Lebendige Seelsorge 4/2015. Группа авторов
erreicht. Aber dieses System funktioniert schon lange nicht mehr. Nach meinen Erfahrungen sind die einzelnen Pfarrämter rund um die Uhr mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 30% zu erreichen. Ich denke, dass nicht die einzelne Pfarrei immer erreichbar sein muss, sondern dass das „System Kirche“ jederzeit sicher erreichbar sein muss, um Menschen in Not- und Krisensituationen helfen zu können. Vorbilder für solche Erreichbarkeiten gibt es viele, z.B. in den Notdiensten der Handwerker oder der Ärzte. Hier könnte die Kirche lernen.
Noch eine biblische Anmerkung: als Jesus gefragt wurde, was das richtige Tun sei, sagte er nicht: „Feiere schöne Gottesdienste“ oder „Lehre alle den Katechismus“ oder „Verwalte den Tempel“, sondern er erzählte die Geschichte vom Barmherzigen Samariter und sagte dann: „Gehe hin und mach es genau so!“
„UBI EPISCOPUS IBI ECCLESIA“ – WO DER BISCHOF IST, DA IST DIE KIRCHE (CYPRIAN VON KARTHAGO, 3. JAHRHUNDERT N. CHR.)
Wir haben uns in der Vergangenheit daran gewöhnt, dass kirchliche Arbeit grundsätzlich von ordinierten oder geweihten Personen getan wird. Der Satz des Heiligen Cyprian wurde nicht nur in seinem positiven Sinne rezipiert, dass der Bischof (oder seine Stellvertreter) immer auch für die ganze Kirche einstehen und für die ganze Kirche Verantwortung haben, sondern auch in seinem negativen Sinne: wenn kirchliche Arbeit nicht von geweihten oder ordinierten Hauptamtlichen gemacht wird, dann ist es keine wirkliche kirchliche Arbeit.
Wir merken, dass die Fülle der Notfallseelsorge-Einsätze nicht mehr alleine von den hauptamtlichen SeelsorgerInnen erledigt werden kann. Besonders deutlich wird dies an den hohen Feiertagen, an denen sowohl die evangelischen als auch die katholischen SeelsorgerInnen eine Vielzahl von Gottesdiensten bewältigen müssen. Die Antworten auf diese Erfahrung sind vielfältig: einige Systeme setzen nach wie vor ausschließlich auf Hauptamtliche. Das hat dann die Folge, dass entweder die Hauptamtlichen immer mehr arbeiten müssen, oder dass eben nicht alle Einsätze wahrgenommen werden können. Beides ist nicht befriedigend. Andere Systeme arbeiten zusätzlich zu den Hauptamtlichen mit Ehrenamtlichen, denen aber die Fähigkeit zum Seelsorger oder zur Seelsorgerin nicht ganz zugetraut wird. Sie sind dann „Mitarbeitende der Notfallseelsorge“, obwohl sie natürlich im Einsatz vollkommen selbstständig und bei weitem nicht nur „mit“ arbeitend tätig sind. Andere Systeme setzen voll auf die Mitarbeit von gut ausgebildeten ehrenamtlichen SeelsorgerInnen, was manchmal aber auch zur Folge hat, dass sich Hauptamtliche aus diesem Bereich zurückziehen.
Ich denke, es geht hier ganz grundsätzlich um die Frage, wie wir uns die künftige Kirche vorstellen. Wie weit wird sie von Hauptamtlichen, wie weit von Ehrenamtlichen geprägt sein? Können wir uns vorstellen, dass Ehrenamtliche gute SeelsorgerInnen sind und die Kirche im Sinn von Jesus Christus gut weiterentwickeln? Inwieweit relativiert die gute Arbeit von nicht-geweihten und nicht-ordinierten Christen den Status und die Arbeit der Ordinierten und Geweihten?
Ich glaube, dass wir auf die Arbeit der Ehrenamtlichen nicht verzichten können und ich plädiere dafür, sie gut auszubilden und zu begleiten und ihnen jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Denn durch ihre Begeisterung, ihren Einsatzwillen und durch ihren Glauben werden sie die Zukunft der Notfallseelsorge und der Kirchen prägen.
OHNE MICH KÖNNT IHR NICHTS TUN (JOHANNES 15,5)
Als Christ glaube ich, dass Jesus mir hilft, Gutes zu tun. Die Beziehung zu ihm hilft mir, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen oder mich für Menschen in Not- und Krisensituationen zu engagieren. Mein Glaube an die Gegenwart Gottes hilft mir, Situationen auszuhalten, in denen nur Chaos und Tod zu herrschen scheinen. Solche Erfahrungen und Bibelstellen wie die oben genannten führen manchmal dazu, dass christliche HelferInnen davon ausgehen, dass nur sie wirklich helfen können und dass andere, z.B. weltliche Hilfsangebote oder Angebote anderer Religionen, zwangsläufig defizitär sein müssen.
