Wer die Geister stört. Ulrich Wißmann
zeigte seine rötlich-braune Gesichtsfarbe, dass er in Gefahr war, Hautkrebs zu entwickeln.
„Setzen Sie sich, Frank, setzen Sie sich“, sagte Lawson freundlich und gestikulierte zu einem Ledersessel hin.
„Wollen Sie etwas trinken?“, fragte er. Als Begay verneinte, fuhr er fort: „Captain Blackhat hat Sie mir schon angekündigt. Wir freuen uns, einen so kompetenten Ermittler und Fährtenleser hier bei uns zu haben!“ Lawson lächelte und zeigte eine Reihe makellos weißer Zähne.
„Also, es geht um Folgendes …“, leitete Lawson mit kurzen Worten ein, „am letzten Donnerstag, also vor sechs Tagen, ist am Mount Graham ein gewisser Robbie Timmons verschwunden. Ein Geologe von einer Firma in Tucson, der im Auftrag des MGIO, Mount Graham International Observatory, eine Trasse für die neue Straße auf den Mount Graham suchen sollte. Wir haben ihn natürlich suchen lassen, nachdem wir von seiner Frau um Hilfe gebeten wurden, aber wir konnten nicht die geringste Spur von ihm entdecken.“
„Ist denn sicher, dass er überhaupt am Mount Graham war?“, fragte Begay.
„Ja, sein Auto steht jedenfalls am Fuß des Berges. Wir haben es dort auch stehen lassen, falls er doch noch auftaucht. Aber da verliert sich seine Spur.“
Lawson holte eine topographische Karte hervor und zeigte Begay den Platz, an dem Timmons seinen Wagen geparkt hatte. Er stand am Fuße des Berges an einer Kehre der Straße, die zu den Teleskopen auf dem Mount Graham führte.
„Gibt es irgendeinen Hinweis auf ein Verbrechen?“, fragte Begay. „Nein“, antwortete Lawson. „Aber Sie wissen ja, dass die Bebauung des Mount Graham bei vielen Menschen nicht unbedingt auf Zustimmung stößt. Da sind die Apachen, für die die Bebauung eine Entweihung ihres Heiligtums bedeutet, außerdem die Naturschützer. Auf dem Mount Graham gibt es einige Pflanzen- und Tierarten, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt“, erzählte Lawson offensichtlich mit einem Anflug von Lokalstolz. „Ich bin früher auch gerne auf den Berg gegangen zum Jagen und Campen“, fügte er hinzu.
„Also könnte es sich durchaus um ein Verbrechen handeln“, überlegte Begay.
„Ja, aber es kann natürlich auch sein, dass Timmons sich einfach verirrt hat, oder dass er sich ein Bein gebrochen hat und dort nicht mehr ohne Hilfe wegkommt.“
„Haben Sie ihn denn mit Hunden gesucht?“, fragte Begay.
„Ja, aber die haben die Spur irgendwann verloren.“
„Dann ist es also nicht so wahrscheinlich, dass er da noch irgendwo herumirrt“, dachte Begay laut nach.
Lawson wechselte das Thema: „Wir haben ein Zimmer im Mount Graham Motel für Sie reserviert.“ Er grinste.
„Gut, dann werde ich jetzt erstmal zum Berg fahren“, sagte Begay. „Kann ich diese Karte haben?“
„Natürlich“, antwortete Lawson und schlug sie schnell zusammen.
Sie verabschiedeten sich und Begay trat wieder auf die in mittäglicher Hitze daliegende Straße hinaus. Er ging zu seinem Wagen und machte sich auf den Weg zum Mount Graham. Der Weg zu dem Berg, der die gesamte Landschaft überragte, war leicht zu finden. Begay bog von der Swift Trail Road, die um den Berg herumführte, auf die Straße ab, die auf den Gipfel führte und entdeckte in einer der ersten Kehren den weißen Pick-up von Timmons. Er parkte seinen Wagen daneben und folgte den leicht auszumachenden Spuren, die die Mannschaft des Sheriffs hinterlassen hatte. Die Hunde hatten die Witterung von Timmons anfangs ja gehabt, so dass er sicher in der richtigen Richtung ging, auch wenn hier keine Spuren von Timmons mehr festzustellen waren. Wegen seiner Höhe von über dreitausend Metern umfasste der Mount Graham sechs Klima- und Vegetationszonen. Hier unten herrschte ein trockener Wald aus Chiricahua- und Ponderosapinien vor, aber um so mehr sich die Spur, der Begay folgte, am Berg aufwärts zog, desto mehr mischten sich Tannen und einzelne Laubbäume darunter.
