Rachemokka. Hermann Bauer

Rachemokka - Hermann Bauer


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ist nicht, wo man herkommt, sondern wo man sich im Augenblick befindet«, gab Marion zurück und ging dabei lächelnd auf ihn zu. Sie umarmten und drückten sich fest. »Immer beim Verbessern, was?«, bemerkte sie mit einem Kennerblick auf die Aufgabenhefte.

      »Ob du’s glaubst oder nicht, ich bin Lehrer geworden«, gab ihr Korber Bescheid. »Und du?«

      »Ich doch auch«, ließ Marion ihn wissen. »Und wie es der Zufall will, unterrichte ich seit zwei Jahren in eurem schönen Österreich, in Korneuburg.«

      Korber schüttelte lachend den Kopf. »Wie klein die Welt ist. Magst du etwas mit mir trinken? Das ist mein Stammlokal, quasi mein zweites Wohnzimmer, und Leopold, der Oberkellner, ist mein Freund. Er hat nur gerade hinten bei den Kartentischen zu tun.«

      Marion wehrte gleich ab. »Ich habe nicht viel Zeit«, erklärte sie. »Darum wäre es gut, wenn der Ober schnell käme. Ich bin nur da, um einen Tisch für übermorgen Abend zu reservieren.«

      »Das kann ich doch machen«, bot ihr Korber an. »Übermorgen bin ich sicher auch hier. Vielleicht kommen wir da zum Plaudern.«

      Marion lächelte verlegen. »Ich glaube nicht, dass das geht. Wir sind eine größere Gruppe und haben etwas Wichtiges zu besprechen.« Sie beugte ihren Kopf nun vertraulich zu ihm herab. »Es geht um das Eichendorff-Projekt am Bisamberg«, sagte sie merklich leiser. »Ich weiß nicht, ob du schon davon gehört hast.«

      »Klar«, nickte Korber. »So etwas spricht sich schnell herum.«

      »Die machen Ernst«, teilte Marion ihm flüsternd mit. »Wir sind der Meinung, dass man die Zerstörung dieses Naherholungsgebietes nicht widerspruchslos hinnehmen kann. Deshalb tun wir uns zusammen.«

      »Und warum trefft ihr euch hier und nicht in Korneuburg?«, wollte Korber wissen.

      »Die Politiker dort sind Feuer und Flamme für das Projekt«, weihte Marion ihn ein. »Wir wären zu nahe am Feind. Was wir brauchen, ist ein ruhiger Ort, wo wir uns stressfrei unsere Vorgangsweise überlegen können. Das Heller ist für alle Teilnehmer gut erreichbar, und hier vermutet uns keiner.« Sie warf Korber einen besorgten Blick zu. »Du wirst uns doch nicht verraten!«

      »Wo denkst du hin?«, wehrte Korber sofort ab. »Ich habe ja auch meine Zweifel, ob da alles mit rechten Dingen zugeht.«

      »Dann bin ich beruhigt«, seufzte sie. Marion wirkte aber gar nicht ruhig, sondern ziemlich nervös. Besorgt warf sie einen Blick auf die Uhr. Sie schien wirklich in Eile zu sein.

      »Du musst nicht auf Leopold warten«, versicherte Korber ihr. »Wenn du mir vertraust, übernehme ich die Reservierung.«

      Marion überlegte. »Das würdest du wirklich tun?«, fragte sie.

      »Selbstverständlich! Das ist mein Stammcafé, Leopold ist, wie gesagt, mein Freund, und die Chefin kenne ich auch. Wir machen es auf meinen Namen, da kann nichts schiefgehen«, setzte Korber ihr auseinander. »Sag mir nur, für wann und für wie viele Personen.«

      »Wir sind zu zehnt und treffen uns übermorgen um 19.30 Uhr«, gab Marion an.

      »Also Donnerstag um 19.30 Uhr, zehn Personen«, notierte Korber sich. »Da wird man euch nach hinten zu den Kartentischen setzen. Um diese Zeit habt ihr dort genügend Platz.«

      »Danke«, atmete Marion kräftig durch. »Bitte zu niemandem ein Wort über den Zweck unseres Treffens, das ist sehr wichtig! So, jetzt muss ich aber!«

      Korber versprach, dass er alles zu Marions vollster Zufriedenheit erledigen würde. Sie verabschiedeten sich mit einer weiteren Umarmung, ehe sie nach draußen flüchtete. Korber schaute ihr gedankenverloren nach. Selbstverständlich würde er am Donnerstagabend auch da sein. Er hoffte, dass sich trotz der Versammlung eine Gelegenheit ergeben würde, mit ihr ein wenig über vergangene Zeiten zu plaudern. Er erinnerte sich daran, mit ihr in Heidelberg viel Spaß gehabt zu haben. Jetzt wirkte sie ernster und ein wenig gezeichnet von den Spuren vergangener Jahre.

