Die Reisen des jungen Mr Happy. Marco Höne

Die Reisen des jungen Mr Happy - Marco Höne


Скачать книгу
>

      Marco Höne

      Die Reisen des

      jungen Mr Happy

      Roman

image

      INHALT

       Einleitung: Die Langeweile

       Reise 1: Guns and Moses in Israel

       Musiktipps für eine gelungene Weltsicht 1: Ravishing Grimnes

       Reise 2: Ein schrecklich netter Pauschalurlaub

       Reise 3: Meine erste Liebe war ein thailändischer Moneyboy

       Musiktipps für eine gelungene Weltsicht 2: Antichrist Superstar

       Reise 4: See you in Pjöngjang

       Reise 5: Laos für Dummies

       Musiktipps für eine gelungene Weltsicht 3: Reise, Reise

       Reise 6: Vor dir Leere, hinter dir Leere – Marokko

       Reise 7: Verliebt in die Leere – Island

       Musiktipps für eine gelungene Weltsicht 4: Dream Machine

       Reise 8: Good Morning in Vietnam

       Epilog: Es ist alles egal

      EINLEITUNG:

      DIE LANGEWEILE

      Das Leben hatte mich immer enttäuscht. Meine liebsten Kinderserien waren Biene Maja und Heidi. Ich wuchs auf in der Erwartung einer Welt voller Freiheit, Liebe und Abenteuer. Sicher gab es darin Herausforderungen – aber spätestens nach einem harten Kampf, bei dem das Gute obsiegte, würden Freunde auf einen warten, um eine Pizza zu teilen. Die Bösewichte würden in ihre Schranken gewiesen, so wie Gargamel am Ende jeder Schlümpfe-Folge.

      So würde man Tag für Tag die Fensterläden aufreißen, die Sonne und die Waldtiere begrüßen, seine Herausforderungen meistern und immer ein warmes Plätzchen haben, an das man gehörte. Meine Mutter erzählte, dass ich strohblond und tanzend durch die Straßen lief und sang: »Das Leben ist schön, das Leben ist so schön.«

      Das war meine behütete Kinderwelt. Meine Existenz ein fröhliches Wunder. Als ich zehn Jahre alt war, begriff ich, dass ich betrogen worden war. Mein Vater, mit dem ich im Campingurlaub beim Bauern auf dem Feld Kartoffeln geklaut hatte, war ein Alkoholiker. Er soff sich mit aller Konsequenz ins Grab. Nicht jedes Kind ist an den Anblick eines Vaters gewöhnt, der morgens die Matratze föhnte, weil er sich wieder eingepisst hatte. Meine Mutter schien mir bis ins späte Alter vernünftig. Magersucht, Missbrauchserfahrungen und Selbstmordfantasien wusste sie gut zu verbergen.

      Zu allem Überfluss wurde mir langsam bewusst, dass ich Jungs lieber als Mädchen mochte. Ich liebte die Trockenfickspielchen mit meinen hübschen Kumpels. Aber auch wenn ich beim Wichsen ehrlich zu mir war: Diesen Teil meiner Persönlichkeit konnte ich im Alltag nicht akzeptieren. Die schwulen Role-Models, die ich kannte, waren feminin und das gefiel mir nicht. So wollte ich nicht sein. Deswegen konnte ich mir – aber auch anderen – gegenüber nicht dazu stehen und beließ es bei Wichsfantasien. Alles wurde kompliziert.

      Um mich in der Schulzeit zwischen Mobbing, eigener sexueller Unsicherheit und Leistungsdruck zu behaupten, krönte ich mich zum Schulhof-Satanisten. Damit hob ich einen tiefen Graben zwischen mir und meinen Mitschülern aus. Ich wurde weitestgehend von den Machtkämpfen und Testosteronschüben anderer verschont. Viele fanden mich unheimlich und mieden mich. Mal stellte ich mich auf die Seite der Mobber, mal gab ich den Einzelgänger. Mir stand es frei. Die Traumata wurden anderen beschert. Ich bekam sogar einen freundlichen Spitznamen. Da ich immer schwarz trug, die Welt verfluchte und mit düsteren Kommentaren im Unterricht glänzte, tauften mich meine Mitschüler: Mr Happy. Der Sarkasmus gefiel mir. Ich behielt den Namen.

