Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
mit Hass oder Angst abgefüllt ist, gebe ich meine Hundemarke zurück.«
»Aber deswegen schießt man doch nicht ...«
»Wenn sie mich nun gar nicht treffen wollte? Sondern nur verscheuchen?« Wibbeke grunzte Protest, aber Rogge ließ sich nicht beirren. »Benno leugnet stur, auf mich geschossen zu haben.«
Eine ganze Weile grummelte Wibbeke etwas Unverständliches vor sich hin. »Na gut, und wenn sie den Stockerboten liest ... Soll ich Ihnen etwas gestehen?«
»Sie haben bis jetzt heimlich Olli verdächtigt, das Kind seiner Frau umgebracht zu haben.«
»Stimmt. Und mal ganz undienstlich, Herr Rogge: Ich hätt’s ihm seinerzeit gerne angehängt.«
»Daran zweifele ich keine Sekunde.«
»Sie haben übrigens Glück gehabt, dass Sie die Matussek angetroffen haben, sie ist die einzig Vernünftige in dem Idiotenzirkus da drüben.«
Kriminalrat Simon war nicht zu sprechen. Angeblich eine Konferenz, die gerade begönne, nein, täte ihm Leid, erst in der nächsten Woche wieder. Verstimmt legte Rogge auf und trat ans Fenster. Keine Silbe hatte er Simon eben geglaubt. Seinen Bericht würde er noch schreiben, aber dann durfte ihm der Kriminalrat im Mondschein begegnen, dann war Schluss, noch länger ließ er sich nicht wie eine Figur auf einem Schachbrett hin und her schieben. Obwohl ... Er griente schräg. Diese Kombination aus Urlaub und Ermittlung hatte ihm gut getan, das konnte er nicht leugnen, er hatte Abstand gewonnen und schon viele Tage nicht mehr an den verrückten Jungen gedacht, der mit der Pistole in der Hand auf ihn losgestürmt war. Man konnte über Simon meckern und schimpfen, aber er nahm Rücksicht auf die Eigenarten seiner Leute.
Kili hatte Witze reißen wollen: »Hast du etwa versucht, damit deinen Kaffee zu filtern?«, dann aber alle Eide geschworen, den Inhalt der Diskette erstens sauber auszudrucken und zweitens vor jedermann zu verschweigen und geheim zu halten, was immer passiere.
»Auch vor jederfrau!«
»Denkst du dabei zufällig an Jasmin?«
»Genau das tue ich.«
Bis zur Abendbesprechung hatte Rogge seinen dritten Bericht getippt, korrigiert und gedruckt. Kollege Klaus Schubert hatte sich zum Dienst zurückgemeldet, zusammen mit Peter Dingeldey biss er sich die Zähne an einem mehr als verqueren Fall aus: Ein allseits verhasster Hausmeister war schwer verletzt im Waschmaschinenkeller gefunden worden, aber kein Mieter wollte etwas gehört oder gemerkt haben, obwohl jedem die Schadenfreude aus allen Knopflöchern leuchtete.
Binnen Stunden trabte Rogge wieder voll im Kommissariats-Trott, und weil Kili wohl gewarnt hatte, erkundigte sich niemand, was der Chef in den vergangenen Tagen gemacht hatte. Zum Ausgleich deponierten sie mit faulen Ausreden ihre Akten auf seinem Tisch; die Wochenendarbeit ärgerte ihn, andererseits freute ihn, dass sie ihm vertrauten und selbstverständlich vom Chef Hilfe erwarteten.
Auch Grem schaute »rein zufällig« vorbei; Rogge seufzte, diese Begegnung hätte er gerne vermieden, aber weil der Flurfunk wahrscheinlich mit höchster Leistung sendete, wollte Rogge Grem nicht mit Ausflüchten abspeisen. Dass er Inge Webers Namen herausgefunden hatte, beeindruckte Grem und vergrätzte ihn zugleich; sein verkniffenes Gesicht hellte sich auf, als er hörte, dass Inge Weber/Charlotte Zinneck abgetaucht war: »Also hat sie doch simuliert.«
»Gut möglich«, räumte Rogge ein.
