Die Reisen des jungen Mr Happy. Marco Höne
wurde er vermutlich noch häufiger.
Nach einem kurzen Skype-Interview war die Sache geritzt. Zwei Monate würde ich ohne Gegenleistung meine Arbeitskraft als Projektkoordinierer zur Verfügung stellen und erhoffte mir dafür einen Mindchanger.
Der Taxifahrer am Flughafen empfahl mir, meine Reise nicht in Tel Aviv zu beginnen, aber ich hörte nicht auf ihn. Ich begriff erst Wochen später, warum dieser Tipp richtig gewesen war.
Am Morgen nach meiner Anreise stand ich rauchend am Fenster meines Hotelzimmers und blickte auf die Israelfahnen, die überall am Strand wehten. Ein von vielen verteufeltes Land, stolz im Wind. Die Fahnen vermittelten mir ein Gefühl der Entschlossenheit eines Volkes, das am Abgrund der Vernichtung stand und es überlebt hatte. Im Fernsehen sangen U2 It’s a beautiful day. In der Tasche hatte ich die Nummer einer fetten Prostituierten, die ich aus Dankbarkeit in der Nacht zuvor fast aufs Zimmer mitgenommen hätte. Da ich keine Unterkunft reserviert hatte und Ferienzeit war, war ich die halbe Nacht umhergeirrt, um ein Zimmer zu finden. Ihre profunden Hotelkenntnisse hatten mich gerettet. Sie hatte gewusst, wo noch ein paar Betten frei waren. Im Nachbarzimmer stritt ein französisches Pärchen über einen Bordellbesuch.
Ich flanierte am Strand und war überwältigt von Lebensfreude und Toleranz. Übergroße Wandmalereien feierten die schwule Liebe. Die Menschen trugen trendige Klamotten. Es gab moderne Clubs. Die Leute schienen nicht nur zu leben. Sie feierten jeden Augenblick. Das sah nicht nach imperialer Unterdrückung aus, sondern nach Befreiung. Ein Ort, an dem Liebe und Träume blühen konnten. Die Steinzeit-Feinde ringsum versuchten es zu zertreten. Nur die Israel Defense Forces (IDF) hielten die dünne Front zwischen Freiheit und Zerstörung. Das Land ist nur wenige Kilometer breit. Hinter Tel Aviv war das Meer. Israel steht im Grunde immer mit dem Rücken zur Wand. Eine Drehtür der Gefühle geriet in Bewegung.
Was mich erschreckte, war, dass jeder kleine Laden eine eigene Security hatte. Das Sicherheitsbedürfnis war durch Jahrzehnte voller blutiger Anschläge maximal. Ich versuchte, mich nicht stressen zu lassen. Die Paranoia war mir fremd. Nach zwei Tagen ging ich zu Fuß mit meinem Rollkoffer zum Bahnhof von Tel Aviv. Bahnhöfe sind in diesem Land immer am Stadtrand zu finden.
Weil ich befürchtete, ich könnte nicht genug Facebook-Erinnerungen haben, fotografierte ich ein bisschen die Gegend. Ich dachte noch, dass die Häuser auf der anderen Straßenseite merkwürdig unecht aussahen, als seien sie nur aufgemalt. Dann schrie jemand hinter mir in kehligem Englisch, ich solle stehen bleiben. Verwundert drehte ich mich um und sah einen kleinen Mann, der aussah wie jemand, der Ladendiebe jagte, auf mich zusprinten. Beim Rennen sprach er in sein Funkgerät.
»Gibt es ein Problem?«, versuchte ich mich zu erkundigen. Barsch wurden mein Koffer und ich getrennt. Noch mehr Security erschien, wie Fliegen, die einen Scheißhaufen gefunden hatten. Einer schnappte sich meinen Koffer und legte ihn in eine Häuserecke. Zwei andere hielten mich an den Armen fest.
»Entschuldigung, ich will nur zum Bahnhof?«
Bis hierhin war ich begeisterter Zuschauer. Vor mir entrollte sich eine großartige Anekdote.
»Geben Sie uns den Schlüssel für Ihren Koffer.«
Ich holte den Schlüssel bemüht langsam aus meiner Tasche. Alle waren sehr nervös. Die Sonne brannte ihr Autogramm tiefrot in meine Stirn.
Mit dem Schlüssel in der Hand näherte sich die arme Sau vorsichtig meinem Koffer. Ich malte mir aus, was passieren würde, wenn ich wirklich ein Terrorist wäre. Dann würde er sich gleich zusammen mit meinen Unterhosen in der näheren Umgebung verteilen.
Nach einer ersten Prüfung meiner Unterwäsche wurde ich in ein naheliegendes Gebäude gebracht und auf einen Stuhl gesetzt. Am Eingangstor sah ich zum Hohn das große Schild »Fotografieren verboten«.
