Liebe, Wissenschaft und die Wiederverzauberung der Welt. Jeremy W. Hayward
jetzt gab, überraschte mich daher: »Von ein paar Dingen wissen wir einfach, daß es sie nicht gibt, und Präkognition ist eins von ihnen. Deshalb ist experimentelle Beobachtung in diesem Fall gegenstandslos.« Anstatt also seine Annahmen vom Beobachteten beeinflussen zu lassen, benutzte er seine Annahmen, um das Beobachtete zu verneinen.
Auch sogenannte »Fakten« sind letztlich kein Maßstab für Realität. Ob eine Gruppe von Wissenschaftlern etwas als Fakt akzeptiert, hängt von der Gruppenentscheidung des Clubs der Wissenschaftler ab, und die wiederum beruht auf der Theorie, an die sie gegenwärtig gerade glauben. Sie sind zu Mitgliedern dieses Clubs ausgebildet worden und wissen ganz einfach, was als Fakt zu akzeptieren und was als Fiktion zurückzuweisen ist. Auch hier kann wieder eine Beobachtung zum Phänomen der Präkognition als Beispiel dienen. Solche Beobachtungen werden gar nicht erst als physikalische oder neurowissenschaftliche Fragen zugelassen. Sie gelten nicht als Fakten, und zwar deshalb, weil Physiker und Neurowissenschaftler die Abmachung getroffen haben, daß es Präkognition nicht geben kann und man deshalb gar nicht erst hinsehen muß.
Wissenschaftler neigen genauso wie andere Menschen dazu, in ihre Beobachtungen all die Vorurteile einfließen zu lassen, mit denen sie groß geworden sind – die Vorurteile, die wir in diesen Briefen untersuchen. Ohne es selbst zu merken, wählen sie ihre Beobachtungen so aus, daß ihre Vorurteile weiter verstärkt werden. Was für Theorien sie formulieren, was für Beobachtungen sie zur Untermauerung dieser Theorien anstreben und wie sie diese Beobachtungen interpretieren – all das ist von ihren unbewußten Annahmen bestimmt. Unbewußte Annahmen beeinflussen uns sehr weitgehend, auch wenn wir wissenschaftlich ausgebildet wurden.
Heute empfinden wir das mechanistische Weltbild als normal. Dennoch ist es eigentlich nicht schwierig, sich beispielsweise die Erde als lebendigen Organismus vorzustellen – nicht schwieriger als die Vorstellung, sie sei ein toter Gegenstand, den man ausbeuten kann. Die Durchsetzung dieser logischen Ordnung schließt eine ganze Welt aus der Rechnung aus, die Welt der inneren Wirklichkeit und der Intuition. Harmonie und das Leben in einer heiligen Welt sind möglich. Wir sind keine rein logischen und rationalen, keine emotionslosen Wesen, die alles durch objektive Analyse verstehen können. Unser Leben ist voller Widersprüche – wir kennen die Haßliebe, und manchmal befreit uns gerade das, was uns am meisten schreckt. Unsere tiefsten und bedeutsamsten Erfahrungen haben etwas mit dem Empfinden einer lebendigen, unsichtbaren Tiefe und mit Resonanzen aus dieser Tiefe zu tun.
Die Entzauberung der Welt ist sehr traurig und der Grund dafür, daß unser Leben uns manchmal so trostlos und tot vorkommt. Aber wir können auch nicht in die vortechnische Welt des Mittelalters zurück. Es nützt auch nichts, die zwar begrenzten, aber doch gültigen Entdeckungen der Naturwissenschaft oder die Kraft des logischen Denkens zu leugnen. Aber wir können über unsere eigenen finsteren Zeiten hinausgehen und die verzauberte Welt wiederentdecken, ohne die positiven, pragmatischen Seiten der Wissenschaft abzulehnen, die sich unserer Denk- und Betrachtungsweise mitgeteilt haben.
5. Brief
Die verzauberte Welt existiert jetzt
Liebe Vanessa,
gestern habe ich Dir ein bißchen über Geschichte geschrieben. Ich habe erzählt, wie uns die verzauberte Welt vergangener Zeiten verlorenging. Von Galilei, Newton und Descartes war die Rede, und wenn man jetzt all die erstaunlichen Dinge hinzunimmt, die die Wissenschaftler seit jener Zeit entdeckt haben, bist Du vielleicht ein wenig ratlos und fragst Dich: »Gibt es denn irgendwo in der Welt noch Platz für Geist, Bewußtsein, Gefühl oder Seele, für all das, was die Menschen einst empfunden haben und wovon sie sprachen? Haben Geister, Götter, Engel, Kami, Dralas und all die anderen Wesen noch einen Ort, an dem sie sein können?«
Laß mich Dir etwas Merkwürdiges erzählen, etwas, das ich heute morgen erlebt habe. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht mit dem Gedanken, daß ich uns am Ende meines gestrigen Briefes vielleicht in die gleiche Falle geführt habe, in die auch unsere Gesellschaft getappt ist: zu vergessen, daß die Wissenschaft lediglich Geschichten erzählt, und am Ende die Geschichten zu glauben, die den Geist aus dem Universum zu verbannen scheinen. Ich schlief danach nicht allzu gut, denn mich beschäftigte die Frage, wie ich uns aus dieser Falle wieder herausbekomme. Beim Aufwachen heute morgen hatte ich immer noch dieses Gefühl.