      Die Taufe dazu fand auf einer Klassenfahrt in Italien statt. Wir waren gruppenweise und abseits der Lehrer auf einem Ferienkomplex in kleinen Häusern untergebracht. Binnen Stunden hatte es sich in eine heruntergekommene Trinkerhöhle verwandelt. Pornografische Bilder an den Wänden, überall leere Alkoholflaschen und im Garten rauchten die Reste einer verbrannten Deutschlandfahne. Wir tranken die Nächte einfach durch. Wie so oft, hielt ich mich stumm im Hintergrund, aus Angst jemand könnte meine Homosexualität entdecken, weil ich mich verplapperte oder jemandem zu lange in die Augen sah. Einige Jungs im Haus waren extrem hot, die Gefahr also hoch. Eines nachts, jenseits von zwei Promille, stand einer von den Sportlertypen auf und meinte: »Du machst mir keine Angst mit deinem Satanskreuz und deinen schwarzen Pullovern, du nicht. Ich sehe ganz genau, was hier abgeht.«

      Er griff sich ein Bier, das jemand anders zuvor als Aschenbecher benutzt hatte. Ich war besorgt.

      »Du willst dich nur interessant machen. Du willst nur, dass die Ladys dich für mysteriös halten. Du bist kein Satanist, du bist Mister Happy!«

      Alle feierten diesen Ausbruch. Damit bekam ich meinen Namen und ließ ihn an mir haften, sodass mein wirklicher Name nur noch eine Notwendigkeit auf dem Einwohnermeldeamt wurde.

      Die Satanisten-Szene war als Fluchtpunkt vor dem Mainstream eine Enttäuschung. Ich suchte nach Leuten, die pessimistische und misanthropische Weltanschauungen mit Glaubhaftigkeit vertraten. Ich wollte Missmut atmen. Gefunden hatte ich einen öden Haufen Poser – viele aus sozialen Berufen wie Behinderten- oder Krankenpflege –, die einfach nur mal Dampf abließen. Menschenhass war ein Ventil, um am Tag wieder fürsorglich sein zu können.

      Anfängliche Experimente mit Okkultismus bestätigten die Lachhaftigkeit von Esoterik und Glauben. Sexorgien und Menschenopfer fanden nur in den Medien statt und nicht in den Lübecker Wohnzimmern, in denen wir Apfelkorn tranken, »Heil Satan« brüllten und Black Metal hörten.

      Eine Zeit lang schnitt ich mir in den Arm. Das hatte etwas Rituelles und verschaffte mir Befriedigung. Ich will es aber nicht überhöhen: Es blieb ein Partygag der derben Sorte, der sich schnell abgenutzt hatte. Beim letzten Mal schnitt ich mir mit einem Jagdmesser eine große Fleischwunde in den Arm. Das Blut bildete zwischen meinen Füßen sofort eine Pfütze und niemand außer mir nahm Notiz davon. Die Bong war interessanter. Schnell wickelte ich Klopapier um die Wunde und schnitt mich nie wieder.

      Dr. Sommer hatte mir in der Bravo versprochen, ich würde spätestens mit 16 Sex haben, vermutlich sogar früher. Als ich mit 21 endlich mit einer Frau schlief, war ich wieder enttäuscht. Statt einer Lustorgie ein bemühtes Reiben. Kein Wunder: Brüste und Vaginas standen bei mir nicht hoch im Kurs (siehe oben). Es war anstrengend und beschämend. Nur den Orgasmus fand ich gut. Klar, dass man dieses Gefühl nur ein paar Sekunden genießen darf und dafür schuften muss wie ein angeschossener Eber.

      Alkohol und Drogen waren dagegen viel besser, als das bisweilen vermittelt wird. Aber auch diese Kicks, die ich mir in frühester Jugend auch mal durch Ladendiebstahl verschafft hatte, waren


Скачать книгу