Das führte in den Anfangsjahren der Notfallseelsorge zu zum Teil heftigen Auseinandersetzungen über die Frage, wie weit wir mit anderen Institutionen, z.B. mit Kriseninterventionsteams, zusammenarbeiten können. Viele VertreterInnen der Notfallseelsorge halten auch heute noch an einem Alleinstellungsmerkmal der christlichen Notfallseelsorge fest, oft ohne dass dieses ausreichend begründet wird.
Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass viele „weltliche“ Hilfsangebote genau so hilfreich sind wie kirchliche Angebote. Ich bewundere die vielen ehrenamtlichen KriseninterventionshelferInnen, die Zeit, Geld und Engagement opfern, um anderen zu helfen. Und im Zusammenspiel mit anderen Religionen ist es klar, dass mir oft die Kompetenz fehlt, um z.B. Muslime oder Juden so zu betreuen, wie sie es eigentlich brauchen. Jedes Angebot hat seine je eigenen Stärken und Schwächen. Nur in der Zusammenarbeit werden wir die jeweiligen Stärken für die Betroffenen fruchtbar machen können.
Deutschlandweit hat die gegenseitige Anerkennung der Arbeit zur Erfindung der „Psychosozialen Notfallversorgung“ (PSNV) geführt, in der Notfallseelsorge, Krisenintervention, Feuerwehrseelsorge, Stressbearbeitung etc. zusammengefasst werden. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Christen anfangen, auch Nichtchristen zu vertrauen. Die Arbeit vieler Kriseninterventionsteams ist hochprofessionell und für die Betroffenen hilfreich. Im Bereich der größeren Strukturen, z.B. im Katastrophenschutz, müssen wir spätestens in dem Moment, in dem wir keine gut ausgebildeten „Leitenden Notfallseelsorger“ haben, uns daran gewöhnen, von einem nichtkirchlichen „Leiter PSNV“ geführt zu werden. Ich denke, es steht uns gut an, unseren Platz im Konzert der PSNV zu finden und nicht so zu tun, als ob wir alles besser können oder als ob unsere Hilfe wertvoller sei als die Anderer. Versuchen wir, eigene fähige Mitarbeitende in die Führungsausbildung zu schicken und vertrauen wir darauf, dass auch nicht-kirchliche Führungskräfte NotfallseelsorgerInnen sinnvoll führen können.
(JESUS) FING AN, SIE AUSZUSENDEN, JE ZWEI UND ZWEI (MARKUS 6,7)
In der kirchlichen Seelsorge haben wir uns seit langem daran gewöhnt, dass Seelsorge immer von einer Person ausgeübt wird. Es kam darauf an, dass ein Geistlicher da ist (in der Sakramentenseelsorge natürlich ein geweihter). Alles andere würde sich schon ergeben. Auch in meiner Ausbildung wurde ich für das 1:1-Gespräch ausgebildet und andere Seelsorgesituationen wurden schlicht ausgeblendet. In der Notfallseelsorge sind wir nur in wenigen Fällen mit einer einzelnen Person befasst. Meistens haben wir es mit einer Familie oder einer Gruppe zu tun. Und die Erfahrung zeigt, dass die Bedürfnisse innerhalb dieser Familie oder Gruppe meistens so unterschiedlich sind, dass ich sie alleine nicht befriedigen kann. Von den Kriseninterventionsteams lernen wir, dass sie meistens zu zweit ausrücken. Und bei entsprechenden Versuchen in der Notfallseelsorge merken wir, dass unsere Arbeit besser wird, wenn wir im Team tätig werden.
Hier könnte man fast von einem Paradigmenwechsel in der Notfallseelsorge sprechen:
Wir merken, dass es den Betroffenen besser geht, wenn wir im Team arbeiten.
Wir merken, dass es auch uns besser geht, wenn wir uns gegenseitig ergänzen, kontrollieren, helfen.
Wir merken, dass manchmal Männer, manchmal Frauen besser helfen können. Gerade auch hinsichtlich der Genderproblematik ist es schlicht notwendig, dass mindestens 50% aller NotfallseelsorgerInnen Frauen sein sollten.
Wir brauchen eine andere Seelsorge-Ausbildung. Nicht die Arbeit eines Einzelnen sollte im Vordergrund stehen, sondern die Arbeit im Team, in dem Schwächen ausgeglichen werden, in dem Geschlechter-Aspekte wahrgenommen werden, in dem wir uns gegenseitig helfen und korrigieren können, in dem Einzel- und Gruppensupervision zum selbstverständlichen Arbeitsalltag gehört. Hier gibt es viel aufzuholen – für die Notfallseelsorge und für die Kirchen.
WELCHE GESETZE GELTEN IN DER KIRCHE?
Im Jahr 2013 wurden unter der