Elternlos. Hans-Joachim Risto
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© 2021 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99107-460-1
ISBN e-book: 978-3-99107-461-8
Lektorat: Marie Schulz-Jungkenn
Umschlagfotos: Pikepicture, Esther19775,
Vladimir Ovchinnikov | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
Innenabbildungen: Hans-Joachim Risto
Geburt und Landsberg (Warthe)
1935 war Friedenszeit. Es war ein Jahr, das zu den guten Jahren nach all den Entbehrungen der Nachkriegszeit, der Inflation, der Weltwirtschaftskrise und der enormen Arbeitslosigkeit Anfang der 30iger-Jahre gehörte. Die Menschen waren wieder fröhlich und glaubten an eine großartige Zukunft. Sie jubelten Hitler zu. Er hatte es geschafft, Arbeitslosigkeit und Elend weitgehend zu beseitigen. Die meisten Leute hinterfragten nicht, wie das möglich war und was Hitler mit seiner Politik erreichen wollte. Sie wollten das alles auch gar nicht wissen, Hauptsache, es ging ihnen gut. Zweifel an den Zielen des Regimes wurden weitgehend verdrängt, man hörte nicht so genau hin, was Hitler sagte, man gab sich einfach der Euphorie dieser Zeit hin. Man hatte wieder etwas, woran man glauben konnte nach all der Schmach, die den Deutschen angetan worden war. Der verlorene Krieg, das Versailles-Diktat, die Enteignung der Kolonien, die Besetzung des Rheinlandes und die verlorene Monarchie. Deutschland war im Aufbruch, für die Masse keineswegs in Richtung eines neuen Krieges, eher nach Rehabilitierung, nach Abschütteln der Versailler Unrechte und nach wirtschaftlicher Blühte. Man traute es Hitler zu, das alles zu verwirklichen. Für die stark aufkommenden Kommunisten hatte man wenig Sympathie, obwohl sie eine erhebliche Wählerschaft hatten. In dieses Jahr hinein wurde ich nun geboren von einer jungen Frau von 24 Jahren, die selbst noch ihren Weg ins Leben suchte. So ähnlich ging es auch meinem Vater, dem einzigen Sohn einer sehr reichen Familie. Sie besaßen in Landsberg an der Warthe ganze Häuserzeilen und eine Fabrik in Czarnikau, Provinz Posen. Mein Vater, Heinz Paulsen, war Alleinerbe und hatte bis zu der Zeit, als ich geboren wurde, wohl kaum gearbeitet.
Mein Vater
Nach dem von mir Vernommenen hatte er Ingenieur-Wissenschaft studiert und sich auf die Übernahme des Grundstück-Vermögens vorbereitet. Nach den Fotos zu urteilen, waren seine Eltern schon sehr alt. Allerdings lebten zu der Zeit noch seine Großeltern, die wohl etwa in dieser Zeit ihre Goldene Hochzeit feierten, wie aus den Fotos zu entnehmen ist. Mein Kommen scheint den Eltern und Großeltern meines Vaters nicht willkommen gewesen zu sein. Jedenfalls wollten sie eine feste Verbindung zu meiner Mutter nicht unterstützen, so sagten es mir meine Großeltern mütterlicherseits. Leichte Zweifel daran kommen mir allerdings angesichts eines Fotos aus meiner großelterlichen Wohnung, auf dem neben meinen Eltern, den Eltern meiner Mutter auch die Großmutter meines Vaters zu sehen ist. Die Zweifel werden größer, wenn ich die Fotos betrachte von der Verlobung meiner Eltern, bei der die Großeltern meines Vaters und seine Mutter anwesend sind.
In Omas Wohnung, meine Eltern u.
