Von Selbst zu Selbst. Martha Sweezy
gar nicht an ihn erinnert, aber diese Freundin hatte mich schon angerufen und mir gesagt, ich soll unbedingt mit ihm ausgehen. Deshalb habe ich das getan!«
»Und?«, frage ich.
»Er war toll. Warmherzig, lustig, charmant.«
»Wie ist es, sich daran zu erinnern?«, fragte ich.
»Schön«, sagt Susan.
»Traurig«, sagt Marco.
Dem Paar die Konzepte von IFIO vorstellen
Während wir zuhören, wie die beiden ihre Geschichte erzählen und ihre Absichten, Visionen und Ziele erforschen, führen wir langsam die grundlegenden Konzepte des IFIO-Modells ein, und zeigen auf, wie unser Gehirn in einer Beziehung funktioniert. Dabei reagieren manche Paare eher skeptisch, während andere mit der Vorstellung, dass der menschliche Geist aus vielen unterschiedlichen Teilen besteht, sofort etwas anfangen können. Es beruhigt sie zu hören, dass wir alle Verbundenheit brauchen, dass Bedürftigkeit jedoch Verletzlichkeit hervorruft, was oft zu Frustration führt.
Unser Ziel ist es, dass die beiden sich zunehmend von ihren Teilen lösen, damit sie ihre Probleme mit mehr Objektivität und Mitgefühl angehen können. Da ein bisschen Erklärung viel bewirkt, ist es am Anfang womöglich am wichtigsten, ihnen die Sprache der Teile zu vermitteln. Aussagen wie Ich nehme wahr, dass ein Teil von Ihnen X empfindet, ein anderer Teil hingegen Y macht die beiden darauf aufmerksam, dass sie solche Teile in sich tragen. Das ist der erste Schritt in dem relativ langen Prozess zu lernen, wie man sich von Teilen löst (zu einer ausführlichen Beschreibung dieses Vorgangs siehe Anhang 1). Von diesem Thema war bereits die Rede, und es wird uns auch weiter beschäftigen.
Wenn eine Klientin oder ein Klient sich gegen die Vorstellung sperrt, dass unsere Teile Gefühle haben, darf man sich nicht entmutigen lassen. Es ist völlig in Ordnung, nach einer individuell akzeptablen Ausdrucksweise zu suchen. Zum Beispiel können wir von Aspekten des Selbst, inneren Stimmen oder von Gedanken, Körperempfindungen und Gefühlen sprechen. Es kommt alles infrage, was den beiden dabei hilft, ihr inneres Erleben zu erkunden und neue Vorstellungen zu akzeptieren.
Susan und Marco
»Sie bestehen beide aus vielen verschiedenen Teilen – wie wir alle. Und genau wie Sie beide nicht immer einer Meinung sind, stimmen auch Ihre Teile nicht immer überein. Ich will mal erklären, was ich damit meine. Sie fühlen sich doch beide ab und zu in der Defensive, oder?« Susan und Marco nicken. »Versetzen Sie sich bitte in die letzte Situation hinein, als das so war, heute vielleicht, und sagen Sie mir, wenn Sie so weit sind ... Also, was passiert gerade in Ihrem Körper?«
Nach einem Augenblick sagt Susan: »Mein Bauch fühlt sich angespannt an.«
»Marco?«, frage ich.
»Ich weiß nicht recht.«
»Das ist in Ordnung«, sage ich. »Hören Sie denn, was Sie zu sich selbst sagen?«
»Sie hat unrecht«, sagt Marco.
»Gut. Und Sie, Susan?«
»Was für ein Trottel.«
»Konzentrieren Sie sich jetzt auf diese Worte und das dazugehörige Gefühl. Sie können die Augen schließen, wenn es Ihnen dann leichter fällt. Was will dieser Teil von Ihnen?«
»Mein Ärger will, dass Marco was erwidert«, sagt Susan.
»Weshalb?«, frage ich.
»Weil ich wissen will, dass er zuhört.«
»Ihr verärgerter Teil will, dass Marco Ihnen zuhört?«, frage ich nach.
