Mörderisches Vogtland. Roland Spranger

Mörderisches Vogtland - Roland Spranger


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Kartoffelsuppe und Rouladen mit grünen Klößen gehörten Quarkkeulchen als Dessert zu ihrem Drei-Gänge-Menü, das wie die Kreationen der anderen Hoheiten gemeinsam verkostet und bewertet wurde. Zuvor hatte Rosa im Kunsthaus eine Ausstellung mit konstruktiver Kunst besichtigt. Laut Aufgabenstellung war dort ein Kunstwerk auszuwählen, das die Kandidaten in einer schriftlich fixierten Interpretation mit der runden Knolle verbinden sollten. Rosa hatte eine Installation aus verschiedenen geometrischen Figuren ausgewählt und ihnen den Weg der Kartoffel ausgehend von der Entdeckung in Südamerika bis zum heutigen Anbau in fast ganz Deutschland zugeordnet. Mit der konkreten und visuellen Poesie im Kunsthaus hatte der nächste Auftrag nicht unmittelbar zu tun. Rosa vermutete jedoch, dass die Jury durch das Museum oder das Wort Poesie inspiriert worden war. Ein Kartoffelgedicht sollte geschrieben werden, möglichst eins, das man als Liedtext verwenden konnte. Das Dichten lag Rosa nicht so. Die Kartoffel in eigene Verse zu pressen, war ihr deshalb gründlich misslungen. Es war eher ein ›Reim dich oder ich fress dich‹-Gedicht entstanden. »Kartoffeln haben alle gern, egal ob nah oder fern. Die Mama kocht die tolle Knolle, der Papa futtert sich den Bauch ganz volle …« Siegverdächtig klang das nicht, aber die Aufgabe war erfüllt. Im Jugendzentrum sollte sie mindestens sechs Kinder und Jugendliche gleichzeitig mit dem Thema Kartoffel beschäftigen. Dafür hatte sie ein paar Kartoffeln, Pinsel, Stofffarbe und weiße T-Shirts geordert. Sie ließ die Teilnehmer Kartoffelstempel schnitzen und die Shirts damit bedrucken. Alle hatten ihren Spaß. Dann wurden gemeinsam Begriffe gesucht, die mit Kartoffeln in Verbindung standen. Alex hatte unauffällig zugehört, wie die Einheimischen Rosa Worte zuriefen, die sie notierte. Am Ende hatte sie die stattliche Anzahl von 317 Wörtern in ihrem Notizbuch stehen. Das musste erst einmal jemand nachmachen! Bratkartoffeln, Salzkartoffeln, Pellkartoffeln, Kartoffelkönig, Kartoffelhaus, Kartoffelkäfer, Kartoffelacker, Kartoffelsorte, Kartoffelturm … Es gab so viele Kartoffelwörter! Auch ein paar sinnlose Begriffe wie Kartoffelbraut oder Kartoffelreichtum waren dabei. Der Begriff Reichtum hatte Alex wieder an den Grund seiner Anwesenheit erinnert.

      Es war bereits dunkel gewesen, als Rosa nach dem abendlichen Treffen der Hoheiten zu ihrer Unterkunft laufen wollte. Sie hatte ihr Zimmer etwas außerhalb gebucht und für den niedrigen Preis lieber ein paar Minuten Fußmarsch auf sich genommen.

      Alex hatte in einer Seitenstraße auf die Prinzessin gewartet und ihr einen in Chloroform getränkten Lappen ins Gesicht gedrückt. Es dauerte nicht lange, bis Rosa bewusstlos in seine Arme gesunken war. Er nahm das Fliegengewicht auf den Arm und ging damit die paar Schritte bis zum Auto. Dort setzte er Rosa behutsam auf den Beifahrersitz, schnallte sie an, erneuerte den Chloroformlappen und fuhr mit ihr zur Bergwacht am Kornberg. Bei seinem letzten Besuch hatte er sich auf der Rückseite Zugang verschafft und den Zweitschlüssel mitgehen lassen. Ein paar Lebensmittel hatte er bei seinem Kontrollgang vor zwei Tagen vorsichtshalber hier gelagert. Die Fesseln und den Knebel legte er Rosa ziemlich locker an, denn er wollte sie nur vorübergehend aus dem Verkehr ziehen und nicht umbringen.

      Der Ausflug und das Fest am Samstagabend hatten wie von ihm geplant ohne Rosa stattgefunden. Ihr Verschwinden war erst nach der Tour in den Ortsteil Pilgramsreuth aufgefallen. Mitarbeiter des Organisationsbüros hatten sich im Hotel umgehört und erfahren, dass die Kartoffelhoheit ihr Bett in der letzten Nacht nicht benutzt hatte. Rosa war weg, ihr Handy ausgeschaltet. Die Show war ohne sie weitergegangen. Alex hatte sich darauf verlassen, dass sie innerhalb kurzer Zeit am Kornberg gefunden werden würde. Seinen Auftrag glaubte er erledigt, denn die Wahl der Deutschen Kartoffelkönigin konnte Rosa nicht mehr beeinflussen. Das Vogtland hatte wieder einmal verloren. Alex auch, nur wusste er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Als er das Hotel verließ, wartete der nächste Gast bereits darauf, dass sein Zimmer frei wurde. Er gehörte zur Journalistenmeute, die deutschlandweit über ein besonderes Ereignis berichtete. Nach der Morddrohung hatte Alex Rosa und Pilgramsreuth in die Internetsuchmaschine eingegeben. Fassungslos hatte er auf die vielen Einträge geblickt. Er hatte mehrere Meldungen gelesen und sich den Rest zusammengereimt. Inzwischen schwante ihm etwas.