      Korber hatte Marion damals sehr gemocht, war aber nie richtig in sie verliebt gewesen. Nun schloss er die Anbahnung einer intensiveren Beziehung nicht aus. Dabei fiel ihm ein, dass sie wahrscheinlich schon vergeben war. Ob sie wohl noch, wie ehedem, den Familiennamen Kirchner trug? Egal. Er speicherte sie vorerst so in seinem Gedächtnis ab. In seiner augenblicklichen Situation suchte er weibliche Nähe, das war das Wichtigste. Er hoffte deshalb, dass sich am Donnerstag etwas ergeben würde.

      Als Leopold wieder nach vorne kam, zahlte er und tätigte ohne jeden weiteren Kommentar die Reservierung bei seinem erstaunten Freund. Dann verließ auch er das Café Heller.

      Kapitel 2

      Dienstag, 29. Juni, abends

      Leopolds Lebensgefährtin Erika Haller konnte zufrieden sein. Ihr neues Buch- und Papiergeschäft, das sie vor kurzer Zeit von Herrn Lederer übernommen hatte, lief besser, als sie es erwartet hatte. Thomas Korber hatte sie zu dem Wechsel überredet, und seine Einschätzung der Lage hatte sich als richtig erwiesen. Sie profitierte von der Nähe des Gymnasiums, des Bahnhofs und dem großen Einzugsgebiet, und wenn sie die Ärmel aufkrempelte, konnte sie hier noch viel erreichen.

      Natürlich gab es gerade am Anfang viel Stress und Überstunden, aber die Gewissheit, dass sie auf dem richtigen Weg war, beflügelte Erika. Ständig kamen ihr neue Ideen, wie sie das Geschäftslokal attraktiv gestalten und einen zufriedenstellenden Umsatz erzielen konnte. Nach getaner Arbeit machte sie dann einen Sprung ins Café Heller, das in unmittelbarer Nähe lag. Anfangs freute sich Leopold noch über ihre Besuche, doch als er merkte, dass sie zur ständigen Einrichtung werden sollten, schwand seine Begeisterung rasch. Das Kaffeehaus war seine Arbeitsstätte, wo er seine Ruhe haben wollte, für das Familienleben gab es die gemeinsame Wohnung im Bezirksteil Jedlesee. Er hatte aber keine Chance. Erika und Frau Heller waren dicke Freundinnen geworden, duzten einander, hatten sich für gewöhnlich eine Menge zu erzählen und ließen sich durch seinen Grant nicht dabei stören.

      Auch jetzt kam Erika wieder aufgekratzt zur Tür herein und drückte Leopold mit einem herzlichen »Guten Abend, Schnucki!« einen Kuss auf die Wange.

      »Bist du heute wieder gut drauf«, bemerkte er irritiert.

      »Sogar außergewöhnlich gut«, teilte sie ihm mit. »Die Geschäfte gehen hervorragend, Schnucki! Die Leute werden auf mich aufmerksam. Es gibt richtig viel zu tun. Ich denke, ich werde das mit einem Glas Prosecco feiern. Trinkst du auch eines, Sidonie?«

      »Aber selbstverständlich«, antwortete Frau Heller gut gelaunt. »Es freut mich, dass dein neuer Laden so wunderbar anläuft.« Leopold füllte zwei Gläser mit der prickelnden Flüssigkeit. Indessen wandte sich die Chefin vertraulich an Erika Haller: »Wer weiß, vielleicht wird alles bald noch besser, wenn es mit dem Eichendorff-Projekt ernst wird.«

      »Ich habe mir dazu schon einiges überlegt«, erwähnte Erika. »Mit der Hilfe von Thomas werde ich mein Sortiment in Richtung Eichendorff und die literarische Romantik erweitern. Aber das ist nur der Anfang. Mit einiger Fantasie lässt sich mit dem Begriff Romantik noch einiges machen. Ich denke zum Beispiel an eine Romantik-Ecke mit Liebesromanen für jugendliche Leserinnen und Leser, an romantische Postkarten, Aufkleber, Briefpapier und so weiter!«

      »Oh la la«, schnalzte Frau Heller mit der Zunge. »Das klingt verdammt gut! Dann lass uns auf die vielversprechenden Entwicklungen in unserem Bezirk anstoßen. Prost, Erika!«

      »Prost, Sidonie!« Sie ließen die Gläser klingen. »Magst du auch einen Schluck, Schnucki?«, fragte Erika, nachdem sie getrunken hatte.

      »Bedaure, bin im Dienst«, lehnte Leopold dankend ab. »Außerdem weiß ich nicht, was es da zu feiern gibt.«

      »Freust du dich denn gar nicht mit mir?«, wollte Erika wissen, und es klang enttäuscht.

      »Ich kann mich nicht freuen, wenn alles nur mehr darauf aufgebaut ist, möglichst viele Fremde in unseren Bezirk zu karren, die unsere letzten Grünoasen verwüsten«, setzte Leopold ihr auseinander. »Leider ist das so, auch wenn du davon profitierst.«

      »Wir


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