»Genau.«
»Und wie funktioniert das?«
»Nicht besonders gut.«
»Wenn ich Ihnen helfen könnte, so miteinander umzugehen, dass Sie sich eher gehört fühlen«, sage ich, wohl wissend, dass ich eine rhetorische Frage stelle, »wären Sie dann daran interessiert?«
Der Begriff des Selbst
Die Vorstellung, dass es ein Selbst mit einer bestimmten Energie gibt, ist am Anfang unter Umständen schwerer zu begreifen als das Konzept der Teile, weil die Selbst-Energie oft kaum vorhanden ist, wenn Teile sich im Konflikt befinden. Außerdem können unsere Ansichten über das Selbst auch im Widerspruch zu bestimmten religiösen oder spirituellen Überzeugungen stehen. Daher führe ich die Vorstellung, dass wir ein Selbst haben, langsam ein. Ich verwende entweder die Ausdrucksweise des Paares an oder geläufige Synonyme für Freundlichkeit und Mitgefühl, zum Beispiel offenherzig sein und weicher werden. Wenn in der ersten Sitzung genug Zeit dafür ist, sage ich in etwa Folgendes:
»Ich würde Ihnen gern etwas erzählen, was ich glaube. Dadurch erfahren Sie auch ein bisschen mehr darüber, wie ich vorgehe. Also, ich glaube, dass alle Menschen den Wunsch haben, innerlich zu wachsen. Außerdem glaube ich, dass wir im Kern unbeschädigt sind und starke innere Ressourcen haben. Das soll nicht heißen, dass Sie beide nicht leiden. Ich weiß, dass Sie das tun. Aber es heißt, dass Sie die Fähigkeit haben, sich mit den Ressourcen des Herzens Ihren eigenen Verletzungen und denen Ihres Gegenübers zuzuwenden, Ihren Verletzungen und auch Ihrer Wut, Verwirrung und Verzweiflung. Deshalb werde ich Sie gelegentlich auf verschiedene Weise bitten, vom Herzen aus zu sprechen oder zuzuhören.«
Wie streiten die beiden? Bitten sie um Vergebung?
Gern erkundige ich mich bei dem Paar auch früh danach, wie es mit Konflikten in der Beziehung umgeht und ob den beiden klar ist, was an ihrem Verhalten die andere Person frustriert oder verletzt. Dadurch erhalte ich Informationen darüber, wie bewusst das Verhalten der beiden ist und wie gut sie aufeinander abgestimmt sind. Die Frage danach, ob sie um Vergebung bitten, liefert mir Informationen über Verletzungen, die ungeheilt bleiben, und über die Fähigkeit des Paares, etwas wiedergutzumachen und zu vergeben.
Susan und Marco
»Mich würde interessieren, wie Sie streiten«, sage ich zu Marco und Susan.
»Wir werden wütend«, erwidert Susan. »Eigentlich will keiner von uns gerne nachgeben, aber normalerweise zieht Marco sich zuerst aus dem Gespräch zurück.«
Ich sehe Marco an, der sagt: »Da hat sie recht.«
»Sind Sie sich bewusst, welches Verhalten dem anderen am meisten wehtut?«, frage ich.
»Ich glaube, am schlimmsten ist es für Susan, wenn ich mich abwende«, sagt Marco.
Susan nickt. »Und ich glaube, am meisten ist Marco verletzt, wenn ich missbilligend schweige.« Marco nickt.
»Und wie bitten Sie einander um Vergebung?«, frage ich beide.
»Überhaupt nicht«, antwortet Susan. »Das ist ein Teil des Problems, glaube ich. Wir schließen einen Streit nie ab. Ich habe den Eindruck, dass sich deshalb im Lauf der Zeit allerhand Gefühle angestaut haben.«
Die Herkunftsfamilie
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Herkunftsfamilie. Manche Paare haben nie darüber nachgedacht, was sie in ihrer Kindheit und Jugend über Beziehungen gelernt haben. Haben die Eltern gestritten? Falls ja, wie haben sie das getan? Haben sie Meinungsverschiedenheiten gelöst? Was haben die beiden in der Kindheit sonst noch gesehen und gelernt? Die Antworten auf diese Fragen bringen sie dazu, neugierig darauf zu sein, wie sie beeinflusst wurden. Uns wiederum vermitteln sie ein besseres Verständnis dafür, welche Ursprünge die Beziehungsdynamik hat.
Susan und Marco
»Was haben Sie von Ihren Eltern über Konflikte gelernt?«, frage ich.
Susan und Marco sehen sich wissend an.