      Am Tag nach der Krönung hatten sich die Hoheiten erneut auf Pilgramsreuther Flur begeben. Dort wurde das Legen der Kartoffelsorte Rosa mit einem zünftigen Frühschoppen gefeiert. Die Sorte mit der roten Schale und dem weißen Fleisch liebten die Bauern wegen des hohen Ertrags. Trotzdem sollte sie von den Äckern verschwinden. Das Unternehmen Knollo Knollanum hatte viel Geld investiert, um vorhandene Saatkartoffeln aufzukaufen und zu vernichten. Der Kartoffel-Mogul wollte eine Neuzüchtung auf den Markt bringen, an der er etliche Jahre experimentiert hatte. Viele Bauern waren bereits auf seine vollmundigen Versprechen hereingefallen und hatten Rosa fast freiwillig aus ihrem Anbauprogramm verbannt, andere gegen gewisse Geschenke. Nur die Pilgramsreuther hatten sich gegen ihn aufgelehnt, als er Rosa aus dem Katalog gestrichen hatte.

      Das alles musste Alex irgendwie entgangen sein. Dafür dauerte es nicht lange, bis Knollo Knollanum den Irrtum seines Kartoffelkillers bemerkt hatte. Statt einer Bezahlung ließ er ihm Morddrohungen schicken. Bei seinen Nachforschungen hatte Alex auch erfahren, was seiner Kartoffelprinzessin widerfahren war. Rosa I. wurde nach drei Tagen in ihrem Gefängnis auf Zeit gefunden. Ihr Tod war der Aufmacher des Lokalblattes. Auch die überregionalen Zeitungen berichteten vom Schicksal der Vogtländerin. Was mit Rosa geschehen war, konnte sich Alex nicht erklären. Die Presse hatte keine Einzelheiten veröffentlicht. Das deutete auf ein Gewaltverbrechen hin. Entweder hatte sie sich saudumm angestellt, oder es gab den großen Unbekannten. ›Es kann nur jemand dort gewesen sein und sie umgebracht haben‹, redete er sich immer wieder ein, denn er hatte sie ja nur vorübergehend aus dem Verkehr ziehen wollen. Alex hatte seinen Auftraggebern nach reiflicher Überlegung ein Angebot gemacht und um eine zweite Chance gebeten, während die Kartoffelsorte Rosa den Siegeszug auf den Feldern um Rehau antrat und seine Beteuerungen lächerlich erscheinen ließ. Das große Geschäft von Knollo Knollanum war erst einmal gescheitert – am Zusammenhalt der Vogtländer in Oberfranken. Gescheitert war auch der Hobbykriminelle Alex, dessen Leiche an einem Saalewehr hängen geblieben war und erst im Hochsommer gefunden wurde.

      Freizeittipps:

       12 Vogtländischer Knollensteig: Der Vogtländische Knollensteig ist ein 8,1 Kilometer langer Kartoffellehrpfad, der vom Verein Vogtländischer Knollenring e. V. betreut wird. Er befindet sich im Vogtlandkreis zwischen den Ortschaften Hundsgrün und Tirschendorf. Auf 16 Tafeln erfährt der Besucher Wissenswertes über die Kartoffel und den Anbau im Vogtland.

       13 Gündels Kulturstall: Im Reichenbacher Ortsteil Rotschau hat Familie Gündel einen Familienhof. Für die Inhaber steht alles im Zeichen der Kartoffel. Sie bauen ungezählte Sorten an und sichern damit die Erhaltung. Die traditionelle Kartoffelernte wie in Omas Zeiten sowie die Kartoffel- und Weinverkostungen der besonderen Art haben Kultcharakter. Im Kartoffelshop gibt es verschiedene Sorten zu kaufen. Beiträge des Kartoffel-TV auf der Website informieren über das aktuelle Geschehen. Gündels trifft man bei allen möglichen Aktivitäten rund um die Kartoffel, auch auf der Grünen Woche.

       14 Pilgramsreuth: Pilgramsreuth ist ein beschaulicher Ortsteil von Rehau, der als Ursprung der vogtländischen Kartoffel gilt. Ein Denkmal im Kirchhof erinnert an den ersten Kartoffelbauern Hans Rogler, dessen Name in Verbindung mit dem Kartoffelanbau im Jahr 1647 schriftlich belegt ist. Die evangelisch-lutherische Pfarrkirche vereint gotische Fresken mit barocken Malereien und spätgotischen Holzfiguren.

       15 Großer Kornberg: 827 Meter hoher Granitberg im Nordwesten des Fichtelgebirges unweit von Rehau, erkennbar durch den Aufklärungsturm der Bundeswehr aus der Zeit des Kalten Krieges. Wer die 114 Stufen der Schönburgwarte hochsteigt, kann bei entsprechendem Wetter eine wunderbare Aussicht genießen.

       16 Wanderwege des Fichtelgebirgsvereins – Der Nordweg: Der Nordweg führt auf 65 Kilometer Länge von Kulmbach in Richtung Selb/Staatsgrenze zu Tschechien. Der hier beschriebene Teil verläuft von Niederlamitz/Dörflas über die Zigeunersteine und den Wackelstein zur Ruine Hirschstein und von dort weiter auf den Gipfel des Großen Kornbergs. Der Abstieg erfolgt über die gegenüberliegende Seite in Richtung Vorsuchhütte–Brunn.

       17 Wackelstein: Wackelsteine sind Felsblöcke, die auf steinernem Grund aufliegen und sich mit wenig Muskelkraft bewegen lassen. Sie entstehen durch die Wollsackverwitterung, eine chemische und physikalische Zersetzung. Der Wackelstein am Kornberg ist aus Granit und etwa 250 Tonnen


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