»Ich hab’s Simon immer wieder vorgetragen, aber der wusste es natürlich besser.«
Einen Moment überlegte Rogge, aber Grem strahlte vor guter Laune und Schadenfreude, und deshalb riskierte Rogge es: »Sag mal, Grem, ist dir oder deinen Leuten eigentlich aufgefallen, dass sich noch jemand für Inge Weber interessierte?«
»Na klar doch! Nach dieser blöden Fernsehsendung! Plötzlich kurvten da ganz merkwürdige Typen herum und stolperten meinen Leuten über die Füße.«
»Journalisten?«
»Die auch. Ganz schräge Vögel. So hat der Knatsch mit Simon doch begonnen, ich bin den Leutchen kräftig auf die Zehen getreten und einer hat sich wohl bei Simon - oder noch weiter oben — beschwert.«
»Davon steht aber nichts in deinen Akten.«
»Nee, warum auch? Ich musste bei Simon antanzen und der hat mir eine dicke Zigarre verpasst. Behinderung der Presse, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte und so weiter, und zum Schluss Anweisung, mich von der Weberin zurückzuziehen.«
»Nach PDV wohl ganz korrekt«, sinnierte Rogge laut.
»Scheiß auf die Polizeidienstvorschrift! Die Frau hat uns alle an der Nase herumgeführt ...«
»Was nicht unbedingt strafbar ist.«
»Irreführung der Behörden, Erschleichung von Sozialhilfe, Führen eines falschen Namens.«
»Moment, Grem. Nur wenn die Weberin von Anfang an simuliert hat, hättest du Recht.«
»Hör auf! Das kenne ich bis zum Erbrechen von Simon.
Mehrere Gutachten von renommierten Sachverständigen, ohne Zweifel totale Amnesie, kein Staatsanwalt wollte ran, kein begründeter Verdacht auf eine Straftat, also Finger weg von der Weberin.«
»Ja«, murmelte Rogge zerstreut, »diese anderen Typen — das waren nicht nur Journalisten?«
»Wahrscheinlich nicht. Privatdetektive, Sensationsjäger, vielleicht auch schlicht Perverse, was weiß ich.«
»Hm. Und jetzt mal vertraulich unter uns Simon-Opfern: Hast du dich an seine Anweisung gehalten?«
»Bin ich verrückt? Natürlich nicht!«
Darauf nickte Rogge nur unverbindlich, aber Grem war noch nicht fertig: »Bis Simon mir den Fall offiziell weggenommen hat. Das verüble ich ihm, das werde ich ihm auch so schnell nicht vergessen.«
An der Tür drehte sich Grem noch einmal um, seine gute Laune sank schon wieder: »Ich hab auch so eine Idee, wer mich angeschwärzt hat, weil ich die Weberin weiter überwachen ließ.«
»Ach ja?«
»Das war dieser Weißbart.«
»Wer ist Weißbart ... Du meinst den Gerichtsreporter vom Tageblatt? «
»Genau der. Weißt du, mit wem der befreundet ist?«
»Du meinst Rolf Kramer.«
»Genau. Und dieser windige Privatdetektiv ist ein Spezi von dir, nicht wahr?«
»Willst du jetzt Sippen- und Freundschaftshaftung einführen?«
»Es ist immer gut zu wissen, wer mit wem zusammen kungelt.« Die Tür knallte ins Schloss, Grems Blutdruck hatte wieder die übliche Höhe erreicht.
Während der Abendbesprechung saß Rogge geistesabwesend auf der Fensterbank und hörte nur mit einem Ohr zu. Trotz seiner starken Sprüche war Grem ein guter Polizist, doch für Diplomatie und bürokratische Winkelzüge besaß er kein Gespür. Nicht einmal hatte er über den merkwürdigen Widerspruch nachgedacht, dass Simon ihm den Fall weggenommen und einem anderen Beamten übertragen hatte. Denn dann hätte Grem auch zu dem Schluss kommen müssen, dass Simon nicht die Tatsache der Ermittlung, sondern nur Grems Methode, die massive Überwachung der Weberin, kritisiert hatte.
»Chef, kennst du den Witz von der Frau, die ihren Mann fragt, warum er denn so lange habe arbeiten müssen, und der sagt, nix Überstunden, sondern eine besondere Gemeinheit der Kollegen, die ihn bei Dienstschluss nicht geweckt hätten.« Kili reckte das Kinn in die Flöhe und schielte dabei auf Petra Steiniger.
»Den kenne ich, Kili«, erwiderte Rogge friedfertig.
Kirchbauer schnaufte: »So, wer übernimmt freiwillig Wochenendbereitschaft?«
Alle Köpfe drehten sich zu Rogge, der von der Fensterbank herunterrutschte und freundlich abwinkte: »Ich muss noch etwas erledigen.«
Die