1415 und die Freiheit. Rolf Kamm

1415 und die Freiheit - Rolf Kamm


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am Rand vor, immerhin notierte Tschudi den Freiheitsbrief von 1415. Weit wichtiger war dem Chronisten der grosse schweizergeschichtliche Rahmen mit der Eroberung des Aargaus, die auf Bitte des Königs erfolgt sei.

      Warum diese Gewichtung? Wie bereits andere Chronisten vor ihm legte Tschudi mit seinem Blick auf eine «Freiheitsgeschichte» der Schweiz eine ausgesprochen politische Lesart des Konstanzer Konzils vor. Die Eroberung des habsburgischen Aargaus bedeutete für die Landesgeschichte eine Zäsur. Die Folge davon, nämlich die Entstehung eines gemeinsamen Untertanengebietes, blieb allerdings ein Kapitel, das in der Historiografie aus naheliegenden Gründen eher übergangen wurde. Für den Aargau waren die Eidgenossen alles andere als Vorkämpfer der Freiheit. Gehörte das Jahr 1415 mit der Verdrängung Habsburgs fortan zum traditionellen schweizergeschichtlichen Schlachtenkanon, so erhielten die langfristigen gemeinschaftsbildenden Auswirkungen dieses Krieges erst in jüngster Zeit stärkere Aufmerksamkeit. Das Aneinanderrücken der einzelnen Orte und die gemeinsame Verwaltung eines Untertanengebietes waren als «verbindende Elemente» (Thomas Maissen) wichtige Faktoren bei der «Suche nach einem gemeinsamen Nenner» (Bernhard Stettler).2

      Innerhalb der nationalen Leitplanken gingen – und gehen – die grösseren Zusammenhänge weitgehend unter. Und doch war das Konstanzer Konzil zuerst einmal eine kirchenpolitische Grossveranstaltung. Der (Reichs-) Krieg von 1415, der den eidgenössischen Orten ein gemeinsames Untertanengebiet, gemeinschaftliche Aufgaben sowie zahlreiche Freiheitsbriefe brachte, gehört in ein reichspolitisches Umfeld, das vom Spannungsfeld zwischen König und Fürsten bestimmt wurde. Diese Verbindung von Kirchen- und Reichspolitik macht die Eigenheit des Konstanzer Konzils und die Bedeutung des Jahres 1415 aus – mit Folgen gerade auch für Glarus. Warum also versammelten sich im Herbst/Winter 1414 führende Leute aus ganz Europa ausgerechnet in Konstanz? Und was hat die Glarner Reichsfreiheit mit diesem Konzil zu tun?

      Kirchliche Missstände

      Drei Päpste, zwei Ketzer und ein geächteter Herzog – so lassen sich die Ereignisse des Konstanzer Konzils stark verkürzt und zugespitzt zusammenfassen. Tatsächlich steht die grosse Kirchenversammlung für eine der schwierigsten Perioden der Kirchengeschichte. Kein Wunder, erinnerten 2014 Konstanz und das Bundesland Baden-Württemberg an ein Krisentreffen und an ein Weltereignis. Der Wunsch nach kirchlicher Einheit und nach Reformen bestimmte die Traktanden des ungewöhnlichen Konzils mit den Leitthemen der Causa Unionis (Überwindung des Schismas), der Causa Fidei (Kampf gegen Häresie) und der Causa Reformationis (Kampf gegen Missstände innerhalb der Kirche).3

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      Abb.1 Die Konzilssitzung im Münster. Der Papst trägt die Tiara. Links und rechts von ihm sitzen zwei Kardinäle und sechs Bischöfe (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 016).

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      Abb.2 Die Verbrennung von Johannes Hus als Ketzer. Hus wird am 6. Juli 1415 vor der Stadtmauer von Konstanz verbrannt, seine Asche streut man in den Rhein (Ulrich Richentals Chronik des Konstanzer Konzils, fol 058).

      Die Vorgeschichte des Konzils reicht ins 14. Jahrhundert zurück: Der Aufenthalt der Päpste in Avignon, oft als «Avignonesisches Exil» bezeichnet, hing mit der Situation in Rom sowie mit Machtverschiebungen und Spannungen wie Verflechtungen innerhalb des Kardinalskollegiums zusammen. Als Gregor XI. 1377 nach Rom zurückkehrte und wenig später verstarb, brachen die latenten Konflikte innerhalb der Kirche offen aus und mündeten schliesslich in die Wahl von zwei Päpsten. Urban VI. und seine Nachfolger lebten in Rom und Bologna, Clemens VII. und sein Nachfolger Benedikt XIII. zogen sich wieder nach Avignon zurück. 1409 versuchte ein Konzil in Pisa, das Schisma zu überwinden, setzte beide Päpste ab und bestimmte mit Alexander V. ein neues Oberhaupt, das die kirchliche Einheit gewährleisten sollte; sein Nachfolger wurde 1410 Johannes XXIII. Die Bemühungen von Pisa schlugen jedoch fehl. Aus der «ruchlosen Zweiheit» wurde eine «von allen verfluchte Dreiheit», denn die abgesetzten Päpste Benedikt XIII. und Gregor XII. dachten nicht daran, den Entscheid zu akzeptieren.4 Vielmehr vertiefte die Spaltung die Unsicherheit und förderte die Glaubenskrise. Die Erschütterung der römisch-päpstlichen Autorität ging Hand in Hand mit der Suche nach neuen, bald als ketzerisch verdammten Wegen, die mit den Namen von John Wyclif und Jan Hus verknüpft sind. Das Klagen über den Zustand der Kirche mit Worten wie Weinen, Trümmer oder Sumpf festigte den Wunsch nach Reformen – die mittelalterliche Kirche war dringend auf Erneuerung und Wandel angewiesen.5 Dafür brauchte es aber einen Anstoss von aussen.