Es gab eine Theke, auf die mein Koffer gelegt und ausgeweidet wurde. Zwei schwarze Soldaten mit schlechtsitzenden Uniformen und Maschinengewehren standen missmutig herum. Ein dicker Polizeibeamter kam herein, ließ sich instruieren und begann mir immer dieselben Fragen zu stellen:
»Warum fotografierst du hier?«
»Wo willst du hin?«
»Wo hast du letzte Nacht geschlafen?«
Ich antwortete auf alles: »Keine Ahnung, ich bin nur Tourist.«
Eine Ahnung ließ mich mein Praktikum verheimlichen. Ich fühlte mich respektlos behandelt. Spätestens seit sie in meinen Koffer gesehen hatten, hätte das Ganze eine Wendung nehmen müssen. Aber sie hatten eine Lüge gerochen.
Der Polizist nahm meine Digitalkamera und sah sich ohne mein Einverständnis die Fotos an. Schnell war er bei Fotos aus Deutschland angelangt. Darauf zu sehen waren ich und Jannes. Er trug ein Metal-Shirt von mir.
»Wer ist das?«
»Das ist mein Boyfriend.«
Kurz vor meiner Abreise hatte ich Jannes kennengelernt. Einen jungen Tänzer, der aussah wie die polnische Version von Justin Bieber. Völlig betrunken war ich über mich hinausgewachsen und hatte ihn am Pissoir einer Kneipe, in der ich meine baldige Reise feierte, angesprochen. Er kam mit mir nach Hause, Neugierde trieb ihn. Meine betrunkene Selbstsicherheit hielt kaum fünf Minuten, nachdem wir die Bar verlassen hatten. Ich war völlig verschüchtert und unbeholfen. Wir verbrachten dann die Nacht zusammen. Es war eine Nacht, in der das Schicksal nach Sex verlangt hatte, aber ich war dazu nicht in der Lage gewesen, hatte mich nur weiter an meiner Hausbar betrunken, konnte keine Nähe zulassen. Immer wenn er an mich herangerückt war, war ich aufgesprungen. Trotzdem schlief er bei mir. Dafür hatte ich ihm das Metal-Shirt gegeben. Erst als er schlief, hatte ich mich langsam annähern können und ihn umarmt. Da war so viel Angst im Weg gewesen, soviel Unfähigkeit, meine Gefühle auszudrücken. Nun nannte ich ihn »Boyfriend«. Ich sprach es aus, ohne nachzudenken. Ich wollte keinen Millimeter in die Defensive geraten. Der Polizist war der erste Mensch, vor dem ich mich geoutet hatte.
»Dein Boyfriend? Du bist schwul?«
»Ja, bin ich.«
Auch im liberalen Israel schien er überrascht darüber zu sein, mit welcher Klarheit ich seine Fragen beantwortete. Das gab mir kurz Oberhand. Dann fanden sie mein Notizbuch.
Es entstand wilder Gesprächsbedarf. Der Polizist nahm das Notizbuch und schlug die Seite auf, auf der ich mir die Adresse von verschiedenen Hostels in Jerusalem notiert hatte.
»Warum ist hier eine Adresse in Ostjerusalem? Was willst du da?«, sein Ton wurde nun ernster.
»Das ist ein Hostel, wo ich vielleicht übernachten will.«
»Wen triffst du da?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich meine, ich treffe da niemanden. Ich will nur gucken, ob es da ein freies Zimmer gibt.«
Er sah mir tief in die Augen.
»Für wen ist das Geld?«
Aus den letzten Seiten des Notizbuches rutschten dreihundert Euro in seine Hand.
»Das ist mein Geld.«
Ich bekam ein warnendes Gefühl. Die Indizien verwandelten sich in dieser Unterhaltung Stück für Stück in eine Realität, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
»Warum ist hier die Adresse von ICHAD aufgeschrieben? Kennst du diese Organisation?«
»Ja, ich kenne die.«
»Woher kennst du sie?«, er kam näher an mein Gesicht.
»Aus dem Internet. Ich habe Politik studiert. Ich interessiere mich für solche Sachen.«
Ich begab mich vollends auf das Glatteis einer Lüge. Ob das Eis trug, war ungewiss. In meinem Kopf tauchte die Frage auf, ob mein Touristenvisum rechtlich ausreichend war, um ein Praktikum zu machen?
Auf diese Weise vergingen zwei Stunden. Immer wieder dieselben Fragen, immer wieder dieselben Antworten. Sogar nach Jannes fragte er erneut. Es ging sicherlich darum, einen Widerspruch zu finden.
Nach vier Stunden betrat ein neuer Mann das Spielfeld. Trotz des Hemdes