Nach etwa einer Stunde erreichte Begay eine Lichtung, auf der frisches Gras und verschiedene Wildblumen den verschlun genen Lauf eines kleinen Baches säumten. Das Gras war in weitem Umkreis platt getreten und die Spuren der Hundeführer mit ihren Tieren überlagerten sich immer wieder und liefen in verschiedene Richtungen. Offensichtlich hatten die Hunde hier die Spur verloren und waren mal hierhin und mal dorthin gelaufen. Begay sah sich genauer um und entdeckte den Grund dafür. Zwischen den Spuren von Hunden und Menschen fand er die Abdrücke vieler Hirsche. Ein starkes Rudel schien sich hier öfter zum Äsen aufzuhalten. Das erklärte, warum die Hunde Timmons Spur verloren hatten: Der starke Wildgeruch überdeckte hier überall die Witterung des Menschen und die Hunde könnten auch einfach viel interessierter an diesem Geruch gewesen sein, als an dem des Mannes, dem sie folgen sollten.
Nachdem Begay sich in allen Richtungen umgesehen hatte, beschloss er, der wahrscheinlichen Richtung von Timmons Route weiter zu folgen. Bisher war diese Route kaum merklich, aber doch stetig ansteigend um den Berg herum verlaufen. „So, wie man eine Straße auf einen Berg anlegt“, dachte Begay, „ständig an Höhe gewinnend, aber dabei ohne großes Gefälle oder starken Anstieg.“ In der vermuteten Richtung überquerte Begay die Wiese. An deren Ende ragten ein paar Felsklippen auf. Diese würde die Straße umgehen müssen. Da sie recht steil anstiegen, entschied sich Begay für den wahrscheinlicheren Weg an ihrem Fuß entlang. Er schien recht zu behalten. Während die Spuren der Polizeiaktion erst aus den letzten zwei bis drei Tagen stammten, fand er jetzt Hinweise darauf, dass vor knapp einer Woche auch schon ein Mensch hier gewesen war. Der Sheriff und seine Leute hatten am Sonntag und Montag in dieser Gegend gesucht, Timmons war aber am vergangenen Donnerstag zum Mount Graham aufgebrochen.
In dem unwegsamen Gebüsch unterhalb der Felsen entdeckte Begay etliche von Menschen abgeknickte Zweige, von denen einige deutlich schon Tage vor der Suchaktion der Polizisten gebrochen worden waren. Nachdem er die Spuren von Hunden und Polizisten, die noch ein Stück weiterführten, hinter sich gelassen hatte, entdeckte er schon bald Anzeichen dafür, dass jemand hier weitergegangen war. Begay orientierte sich an der vermuteten Route und ging im Zickzack von oben nach unten und wieder zurück, entlang dieser Route. Als er der Richtung weiter durch das Unterholz folgte, fand sich immer wieder ein abgeknickter Zweig oder ein Stein, dessen bemooste Seite nach unten lag, ein deutliches Zeichen, dass ein Mensch ihn beim Gehen umgestoßen hatte.
Nach einer weiteren Stunde beschloss Begay umzukehren, da es bald dunkel werden würde. Durch die hoch aufragenden Baumstämme konnte er ab und zu einen Ausblick über die weite Ebene erhaschen, die sich zu Füßen des Bergmassivs ausdehnte. Die Sonne stand bereits tief über dem Horizont und der Saum des Himmels begann sich bereits zu zarten Gelb- und Rottönen zu verfärben. In kurzer Zeit würde er keine Spuren mehr finden können und er musste noch zurück zu seinem Auto laufen. Begay markierte sich auf der Karte in etwa die Stelle, an der er die letzten Spuren hatte ausmachen können und machte sich auf den Rückweg.
IV
Am nächsten Morgen machte er sich schon in aller Frühe auf den Weg. Im Motel schien noch niemand wach zu sein. Er trank zwei Tassen Kaffee aus einem Automaten, frühstückte ein paar Donuts, die für die Frühaufsteher unter den Gästen bereitstanden und machte sich auf den Weg. Diesmal fuhr er die Straße auf den Berg zunächst bis zu ihrem Ende auf dem Gipfel. Vom Abzweig der Swift Trail Road bis dorthin waren es circa zwanzig Meilen. Die Asphaltstraße zog sich in stetiger Steigung und zahlreichen Kehren bis auf etwa dreitausend Höhenmeter, wo sie in eine Staubstraße überging.
Empfänglich für die Schönheit der Natur wie alle Navaho, wollte er den Ausblick von dem Bergmassiv genießen, das alles in seiner Nähe überragte. Außerdem konnte es aber auch nicht schaden, sich einen Überblick über die Landschaft von oben zu verschaffen. Die riesigen Teleskopanlagen standen glücklicherweise nicht auf dem höchsten Punkt des Gipfelbereichs und so stellte Begay seinen Wagen ab und ging zu Fuß den Rest der Strecke bis zum Gipfel. Von hier oben hatte man eine atemberaubende Aussicht. Begays Blick schweifte über die weiten bewaldeten Hänge des Berges, die Pinaleno und Galiuro Mountains, zu den Pedergosa Mountains und zum Dos Cabezas und Chiricahua Peak nahe der mexikanischen Grenze, nach Osten zu den weit entfernt in New Mexiko im Dunst verschwimmenden Mogollon Bergen und zu den Gila Mountains auf der nördlich gelegenen San Carlos Indian Reservation. Irgendwo