      Der königliche Schutzherr

      Von den kirchlichen Missständen war auch das Reich betroffen, standen doch Papst und König/Kaiser in einem engen Verhältnis zueinander und sah sich das weltliche Oberhaupt als Schutzherr der Christenheit. Sigismund, der Sohn Kaiser Karls IV. aus dem Haus der Luxemburger, wurde 1410/11 zum Römischen König gewählt und begann rasch, sich um die Angelegenheiten der Kirche zu kümmern. Aus seiner persönlichen Erfahrung im Kampf gegen die Türken und aus seinem Sendungsbewusstsein heraus legte er grössten Wert auf eine Einigung und Stärkung des Christentums und engagierte sich deshalb für eine Reform der Kirche. Dahinter mochten auch persönliche Gründe stehen, strebte der König doch die kaiserliche Würde an, die ihm aber nur ein allgemein akzeptierter Papst zusichern konnte.

      Mit dem wichtigsten der drei Päpste, Johannes XXIII., fand sich Sigismund im Wunsch zusammen, ein umfassendes Konzil zur Klärung der offenen Fragen einzuberufen. An einem Treffen in Lodi soll der König den Papst Ende 1413 angeblich von Konstanz als einem idealen Ort für eine Kirchenversammlung überzeugt haben. Die «neutrale» Autorität des Königs sorgte dann dafür, dass alle angesprochenen Parteien innerhalb der Kirche auf den 1. November 1414 ihre Vertreter an den Bodensee schickten.

      Warum Konstanz? Erstmals fand mit Konstanz ein Konzil auf deutschem Boden statt, was erklärungsbedürftig ist. Als Reichskommune stand die Bodenseestadt dem König nahe, als Handelsort war sie den italienischen Kaufleuten gut bekannt. Dank der Seelage war die Stadt zudem gut erreichbar, während der Schiffsverkehr das Hinterland erschloss und damit die Versorgung einer grösseren Menschenmenge gewährleistete. Als Sitz eines Bistums war Konstanz schliesslich mit kirchlichen Veranstaltungen vertraut und besass dank verschiedener Klöster auch eine Infrastruktur, wo Geistliche untergebracht werden konnten. Zudem sollen auch mit der Region bestens vertraute Ratgeber des Königs wie der Graf von Nellenburg zur Wahl der Stadt beigetragen haben. Gut möglich schliesslich, dass der König bewusst einen Ort vorschlug, der dank seiner Distanz zu Italien eine bessere Ausgangslage für kirchliche Reformen bot.

      Tatsächlich profilierte sich Sigismund schon vor Beginn des Konzils als «überparteilicher, gewissermassen provisorischer Sachverwalter» und stellte sich im Interesse der Sache über die drei Päpste.6 Als Vogt von Kirche und Konzil war er buchstäblich Schutzherr der Veranstaltung, ohne aber direkt in die Verhandlungen und Gespräche eingreifen zu können. Die lange Abwesenheit des Königs, der auf ausgedehnten Reisen die abwesenden Päpste beziehungsweise ihre Protektoren vom Einlenken zu überzeugen versuchte, schlug sich im schleppenden Verlauf des Konzils nieder. Dieses dauerte auffallend lange und fand erst im Herbst 1417 mit der allgemein anerkannten Wahl von Martin V. zum neuen Papst den erhofften Höhepunkt; abgesehen vom Kampf gegen das «Ketzertum» und der Verbrennung von Häretikern blieben die Resultate ansonsten jedoch eher bescheiden. Unter Martin V. begann zwar die Erneuerung der Römischen Kirche, die grundlegenden Diskussionen gingen aber weiter und führten schliesslich zum Konzil von Basel, das von 1431 bis 1448/49 dauerte, ehe es sich unter dem Eindruck einer Stärkung des Papsttums auflöste.

      Ein machtpolitisches Pokerspiel?

      Der Name König Sigismunds war weit enger mit dem Konzil von Konstanz verbunden als jener der drei Päpste. Das hing mit der schillernden Persönlichkeit des Luxemburgers zusammen, der das Konzil nicht nur als Kirchenversammlung, sondern auch als Plattform für Reichsfragen verstand. Konstanz war für dreieinhalb Jahre ein Treffpunkt der Christenheit; als zeitweilige Residenz des Königs war Konstanz aber auch Ort der Reichspolitik. Die reichsunmittelbare


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