Geist & Leben 1/2020. Verlag Echter
und nennt nur biblische Gestalten „heilig“ (hágios); an einer Stelle (VA 46,1) spricht der Text von den „heiligen Märtyrern“, die auch einer normativen Vergangenheit angehören. Der spätantike Sprachgebrauch ist uneinheitlich, seit dem 5. Jh. setzten sich hágios im Griechischen bzw. sanctus im Lateinischen als termini technici durch.
7 Die zahlreichen Parallelen zu Athanasius’ apologetischem Doppelwerk Contra gentes / De incarnatione Verbi legen offen, dass in diesen Kapiteln vor allem der Hagiograph spricht, nicht der Heilige selbst.
8 Eusebius von Caesarea, Historia ecclesiastica VI 2,3 f.; 3,4.
9 Martin Luther, De votis monasticis (WA 8, 608,35–37).
10 Hierzu und zum Folgenden vgl. P. Gemeinhardt, Die Heiligen, 91 f.; 96–103 [s. Anm. 1].
Michael Bordt SJ | München
geb. 1960, Professor für Philosophie und Vorstand des Instituts für Philosophie und Leadership der Hochschule für Philosophie, München [email protected]
Johannes Lober | München
geb. 1983, Lehrbeauftragter für Führungsethos und Geschäftsführer des Instituts für Philosophie und Leadership der Hochschule für Philosophie, München [email protected]
Akademie „Führung und Persönlichkeit“
Ignatianische Spiritualität für künftige Führungskräfte
In den kommenden Zeilen möchte wir ein Projekt vorstellen, dass wir ausgehend von den Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola entwickelt haben: Die sogenannte „Akademie Führung und Persönlichkeit“ für hochbegabte junge Erwachsene zwischen Mitte 20 und Anfang 30. Die Teilnehmer(innen) der Akademien haben meist schon ein oder sogar mehrere Unternehmen gegründet, wachsen in die Übernahme des eigenen Familienunternehmens hinein oder zählen zu den „high potentials“ und möchten in den Strukturen eines Konzerns Karriere machen. Die weit überwiegende Mehrheit kommt aus dem Bereich der sogenannten MINT-Fächer, also der Mathematik, den Ingenieurswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Technik. Wie für viele junge Erwachsene aus diesem Milieu spielt Religion in ihrem Leben kaum eine Rolle. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer(innen) hatte bisher biografisch mit Religion und Glaube noch keinen engeren Kontakt. Der Name „Akademie“ für unsere einwöchigen Kurse ist missverständlich, denn anders als beispielsweise in den klassischen Ferienakademien von Begabtenförderwerken werden in unserem Kurs keine Vorträge gehalten, Texte gelesen oder die Teilnehmer(innen) zur Diskussion ermuntert. Wir begleiten die jungen Erwachsenen vielmehr in einem Prozess, der sich eng an den Prozess der ignatianischen Exerzitien anlehnt und von daher seine Kraft und Dynamik gewinnt, in dem aber die Religion nicht zum Thema gemacht wird.
Spiritualität ohne einen religiösen Rahmen
Wie kann man einen einwöchigen Kurs nach dem Prozess der ignatianischen Exerzitien konzipieren und durchführen, ohne dabei die Religion zu thematisieren? Jede große Religion, so könnte man etwas holzschnittartig sagen, beruht auf vier Säulen: Die erste Säule ist die Institution, also beispielsweise die institutionelle Verfasstheit einer Kirche. Die zweite Säule: Das Dogma und die oft mit dem Dogma verbundene Ethik, also das, was derjenige, der in der Religion lebt, für richtig halten soll oder auch für richtig hält. Die dritte Säule ist der Kult oder die Liturgie, also die Art und Weise, wie Gottheiten angerufen oder zu Gott gebetet wird, und die vierte ist die Spiritualität einer Religion. Während sich die Religionen in ihren ersten drei Säulen, der Institution, dem Dogma und dem Kult, stark voneinander unterscheiden, gibt es in Bezug auf die Spiritualität viele Gemeinsamkeiten. Diese Gemeinsamkeiten betreffen zum einen Überscheidungen in der spirituellen Praxis, der Meditation; ob man in einem christlich-kontemplativen Meditationshaus, einem buddhistischen Zendo oder einem hinduistischen Ashram meditieren übt – immer wird die Achtsamkeit und die Wahrnehmung des Atmens eine große Rolle spielen. Zum anderen betreffen die Gemeinsamkeiten aber auch die spirituelle Dimension des Menschen. Jede Religion will Antworten auf die großen Fragen menschlicher Existenz geben: Woher komme ich, wohin gehe ich und was soll das eigentlich alles hier auf Erden? Die konkreten Antworten mögen in den verschiedenen Religionen zwar unterschiedlich sein, aber dass Religionen Antworten auf die letzten großen Fragen der menschlichen Existenz geben möchten, ist allen gemeinsam. Religionen, so könnte man sagen, halten die existentiellen Fragen des Menschen offen. Sie machen uns Menschen bewusst, dass wir mehr sind als computerähnliche Gehirne in einem Körper oder Wesen, die notwendig von Lustempfindungen oder Nutzenerwägungen getrieben sind.