Ich ging dann erst mal duschen, und als ich mir den Kopf gerade so richtig eingeseift hatte, wurde das Wasser ohne Vorwarnung plötzlich kalt. Ich habe mich schnell kalt abgespült, abgetrocknet, angezogen und dann Frühstück gemacht. Dabei überlegte ich, wie ich am besten erklären könnte, daß in der Welt, die die Wissenschaft hervorgebracht hat, ganz sicher noch Platz für Götter oder Drala-Energien ist. Zugleich ging mir aber der Gedanke nicht aus dem Kopf, weshalb das warme Wasser gerade an diesem Morgen ausgegangen war.
Und dann dachte ich: »Koinzidenz.« Und gleich war mir klar, daß Koinzidenz die Antwort auf beide Fragen ist. Der Platz der Dralas in dieser Welt hat etwas mit Koinzidenz zu tun, und das plötzliche Kaltwerden des Wassers war auch Koinzidenz – und zugleich bedeutungsvoll. Ich könnte sagen, es war eine Botschaft von den Dralas, die mir mitteilte, daß »bedeutsame Koinzidenz« die Antwort auf die Frage nach ihrem Ort in der jetzigen Welt enthält. Koinzidenz ereignet sich in einem bestimmten Augenblick, jetzt. Und Wissenschaftler haben absolut nichts über bestimmte Augenblicke zu sagen. Die Wissenschaft ist außerstande, etwas zu irgendeinem bestimmten realen Augenblick zu sagen.
Nun gibt es sicherlich eine ganz handfeste Ursache für das Ausfallen des warmen Wassers heute morgen – wahrscheinlich ist irgendwas mit der Heizanlage nicht in Ordnung. Wissenschaftlich wäre jedoch niemals zu erklären, wie und wieso ausgerechnet an diesem Morgen all die Faktoren zusammenkamen, die einen Ausfall des warmen Wassers bewirkten – an dem Morgen, an dem es so wichtig war, daß mir die Koinzidenz wieder einfiel. Verstehst Du? Da spielt noch etwas anderes mit.
Wie kommt es, daß in diesem bestimmten Augenblick eine bestimmte Erfahrung stattfindet? In dieser Frage ist die Idee der Zeit selbst angesprochen. Wir glauben, daß unser Leben entlang einer universalen Zeitlinie verläuft, die für jeden und überall im Universum die gleiche ist. Nehmen wir uns also einen Augenblick Zeit, um eben diese unser Leben so sehr beherrschende Zeit zu betrachten.
Um seine berühmten Bewegungsgesetze formulieren zu können, nach denen ein von einer Kraft angestoßener Materieklumpen sich bewegt oder die Planeten die Sonne umrunden, mußte Newton einiges voraussetzen. Er mußte voraussetzen, daß es einen feststehenden Hintergrund für alle Bewegungen gibt; er mußte auch annehmen, daß es überall im Universum stets denselben, fixen Hintergrund geben muß, vor dem und dem gegenüber sich alles bewegt. Diesen Hintergrund nannte er »absoluter Raum«. Dieser Raum war leer und passiv, und es gab keinerlei Interaktion zwischen ihm und seinen Inhalten. Er war wie die Bühne, auf der das Schauspiel des Universums spielt.
Außerdem mußte er sich eine universale Zeit vorstellen, die für alle Planeten und alles andere im Kosmos dieselbe war, die aber nicht an irgend etwas im Universum gebunden war. Er nannte sie die »absolute Zeit«.
Vergiß bitte nicht, daß Newton sich diesen Raum und diese Zeit lediglich vorstellte. Er sagte das auch selbst: »Das sind nur Hypothesen.«
Aber nach und nach glaubten die Menschen, Newtons absoluter Raum und die absolute Zeit seien der wirkliche Raum und die wirkliche Zeit der wirklichen Welt, in der wir wirklich leben. Dieser absolute Raum und die absolute Zeit, beide imaginär, sind der Raum und die Zeit, die Du unbewußt mit Dir herumträgst und durch die Du die Welt wahrnimmst – ganz so, wie Du die Welt durch die Fluchtlinien siehst, von denen ich Dir im zweiten Brief geschrieben habe. Dieser absolute Raum und die absolute Zeit bilden die Bühne, auf der, wie wir (und die Wissenschaftler) meinen und wie Newton meinte, die Welt spielt. Auf dieser Bühne, in diesem leeren Raumzeit-Behältnis, haben Wissenschaftler seit Newton ihre Modellwelt ersonnen und aufgebaut. Und sie haben uns eingeredet, dies sei die reale Welt unserer Erfahrung.
Wir reden und denken und wir organisieren unser Leben so, als gäbe es wirklich eine absolute Zeit. Wissenschaftler versuchen ihre Modellwelt so anzulegen, als läge die Zeit außerhalb der Ereignisse in der Welt. Wir