MIND. Daniel Siegel

MIND - Daniel Siegel


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des Geistes im Einklang zu stehen.

      Ich lade Sie dazu ein, über diesen wichtigen Ort, den wir erreicht haben, nachzudenken. Geist könnte eine emergente Eigenschaft des Energie- und Informationsflusses sein. Wie fühlt sich das für Sie an? Können Sie die subjektive Beschaffenheit wahrnehmen, die innerhalb Ihrer gelebten Erfahrung zutage tritt? Wenn Energie in Ihrem Körper fließt, können Sie ihre Bewegung wahrnehmen, wie sie sich von Moment zu Moment verändert? Diese subjektive Wahrnehmung, lebendig zu sein, könnte ein emergenter Aspekt des Energieflusses sein. Wenn dieser Energiefluss etwas symbolisiert, wenn er zu Information wird, können Sie spüren, wie dieses Energiemuster etwas anders in Ihrer subjektiven Erfahrung repräsentiert? Energie, und Energie als Information, kann in Ihrer mentalen Erfahrung gespürt werden, wenn sie von Augenblick zu Augenblick emergiert.

      Emergente Eigenschaften des Energieflusses könnten eine subjektive Erfahrung einschließen – das ist unser einfacher Vorschlag –, aber sie umfassen auch den mathematisch aufgebauten Prozess der Selbstorganisation. Wenn Sie Ihr eigenes Leben betrachten, können Sie spüren, wie irgendetwas den Energie- und Informationsfluss zu organisieren scheint, wenn Sie durch den Tag gehen? „Sie“ müssen nicht die ganze Zeit über das Kommando haben, selbst wenn Sie davon ausgehen. Wenn eine Facette Ihres Geistes Selbstorganisation ist, dann wird sie auf natürlichem Wege in Ihrem Leben entstehen. Selbstorganisation braucht keinen Anführer. Manchmal entfalten sich die Dinge am besten, wenn wir den Weg frei machen.

      Auf einer Basisebene identifizieren wir daher diese Essenz eines Systems, nämlich den Energie- und Informationsfluss, als mögliche Quelle des Geistes. Das ist ein Vorschlag, den wir unterbreitet haben, und wir legen nun ein paar grundlegende Schichten dieses Vorschlags frei.

      Subjektivität könnte als Primrealität diesem Energie- und Informationsfluss entspringen. Vielleicht hat das Bewusstsein genauso etwas mit diesem Fluss zu tun, wie wir bald tiefgehend erkunden werden. Die Informationsverarbeitung gehört zur Vorstellung eines Energie- und Informationsflusses von Natur aus dazu. Daher könnten diese drei Facetten des Geistes – Informationsfluss, Bewusstsein und subjektiv empfundenes gelebtes Leben – alle aus dem Energie- und Informationsfluss emergieren.

      Diese vielen Facetten des Geistes als emergente Eigenschaften des Energie- und Informationsflusses zu betrachten hilft, den Innen- und Zwischen-Aspekt des Geistes nahtlos miteinander zu verknüpfen.

      Energie und Informationen sind innen und zwischen, so dass der emergente Prozess, der ihnen entspringt, sowohl innen als auch zwischen stattfinden würde. Diese Sichtweise des Geistes als ein sowohl verkörperter als auch als ein relationaler Prozess führte uns jenseits allzu einfacher, beschränkter Sichtweisen des Geistes im Sinne bloßer Gehirnaktivität und erlaubte es den Anthropologen, die Kultur zu studieren, den Soziologen die Gruppierungen zu studieren und sogar den Psychologen und einem Psychiater wie mir, Familieninteraktionen und die Art und Weise zu studieren, wie sie die Entwicklung eines Kindes formen, so dass alle eine gemeinsame Sichtweise dessen teilen, wie der Geist emergiert, ebenso so sehr in Beziehungen als auch aus physiologischen, verkörperten Prozessen, einschließlich der Gehirnaktivität. Mit anderen Worten, den Geist so zu betrachten, könnte den Anschein zweier Orte zur gleichen Zeit erwecken, obgleich innen und zwischen Teile eines vernetzten ungeteilten Systems sind. In Wirklichkeit sind das nicht zwei Orte, sondern ein System der Energie und deren Fluss.

      Dies führt uns dazu, in Betracht zu ziehen, dass die Grenzen zwischen Synapse und Soma [= „Zellkörper“, A.d.Ü.], Selbst und Gesellschaft nicht so künstlich zu sein brauchen, wie sie es in früheren Modellen wie den „biopsychosozialen“ Sichtweisen zu sein schienen, die mir auf der Hochschule für Medizin vermittelt worden sind. Geist als etwas Emergentes war ein starkes Modell; und ein Aspekt des Geistes als emergenter, selbstorganisierender Prozess, der diesen Fluss regulierte, war zutiefst hilfreich, es uns zu ermöglichen, als Gruppe zusammenzuarbeiten, deren Mitglieder so verschiedene Hintergründe besaßen. Diese Sichtweise einer emergenten Selbstorganisation setzte sich nicht aus drei unterschiedlich interagierenden Realitäten zusammen, wie sie in jenen Modellen häufig präsentiert wurden, sondern aus einer einzigen Realität des Energie- und Informationsflusses.