meine Omas, 1934
Verlobung meiner Eltern, Wohnung meiner väterlichen Großeltern, 1934
Danach kann es doch eigentlich keine so starke Ablehnung gegen meine Mutter als Ehefrau von Heinz Paulsen gegeben haben. Vielleicht hat sich das Ganze durch meine Anwesenheit geändert und die Familie meines Vaters glaubte an eine vorübergehende Liebschaft. Durch mein Unterwegssein und meine Geburt wurden nun Tatsachen geschaffen, die Verpflichtungen auslösten. Es wurde ernst. Möglich dass erst jetzt die Ablehnung meiner Mutter deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. Meine Mutter als Tochter eines Gastwirts, gelernten Fleischers und Kochs und einer Hausfrau war nicht standesgemäß, so jedenfalls sagte es mir meine Großmutter einmal. Warum meine Mutter sich scheinbar mehr zu der Arztfamilie Tews in Landsberg in dieser Zeit hingezogen fühlte, sich dort oft mit mir aufhielt und dann nach Berlin ging, um mich dort zu entbinden, ist mir verborgen geblieben. Ich vermute, es gab meinetwegen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater. Über mögliche Treffen oder eine Beziehung zu meinem Vater während der Schwangerschaft und danach ist mir leider nichts bekannt. Auch hier nur die Vermutung, die Schwangerschaft hat die Beziehung auseinandergebracht. Die Eltern meines Vaters waren scheinbar dagegen. Damit war meine Mutter in doppelter Weise in die Enge getrieben. Einmal war sie von meinem Vater verlassen und zum anderen hatte sie Probleme mit ihrem Vater. So entband sie in einem Krankenhaus in Berlin-Neukölln. Wahrscheinlich wohnte sie bei ihrem Onkel Richard, zu dem und dessen Frau Else sie schon früher gute Beziehungen unterhielt. Mein Opa hatte in den 20er-Jahren seinem Schwager Richard die Else Wunnicke aus dem Dorf Zechow bei Landsberg als Ehegattin empfohlen. Er kam als fahrender Händler damals in zahlreiche Dörfer und lernte dadurch viele Menschen kennen, was seinen Schwager veranlasste, ihn zu fragen, ob er nicht eine junge Dame kennen würde, die für ihn als Ehefrau geeignet wäre. Tatsächlich wurde Else dann seine Ehefrau. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, zu deren Tochter ich heute noch in Verbindung stehe. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass 1945 Richard und Else mit ihrer Villa im Französischen Sektor angekommen waren und Einquartierung von französischen Offizieren hatten. Else, noch relativ jung und sehr hübsch, fand Anklang bei einem der Offiziere. Onkel Richard ließ sich scheiden, aber nur, um seine Else später erneut zu heiraten, nachdem die Franzosen abgezogen waren. Irgendwann zwischen 1936 und 1938 zogen wir nach Oranienburg und später in das Dorf Malz bei Oranienburg, wo wir bei einem Bauern in einem Mansardenzimmer wohnten. An diese Zeit kann ich mich noch gut erinnern. Ich müsste damals etwa 3 bis 4 Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter hatte sich mit einem Lebenspartner zusammengetan, mit dem wir in Malz in einem Bauernhaus lebten. Es war eine schlimme Zeit. Der Mann war oft betrunken und schlug meine Mutter regelmäßig. Ich erinnere mich, wie er sie einmal mit Holz „bearbeitete“, das unmittelbar vor unserer Wohnungstür im 1.Stock aufgeschichtet war. Auch kann ich mich lebhaft daran erinnern, wie uns einmal meine Oma Helene besuchte und sie mit mir spazieren ging. Wir machten an einer kleinen Brücke halt und pflückten Blumen, Sie war sehr, sehr nett zu mir – wie dann auch in meinem späteren Leben. An einem großen Wasser angelangt, warf ich ein kleines rotes Rad von einem Spielzeugwagen in ein großes Wasser und fragte, ob das Rad auch bei Onkel Richard ankommen werde. Meine Oma bestätigte ganz ernsthaft mein Wunschdenken. Einmal hatte mich meine Mutter allein gelassen (das kam sicher öfter mal vor), wenn sie wegging, hatte ich immer fürchterliche Angst und weinte sehr. An diesem Tag bin ich ins Dorf gelaufen und kam an einen Waldrand. Ich ging einen schönen Waldweg entlang und fand einen kleinen Karren, den ich hinter mir herzog. Langsam füllte ich ihn mit allen möglichen Gegenständen, die ich unterwegs im Wald fand. Ich erinnere mich an eine emaillierte Kaffeeflasche mit Schnappverschluss. Voller Stolz über meinen Ausflug und die gefundenen Sachen kehrte ich irgendwann um. Ich kam erst gegen Abend in das Dorf zurück. Dort gab es einen riesigen Menschenauflauf. Meine Mutter hatte das ganze Dorf zusammengetrommelt, um mich zu suchen. Da niemand meine Wegrichtung kannte, war man am Dorfausgang stehen geblieben und diskutierte gerade darüber, wo ich nun hingegangen sein könnte. Als mich meine Mutter wieder in ihre Arme schließen konnte, war sie unheimlich glücklich