Der kleine Herr Lu Chi. Doris Bewernitz

Der kleine Herr Lu Chi - Doris Bewernitz


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Vögel kaufen, sagte er. Was kosten sie?

      Ao Yuns ganzer Hof stand voller Käfige. Jeden Morgen ging er aufs Feld, stellte Fallen auf und fing Singvögel, die er nachmittags auf verschiedenen Märkten in der Stadt an wohlhabende Bürger verkaufte.

      Welcher soll es denn sein, fragte er.

      Die Singdrossel dort, erwiderte Lu Chi.

      Zwanzig, sagte sein Nachbar.

      Warte bitte eine Woche, entgegnete Lu Chi. Dann habe ich die Zwanzig beisammen. Aber reserviere mir den Vogel bitte unbedingt. Verkaufe ihn niemand anderem.

      Ao Yun versprach es.

      Eine Woche später kam Lu Chi wieder.

      Hier sind die Zwanzig, sagte er. Nun gib mir die Drossel.

      Ich verkaufe die Vögel nur mit Käfig, sagte Ao Yun. Und der Käfig kostet nochmal Zwanzig.

      Jeder Käfig?, fragte Lu Chi.

      Jeder, sagte Ao Yun.

      Ach, warte bitte eine Woche, entgegnete Lu Chi. Dann habe ich die Zwanzig auch noch beisammen. Aber verkaufe den Vogel bitte an niemand anderen.

      Ao Yun versprach es.

      Eine Woche später kam Lu Chi wieder.

      Hier sind die anderen Zwanzig, sagte er. Nun gib mir die Drossel.

      Aber du musst mir das Futter bezahlen, dass ich die ganze Zeit an sie verfüttert habe, als ich sie dir reservierte, sagte Ao Yun.

      Das verstehe ich, sagte Lu Chi. Ich vermute, das Futter kostet auch zwanzig?

      Wenn ich noch eine Woche darauf warten muss, kostet es Dreißig, sagte Ao Yun, genau Zehn für jede Woche.

      Einverstanden, erwiderte Lu Chi, ich werde die Dreißig bis nächster Woche besorgen. Warte bitte solange, halte mir die Drossel gut und verkaufe sie niemand anderem.

      Ao Yun versprach es.

      Eine Woche später kam Lu Chi wieder.

      Hier sind die Dreißig, sagte er, nun gib mir die Drossel.

      Was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte, sagte Ao Yun, was willst du in deiner armseligen Hütte eigentlich mit einem Vogel? Normalerweise verkaufe ich meine Vögel an reiche Leute, die sie als Attraktion in ihrem Park oder im Salon aufstellen. Du aber hast weder einen Park noch einen Salon, oder?

      Richtig, sagte Lu Chi. Weder Park noch Salon. Ich glaube auch nicht, dass eine Drossel das zwingend braucht. Und nun hätte ich sie gern.

      Ao Yun reichte ihm den Käfig mit der Drossel.

      Lu Chi öffnete die Käfigtür.

      Die Drossel erhob sich in die Luft und flog davon.

      Die Streithähne

      Lu Chi arbeitete in seinem Garten. Da hörte er laute Stimmen. Es klang nach einer Auseinandersetzung. Er ging auf die Straße hinaus und sah zwei streitende Männer vor seiner Hütte stehen. Sie schrien sich an und gingen sogar schon mit den Fäusten aufeinander los. Der erste blutete bereits aus der Nase.

      Lu Chi versuchte, mit ihnen zu reden, um sie zu beruhigen. Doch sie stritten weiter. Sie hörten ihm nicht zu.

      Da stellte er sich zwischen die beiden.

      Geh weg!, schrie der Erste.

      Unser Streit geht dich gar nichts an!, schrie der Zweite.

      Ihr irrt, sagte Lu Chi. Wenn sich zwei schlagen, wird die Erde traurig. Und das geht mich wohl etwas an. Ich möchte nicht auf einer traurigen Erde leben.

      Das Kind

      Der kleine Herr Lu Chi traf ein Kind, das sich verlaufen hatte.

      Wo kommst du her?, fragte er.

      Ich weiß es nicht, sagte das Kind.

      Wo gehst du hin?, fragte Lu Chi.

      Ich weiß es nicht, sagte das Kind.

      Da beugte sich der kleine Herr Lu Chi herunter. Er hatte Tränen in den Augen. Sanft umarmte er das Kind. Ich weiß, wie du dich fühlst, sagte er. Mir geht es genauso.

      Die Kuh

      Lu Chi wollte eine Kuh kaufen. Er ging ins Nachbardorf zum Viehmarkt. Dort standen hunderte Kühe herum.

      Welche ist denn die Beste?, fragte er den Händler.

      Das kommt darauf an, sagte der.

      Worauf?, fragte Lu Chi.

      Ob Sie lieber Milch wollen oder Fleisch, sagte der Händler.

      Ach, und ich dachte, es kommt auf etwas anderes an, sagte Lu Chi.

      Worauf denn?, fragte der Händler.

      Ob der Hof, auf dem sie leben wird, eher schattig oder sonnig ist, sagte Lu Chi. Und ob sie lieber Klee oder Gras frisst. Und ob sie Kinderlärm mag oder eher Ruhe braucht. Und vor allem, ob sie Herrengesellschaft wünscht oder ablehnt …

      Heimat

      Lu Chi saß mit seinen Schülern beim Essen, und sie unterhielten sich darüber, wo sie herkamen. Ein Schüler sagte: Meine Heimat ist das Laffi-Gebirge. Immer sehne ich mich nach seinen glitzernden, schneebedeckten Bergen. Ein anderer sagte: Meine Heimat ist die Ebene von Thun. Nur dort ist das Gras so zart wie Seide, und die gelben Margeriten duften den ganzen Sommer. Ein dritter sagte: Meine Heimat ist das Oari-Meer. An seinem Ufer bin ich aufgewachsen, und immer verzehre ich mich nach dem Schrei der Möwen und dieser Weite bis zum Horizont.

      Und du Meister?, wurde Lu Chi gefragt, woher kommst du?

      Wenn ich das wüsste, erwiderte Lu Chi. Bisher weiß ich nur, dass ich ein Staubkorn im Universum bin, das auf der Erde gelandet ist und mit ihr kreist.

      Schmerz

      Min Yi, dem Nachbarn von Lu Chi, war die kleine Tochter gestorben. Er war völlig verzweifelt. Viele Freunde, Verwandte und Leute aus dem Dorf kamen, um ihn zu trösten. Alle verließen ihn ratlos, denn Min Yi hörte ihnen gar nicht zu.

      Nachdem Min Yi wochenlang sein Haus nicht mehr verlassen hatte, gingen seine Freunde zu Lu Chi. Du musst etwas tun, sagten sie. Er richtet sich noch zugrunde in seinem Schmerz. Wir versuchen, ihn abzulenken, wir laden ihn ein, wir trösten ihn, aber nichts hilft.

      Gut, sagte Lu Chi. Ich gehe zu ihm.

      Er ging zu Min Yi. Kaum sah er ihn an, musste er weinen. Min Yi bat ihn herein. Sie saßen zusammen, tranken Tee, schwiegen und weinten.

      Als Lu Chi sich Stunden später von Min Yi verabschiedete, sagte dieser: Ich danke dir. Dein Besuch hat mir gut getan. Die anderen hatten immer nur Ratschläge.

      Ja, sagte Lu Chi, reden ist leichter als weinen.

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