Donnergrollen im Land der grünen Wasser. Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser - Kerstin Groeper


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man, dass sie sich wegwälzten. Maisblüte erkannte, dass es sich um einen Jungen und eine Frau handelte.

      Die Menschenmenge jubelte sich in eine wahre Ekstase und feuerte den Soldaten an, der mit einer Fackel das Holz in Brand setzte. Sie ereiferten sich daran, wie die beiden sich qualvoll hin und her wälzten und ihre Schmerzen heraus schrien. Ihre Haare fingen Feuer und die Menschen lachten vor Begeisterung und Schadenfreude. Der junge Mann am Pfahl hob die Füße, als die Flammen ihn erreichten, was die Zuschauer noch mehr zu erheitern schien. Einige Soldaten warfen noch mehr Scheite ins Feuer, bis die Flammen bis zu seinen Haaren hochzüngelten. Der Mann wollte tapfer sein, doch sein Schreien überstieg sogar noch den Jubel der Menge. Das Zappeln und Winden der anderen beiden hatte schließlich aufgehört und Maisblüte hoffte, dass auch der Todeskampf des Mannes endlich vorbei war. Er bäumte sich in den Flammen auf, doch die Fesseln gaben nicht nach. Er schrie noch, als seine Haut Blasen schlug, dann wurde daraus ein ersticktes Keuchen und Gurgeln. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe er endlich zusammensank und die hohen Flammen die Sicht auf seinen geschundenen Körper verbargen. Maisblüte war dankbar, dass die grausame Szene endlich ein Ende gefunden hatte. Tod gehörte für ihr Volk dazu. Ihr ganzes Leben wurden sie auf den Tod vorbereitet und man gedachte der Ahnen. Auch bei ihnen gab es manchmal Opfer, die auf glühenden Kohlen zu Tode kamen, aber es geschah, um den Mut des Feindes zu proben. Es gab auch Feinde, die so tapfer waren, dass man sie von den Kohlen zerrte und leben ließ. Maisblüte hatte diese Zeremonien immer mit großen Augen verfolgt. Einerseits hatte es ihr einen Schauer über den Rücken laufen lassen, andererseits hatte sie den Mut und die Ausdauer der Gefangenen bewundert. Sie sah zu, wie sich die Menschen verstreuten, als das Schauspiel vorbei war. Ruhe kehrte ein und es war, als hätte der Tod dieser drei Menschen Frieden zu diesen Fremden gebracht. Ihr Rachedurst war hoffentlich gestillt worden. Maisblüte nahm den Bruder an der Hand, der merkwürdig still geworden war und sie nur mit großen Augen anstarrte. „Hörst du!“, zischte sie warnend. „Das passiert mit uns, wenn wir nicht gehorchen.“

       Steinemacher

       (Menominee im Norden)

      Machwao steuerte das Kanu bedächtig den Manomäh-Sipiah hoch. Sie paddelten gegen die Strömung und so halfen auch Wakoh und Wapus, das Kanu voranzutreiben. Gleichmäßig glitten die Paddel durch das Wasser, das ihnen mit leicht gekräuselten grauen Wellen entgegenkam. Zwischen ihnen lag Awässeh-neskas mit geschlossenen Augen. Er fieberte leicht und sie hatten ihn gefesselt, damit er nicht durch eine plötzliche Bewegung das Kanu zum Kentern brachte. Um ihn warm zu halten, hatten sie ihn in ein warmes Elchfell gewickelt. Manchmal wälzte er sich mit ruckartigen Bewegungen hin und her, sodass das Kanu gefährlich hin und her schwankte. Machwao glich die schlingernde Bewegung dann mit seinem Gewicht aus. Er sehnte den Augenblick herbei, an dem sie endlich das Dorf erreichten, denn ihrem Freund ging es schlecht.

      Es war der dritte Tag nach dem Angriff. Sie hatten die beiden Feinde mit Steinen bestattet und sich ihrer Waffen bemächtigt. Dann hatten sie Tabakopfer niedergelegt und Salbei verbrannt, damit die Geister der Toten sie nicht verfolgten. Machwao bedauerte die kurze Auseinandersetzung, denn sie würde Racheakte nach sich ziehen. Irgendwer würde diese Männer vermissen und sich auf die Suche nach ihnen begeben. Und irgendwer würde nach Rache dürsten. Es musste nicht unbedingt sein, dass sein eigenes Dorf damit in Gefahr war, aber es war sehr wahrscheinlich, dass irgendein Dorf dafür büßen musste. Der Ort lag im Gebiet der Menominee und diese Feinde würden die Mörder also bei den Menominee suchen.

      Machwao seufzte tief, denn es war nicht in ihrer Absicht gewesen, jemanden zu töten. Sie waren darauf vorbereitet worden, die heiligen grünen Steine zu sammeln, und nicht gegen Feinde zu kämpfen. Ein Kriegszug musste stets wohlüberlegt sein und durfte nicht ohne lange Zeremonien und Vorbereitungen durchgeführt werden. Wenn sie heimkehrten, dann mussten sie sich reinwaschen und die Geister um Verzeihung bitten. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Freund aus seiner kurzen Ohnmacht erwachte und sich stöhnend hin und her wälzte. Machwao steuerte das Ufer an und ließ das Kanu in den Sand rutschen. Wapus und Wakoh hatten erkannt, was er tun wollte, und legten die Paddel bereits in das Innere. Wakoh sprang an Land und zog das Kanu noch ein Stück höher. Dann blickte er Machwao fragend an. Die roten Striche auf seiner Stirn kräuselten sich dabei.

