Über den Kopf hinaus. Werner Huemer

Über den Kopf hinaus - Werner Huemer


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acht Millimetern. Darunter sind Millionen von Nervenzellen, die alle ihre Aktivität haben. Diese Nervenaktivität breitet sich kugelförmig aus. Durch den Abstand vom Kortex bis zur Elektrode ist es nur noch möglich, am Schädel die Summe der Nervenaktivität zu messen. Das heißt, es sind von der Messmethode her bestimmte Grenzen gesetzt. Ich kann mit meinen Elektroden nur ganz grob detektieren, ob es sich zum Beispiel um eine Handbewegung oder um eine Ellbogenbewegung handelt. Fingerbewegungen klar zu messen, zum Beispiel die Bewegung nur des kleinen Fingers, wird mir nicht mehr möglich sein. Um das weiterzuspinnen: Wenn Sie an eine Katze oder an ein Auto denken, kann ich das unmöglich messen, denn es gibt kein Katzenzentrum oder Autozentrum im Gehirn. Die Möglichkeit des Gedankenlesens, die man durch diese Technologie allgemein manchmal befürchtet, sehe ich, wenn überhaupt, in sehr, sehr weiter Ferne.“

      Medizintechnische Nutzanwendungen wie die hier beschriebenen Projekte betreffen die konkretesten, oder besser gesagt, jene Wirkungsmöglichkeiten des menschlichen Denkens, die sich am leichtesten dokumentieren lassen: die Steuerung bestimmter Körperfunktionen.

      Aber unsere Gedanken umfassen viel mehr als das. Streng genommen spielt dieser Bereich in unserem bewussten Alltagsleben überhaupt nur eine untergeordnete Rolle. Wir steuern unseren Körper ja nur in Ausnahmefällen bewusst durch Gedanken. Üblicherweise erledigt das Gehirn derlei selbsttätig, unbewusst, also ohne dass wir darüber erst nachdenken müssen. Und das ist sehr praktisch so. Denn dadurch sind wir offen für Eindrücke, Erlebnisse, neue Erfahrungen und Erkenntnisse – für all das, was uns gerade wichtig ist.

      Aber inwieweit ist es möglich, aus den Gehirnströmen die Individualität eines Menschen zu erkennen und sozusagen einen Blick in seine Persönlichkeit zu werfen?

      Solche Ansätze sind umstritten. Dennoch wird auch in dieser Richtung geforscht – zum Beispiel im Stuttgarter „Institut für Kommunikation und Gehirnforschung“. Hier wurde ein spezielles Messverfahren – die EEG-Spektralanalyse – weiterentwickelt, das offenbar sehr detaillierte Einblicke in individuelle Persönlichkeitsstrukturen gewährt.

      Das Grundprinzip ist theoretisch einfach: Gehirnströme sind die messbaren Auswirkungen der Gedankentätigkeit. Die Art der Gedanken wiederum ist das Ergebnis einer inneren Haltung. Wie wir auf Situationen des Lebens oder einfach auf Fragen reagieren, zeigt etwas über unsere Persönlichkeit, über unsere Stärken oder Schwächen. In dem Stuttgarter Institut unter der Leitung von Günter Haffelder werden daher Gehirnströme gemessen, während die Personen gleichzeitig einen Katalog von Fragen beantworten müssen. Daraus könne man dann, so Haffelder, „genau erkennen, was sich in dem Moment im Menschen tut“. Voraussetzung dafür seien Messungen am „limbischen System“, das der Verarbeitung von Emotionen dient und mit dem Triebverhalten in Zusammenhang steht. Dieses System im Gehirn reagiere auf bestimmte Fragestellungen sehr deutlich, und aus der Analyse ließen sich klare Rückschlüsse auf die Befindlichkeit des Patienten ziehen.

      Um mehr darüber zu erfahren, wie man auf den Gehirnströmen gewissermaßen „in die Seele surfen“ kann und vor allem, wozu das dienen soll, habe ich mit Günter Haffelder das folgende Gespräch geführt:

       Was kann man denn aus Ihrer Sicht zusammenfassend sagen: Ist es wirklich möglich, über Gehirnstrommessungen etwas Konkretes über die Persönlichkeit eines Menschen auszusagen? Und wenn ja, wie weit geht eine solche Aussage?

      Haffelder:

      „Ja, wir können heute mit unserem Messverfahren, also mit der EEG-Spektralanalyse, die Persönlichkeit sehr präzise erfassen. Das hat den Hintergrund, dass wir am limbischen System messen und frontal ableiten, also an der Stirn. Die Analyse hängt aber immer auch mit bestimmten Fragen zusammen, die wir stellen. Das limbische System reagiert eben gefühlsmäßig darauf.

       Solche EEG-Spektralanalysen sind eine Spezialität Ihres Instituts. Was konkret kann man denn aus einer solchen Analyse zum Beispiel herauslesen?