      Dieser Fluss entspringt sowohl in als auch zwischen uns.

      Der Energie- und Informationsfluss findet in Beziehungen statt, indem Energie und Informationen geteilt werden; er findet in uns statt, indem die physiologischen Prozesse, insbesondere des Nervensystems, einschließlich des Gehirnes, den verkörperten Mechanismus des Energie- und Informationsflusses in uns vermitteln; und der Geist ist jener verkörperte und relational emergente Prozess der Selbstorganisation, der jenen Fluss reguliert.

      Wie besprochen, erklärt diese Arbeitsdefinition eines Aspektes des Geistes als Selbstorganisation mentale Erfahrungen wie etwa das Bewusstsein und seine empfundene Subjektivität gelebten Lebens oder die Erfahrung des Denkens oder des Gedächtnisses als Teil der Informationsverarbeitung nicht weg. Vielleicht wird man eines Tages jene Aspekte des mentalen Lebens als einen Teil der Selbstorganisation ansehen, vielleicht aber auch nicht. Doch vorerst bedeutete die Tatsache, dass 40 Wissenschaftler aus einem weiten Spektrum an Disziplinen hinter dieser einen Aussage stehen konnten, indem sie zumindest diesen einen Aspekt des Geistes definierten, eine starke Annäherung. Die Zusammenarbeit, die aus dem Umstand erwuchs, eine gemeinsame Aussage darüber zu treffen, was der Geist sein könnte, half uns viele Jahre lang dabei, fruchtbar zusammenzuarbeiten.

      Entspricht die Vorstellung Ihres Geistes als eines emergenten Aspektes der inneren Physiologie Ihres Körpers, einschließlich Ihres Gehirnes, und der Verbindungen, die Sie zur Welt, insbesondere der sozialen Welt anderer Menschen pflegen, Ihren Überlegungen über Ihre Erfahrung? Die Vorstellung der Emergenz kann sich für einige nicht eingängig, unsinnig, vielleicht sogar bizarr anfühlen. Die Idee, dass etwas einfach aus der Interaktion der Elemente eines Systems entsteht – wie Muster entstehen, wenn Wassermoleküle sich in einer Wolke hin und her bewegen – könnte sich seltsam anfühlen oder für lebendige Systeme nicht einmal zutreffend erscheinen, vor allem nicht für Ihr eigenes Leben. Sie könnten sich fragen: „Wer hat hier das Kommando?“ Emergieren wir einfach ohne ein Gefühl des freien Willens? Können wir keine Absichten generieren, die das System unseres Selbst antreiben, und nicht einfach aus ihm emergieren?

      Diese Fragen und viele, viele weitere werden wahrscheinlich unseren Geist beschäftigen, wenn wir auf unserem Weg voranschreiten. Wenn Sie sich im Moment auf unsere Erkundung des emergenten Aspektes des Geistes fokussieren – einschließlich Ihrer bewussten Erfahrungen und Ihrer nicht-bewussten Elemente des Informationsflusses, von denen Sie lediglich Schatten sehen könnten, von Gedanken, Erinnerungen und Emotionen, die später ins Gewahrsein treten – können Sie eine Art Emergenz wahrnehmen, etwas, das ohne Sie auftaucht, oder vielleicht irgendetwas „Leitendes“?

      Ich lade Sie dazu ein, sich Zeiten vorzustellen, in denen Ihr Geist „einen eigenen Kopf“ zu haben scheint. Wenn beispielsweise die Informationsverarbeitung mentaler Aktivitäten, wie Gedanken oder Emotionen, tatsächlich als Teil des selbstorganisierenden Aspektes des Geistes offenbar wird, dann können sie sich als emergente Prozesse anfühlen, als würden sie einfach von selbst entstehen, ohne einen Direktor oder jemanden wie Ihr leitendes „Selbst“. Klingt es vertraut? So fühlt sich ein emergenter Prozess an – er findet einfach ohne einen kontrollierenden Leiter statt. Mit anderen Worten, es gibt keine lineare Ursächlichkeit. Die selbstorganisierende Facette des Geistes entsteht aus sich selbst und reguliert sich selbst. Das ist die rekursive Eigenschaft, da sie ihr eigenes Werden selbst verstärkt. Das ist der selbstorganisierende Aspekt des Geistes. Sie könnten das als eine Erfahrung empfinden, die sich einstellt, wenn Sie das Leben in sich und in Ihren Beziehungen sich einfach entfalten sehen, ohne der Dirigent der Sinfonie oder ein Computerprogrammierer sein zu müssen. So funktioniert Selbstorganisation. Vielleicht haben Sie das Gefühl, es zu beobachten, zu bemerken und zu erkennen, sogar zuzeiten, da Sie es nicht zu kontrollieren versuchen. Sie stehen sich selbst einfach nicht mehr im Weg und die Dinge organisieren sich auf natürlichem Wege selbst.

      Doch zu anderen Zeiten bemerken Sie, dass Dinge derart aus dem Ruder laufen, dass Sie sie willentlich kontrollieren müssen? Das ist wahrscheinlich der Punkt, an dem unsere bewusste Absicht ins Spiel kommt, indem wir Bewusstsein und Intention aufbringen, um unsere eigene Erfahrung zu beeinflussen, wie wir es in künftigen Beiträgen


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