als ein Prozess definiert werden, der den Fluss von Energie und Information* in unserem Körper und in unseren Beziehungen* reguliert. Der Geist ist ein emergenter* und selbstorganisierender* Prozess, der unsere mentalen Aktivitäten* wie Emotion*, Denken und Erinnerung hervorbringt. Grundlegende und wechselseitig abhängige* Facetten des Geistes sind die subjektive Erfahrung, das Gewahrsein* und ein verkörperter* und relationaler* Prozess, der den Fluss von Energie und Information reguliert*.

      Unser mentales Leben ist erfüllt von subjektiven Erfahrungen mit Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen* und anderen mentalen Aktivitäten, die direkten Einfluss auf unser Verhalten haben – unsere äußerlichen Handlungen in der Welt, einschließlich unserer Interaktionen mit anderen Menschen. Während solche mentalen Prozesse* die Struktur unseres inneren Lebens bilden und unser Gewahrsein ausfüllen, können sie auch als die Art und Weise gesehen werden, wie der Geist den Energie und Informationsfluss* reguliert. Zu diesen mentalen Aktivitäten gehören auch unsere Überzeugungen, Haltungen, Absichten*, Hoffnungen, Träume, Wahrnehmungen,


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