Die ersten drei Säulen spielen in unseren Kursen keine Rolle. Der Schwerpunkt liegt allein auf der vierten Säule, auf der Spiritualität. Eine Akademie ist, auf eine Kurzformel gebracht, ein Exerzitienkurs, der den spirituellen Aspekt der Exerzitien beibehält, aber auf die drei anderen Säulen verzichtet. Ohne unseren Kontext im Institut für Philosophie und Leadership der Hochschule für Philosophie in München zu kennen, ist solch ein Projekt vielleicht schwer nachvollziehbar. Wir müssen deswegen ein wenig ausholen.
Fortbildungskurse für Spitzenführungskräfte der Wirtschaft
Das Institut für Philosophie und Leadership wurde 2011 gegründet, um eine institutionelle Basis in der Hochschule für Philosophie zu schaffen, mit der wir auf die zunehmenden Anfragen seitens großer deutscher Industriekonzerne und Familienunternehmen antworten können. Es sind Anfragen, die darauf zielen, Unterstützung und Hilfe in ihrer Arbeit in den Unternehmen zu bekommen. Ein erster großer Kunde waren die Mitglieder des Vorstands und die weltweit etwa 60 Bereichsleiter der BMW Group, für die wir einen mehrjährigen Fortbildungskurs konzipiert und durchgeführt haben, der um Themen der Persönlichkeit, des Charakters und Leadership kreiste. Entscheidend ist für uns dabei die Überzeugung, dass Führungskräfte in Spitzenpositionen in der Lage sein müssen, sich selbst Antworten auf spirituelle Fragen zu erarbeiten, selbst dann, wenn die Antworten, die konkrete Religionen darauf geben, nicht ihre eigenen Antworten sind. Eine Teilnehmerin unserer Kurse hat einmal auf die Frage, welches die wichtigste Eigenschaft einer Führungskraft ist, geantwortet, sie müsse mit sich selbst im Reinen sein. Eine bessere Antwort kann man, so finden wir, kaum geben und genau dazu leisten unsere Kurse einen Beitrag.
Auch wenn der Gedanke, man könne die Spiritualität von einer konkreten Religion sinnvoll unterscheiden und losgelöst von ihr betrachten, zunächst vielleicht fremd erscheinen mag: Mit einem solchen Programm stehen wir in München nicht allein. Es gibt zunehmend Bereiche, in denen die Spiritualität des Menschen zum Thema gemacht wird, ohne dabei auch die Religion in den Blick zu nehmen. Im Bereich „spiritual care“ beispielsweise werden Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger darin ausgebildet, mit totkranken Menschen über tiefe und letzte existentielle Fragen ins Gespräch zu kommen, ohne sich dabei in einem religiösen Bezugsrahmen zu bewegen, der in vielen Fällen sowohl ihnen selbst wie auch den Sterbenden fremd ist. Auch bestimmte Praktiken und Übungen, die ursprünglich ihren Ort in Religionen haben, werden in therapeutischen Praktiken genutzt, um Menschen zu heilen. Wegweisend ist seit den 60er-Jahren beispielsweise der Arzt und Psychotherapeut Jon Kabat-Zinn, der bestimmte buddhistische Meditationspraktiken zu therapeutischen Zwecken, u.a. auch als Therapie für Burnout-Patienten nutzt. Am bekanntesten ist sicherlich der Einzug der Mindfulness-Meditation in Wirtschaftsunternehmen. Auch wenn wir den Umgang mit der Meditation in wirtschaftlichen Kontexten sehr kritisch sehen, so hat uns doch die Ähnlichkeit der Mindfulness-Meditation mit den Arten der Meditation, die man in einem christlich-kontemplativ geprägten Exerzitienhaus finden kann, überrascht.
Der Rahmen der Akademien ist dem Rahmen von klassischen Exerzitien angelehnt, auch wenn es Unterschiede gibt. Zeiten der Meditation und Stille, inhaltliche Impulse und die Möglichkeit zu Einzelgesprächen gibt es bei uns ebenso wie in klassischen Exerzitien. Ein Unterschied ist sicher, dass in den sechs Tagen der Akademie nicht durchgängig geschwiegen wird. Am frühen Nachmittag gibt es einen oft intensiven Austausch über den Prozess der Akademie, der bis zu 90 Minuten dauern