      Haffelder:

      „Wir können die Befindlichkeit des Patienten herauslesen und wir können die Gefühle herauslesen. Je nachdem, welche Fragen wir stellen, reagiert das Gehirn darauf. Es zeigen sich auch Blokkaden, Barrieren. Wenn ich zum Beispiel einen Mann auffordere, er solle an seine Familie denken oder an seine Ehefrau, kann ich sofort erkennen, ob dort alles stimmt oder nicht, ob da Blockaden sind, ob da Ängste sind und so weiter.“

       Und was machen Sie auf Grund dieser Analyse? Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es für eine Hilfestellung?

      Haffelder:

      „Erst einmal führen wir mit jeder Person einen Grundtest durch, und auf der Grundlage aller Tests, bei denen wir natürlich sehen können, was sich verändert, was vom normalen Standard abweicht, erstellen wir eine sogenannte neuroaktive CD. Das ist Musik mit ganz gezielten Impulsen, die dann im Gehirn bestimmte Botenstoffe aktivieren oder Blockaden auflösen.“

       Welche Musik verwenden Sie für diese Therapie?

      Haffelder:

      „Wir benutzen bisher Mozart-Musik, und für die Einspielungen steht mir glücklicherweise ein sehr gutes Orchester zur Verfügung. Wir müssen die Musik, die wir für therapeutische Zwecke verwenden, deshalb neu einspielen, weil der normale Grundton A bei 440 Hz gestimmt ist, und das ist für unsere Zwecke zu hoch. Wir verwenden die alte französische Stimmung von 432 Hz. Alle Körperrhythmen sind mit dieser Stimmung verbunden, also benutzen wir sie und lassen dann immer langsamer spielen, bis wir bei EEG-Messungen auf Grund von bestimmten Parametern sehen, dass zum Beispiel der Spiegel eines Botenstoffs, der unbedingt für das Lernen notwendig ist, steigt. Wenn er angestiegen ist, dann wissen wir, jetzt haben wir die richtige Geschwindigkeit. Wir benutzen die Musik also quasi als Träger, und darauf kommen zum Beispiel spezielle „Frequenzpatterns“, die wir erstellen, um bestimmte Blockaden zu lösen.“

       Können Sie Beispiele nennen für Erfolge, die Sie mit dieser Therapie hatten? Welche Indikationen gibt es da?

      Haffelder:

      „Wir können zum Beispiel bei Lernstörungen helfen. Wir können ein Lernfenster im limbischen System öffnen, und dadurch ist es dann völlig egal, was der Mensch oder das Kind lernen soll; wenn dabei die Musik gehört wird, ist das Lernen erfolgreich. Allerdings brauchen wir dazu auch noch Bewegung. Das heißt, wir setzen das Kind auf ein Kissen, das mit Luft gefüllt ist, so dass es immer in einer Mikrobewegung ist. Das bedingt, dass die Lerninhalte gut im Gehirn abgelegt und vernetzt werden. In diesem Bereich haben wir sehr große Erfolge.“

      Möglicherweise wird es künftig nicht bei solchen „sanften“ Manipulationen bleiben. Denn weltweit gibt es Forschungsansätze, um von Gehirnströmen Rückschlüsse auf konkrete Gedanken oder Erlebnisinhalte ziehen zu können. Dabei geht es nicht nur um das Tagbewusstsein, sondern bereits auch um Traumerlebnisse.

      „Neuroimaging“ lautet ein aktuelles Schlagwort für die Versuche, Denkprozesse mit Computerhilfe zu visualisieren. Beispielsweise wurden bereits Vorhersagemodelle entwickelt, die es erlauben, anhand der Aktivitätsmuster im Gehirn Aussagen dahingehend zu treffen, welches Bild jemand gerade betrachtet. Entwickelt wurden diese Modelle mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie, die zur Erfassung der Gehirnaktivitäten eingesetzt wurde, während die Versuchspersonen Tausende von Bildern anzuschauen hatten.

      Seit kurzem gibt es nun Belege dafür, dass das Gehirn Traumoder Phantasiebilder in ähnlicher Weise verarbeitet wie Bilder, die tagbewusst wahrgenommen werden. Einem japanischen Forscherteam der „ATR Computational Neuroscience Laboratories“ in Tokio gelang es bereits, eine Art Traumdatenbank zu erarbeiten, also spezifische Hirnsignale korrekt bestimmten Trauminhalten zuzuordnen.

      Für diese Forschungen mussten zahlreiche Probanden im „heimeligen“ Umfeld eines Magnetresonanztomographen schlafen. Nach der ersten Traumphase wurden sie geweckt, damit sie berichten konnten, was sie gerade gesehen hatten. Nachdem auf diese Weise Daten gesammelt worden waren, gelang es den Forschern mit einer Neuroimaging-Software, weitere Messungen am Gehirn


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