      Mit vorgeschobenen Lippen deutete Machwao auf den Verletzten. „Er braucht Wasser! Außerdem sollten wir nach der Wunde sehen. Es sieht aus, als würde sie wieder bluten.“

      * * *

      Wapus legte besorgt die Stirn in Falten, denn es war nicht gut, dass die Wunde sich einfach nicht schloss. Auch er hoffte auf den nächsten Tag, wenn sie endlich das Dorf erreichten. Er beugte sich über den Freund und schob vorsichtig die blutigen Baststreifen zur Seite. Machwao hatte recht. Die Wunde blutete wieder. Jede kleine Bewegung verhinderte, dass die Wunde sich endlich schloss. Die fiebrigen Augen zeigten ihm, dass Awässeh-neskas bereits mit den Geistern sprach. Stöhnend wälzte der Freund sich hin und her. Seine Arme und Beine waren gefesselt, sodass er nur kleine Bewegungen machen konnte, aber er lag nicht ruhig genug, damit die Wunde sich endlich schließen konnte. Wapus flößte dem Mann etwas Wasser mit einer Kürbisschale ein und richtete sich auf, um die weiteren Schritte zu überlegen. Als Metewin-Mann wusste er, dass man eine Wunde auch nähen könnte, doch er hatte dies noch nie selbst gemacht. Außerdem fürchtete er, dass dann das Böse, das die Heilung verhinderte, nicht mehr hinaus konnte. Nein, er brauchte die Stöcke, die ihnen einst der Großmuttergeist der Erde gegeben hatte, um die Heilkräfte von Awässeh-neskas zu stärken. Sein Freund hatte sein Medizinbündel dabei und durch Lieder und Singen würde es ihnen gelingen, dass es ihrem Freund wieder besser ging. Er legte neue Kräuter auf die Wunde, die die Hitze aus dem Körper ziehen würden, nahm zwei Stöcke, die er in der Nähe fand, und begann einen eintönigen Takt zu schlagen. Mit lauter Stimme sang er die Lieder, die sein Vater ihm in der Metewin Hütte gelehrt hatte. Wakoh und Machwao standen neben ihm und beobachteten die kleine Zeremonie. Auch Awässeh-neskas lag still und schien mit klarem Verstand den Liedern zu lauschen. Das Wasser hatte ihm gutgetan.

      * * *

      Wakoh trat einige Schritte zur Seite und beobachtete sorgsam die Umgebung. Das Letzte, was sie gerade gebrauchen konnten, war ein weiterer Überraschungsangriff. Nach seinem Geschmack waren die Anishinabe viel zu weit südlich. Die Menominee hatten schon einmal, vor langer Zeit, ihre Dörfer verlegt, um dem Druck dieses mächtigen Volkes auszuweichen. Vielleicht war es an der Zeit, sich tiefer in die Wälder zurückzuziehen? Seine Muskeln waren angespannt, seine Augen leicht zusammengekniffen, als er aufmerksam den Blick schweifen ließ. So leicht entging ihm nichts! Er war schon mehrmals zu seinem Kriegsanführer ausgewählt worden, denn die Menschen vertrauten seiner Kampfkraft. Es waren kleinere Geplänkel gewesen, die mehr den Zweck verfolgt hatten, ihre Jagdgründe zu sichern. Besonders nachdrücklich gingen sie hierbei jedoch nicht vor. Die Menominee waren eher als Händler und friedliebendes Volk bekannt. Kämpfer wie Wakoh waren daher die Ausnahme. Die meisten Männer waren geschickte Jäger, vermieden aber Konflikte mit anderen Völkern, außer sie wurden angegriffen. In ihrem Kosmos waren alle Lebewesen und Dinge miteinander verwandt und wurden respektvoll behandelt – selbst Feinde.

      Die Aufmerksamkeit von Wakoh ließ nach, als er nichts Verdächtiges bemerkte. Bald hätten sie ohnehin ihr Dorf erreicht und er glaubte nicht daran, dass Feinde sich so nahe heranwagten. Zu leicht konnte man hier auf spielende Kinder oder Jäger stoßen, die dann das Dorf warnten. Andererseits konnte er seinem Freund im Moment kaum helfen und so kletterte er ein Stück das Ufer hoch und verschwand zwischen den Bäumen. Er erreichte eine felsige Anhöhe und kletterte hinauf, um von dort den Fluss zu überblicken. Sie waren kurz vor der Stelle, an der der Fluss sich zu einem See erweiterte. Dichtes Schilf verdeckte einen Teil des Ufers und im Wasser ragten die Halme des wilden Reises heraus. Es war still, denn die Ernte war vorbei, und viele Wasservögel hatten bereits die Reise in den Süden angetreten. Nur vom Ufer unter ihm erklangen der eintönige Singsang von Wapus und das rhythmische Schlagen der Stöcke.

      Er lauschte kurz der Zeremonie und kletterte dann die Felsen wieder hinunter. In Gedanken versunken ging er ein Stück in den Wald. Seine weichen Sohlen vermieden jedes Geräusch, sodass er wie ein Geist über die Ranken und Flechten schwebte. Unhörbar, als würde er sich an ein Tier schleichen. Es war nicht beabsichtigt, sondern gehörte zu seinen ureigenen Bewegungen


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