Wie die Swissair die UBS rettete. Bernhard Weissberg
wird Bruggisser zum «Eisenbahner».
Für René Lüchinger war diese Entlassung des Kopfs der Hunter-Strategie der entscheidende Moment im sich abzeichnenden Drama um die Swissair: «Von da an entglitt das Ganze.» Der Publizist greift dabei zu einem drastischen Bild: «Danach torkelte die Swissair wie ein geköpftes Huhn einfach weiter.» Eric Honegger, der Bruggisser vom Chefsessel stürzte, beschliesst, selbst das Steuer zu übernehmen: Er lässt sich als CEO der SAir-Gruppe installieren. Und er glaubt auch zu wissen, wer ihm helfen könnte, aus dem Schlamassel zu kommen: der Basler Crossair-Chef Moritz Suter. Ausgerechnet Suter, den viele bei der Swissair als jemanden wahrnehmen, der im Unternehmen nur seine eigenen Interessen verfolgt, nämlich die der Crossair. Trotzdem ruft Honegger am Sonntag, einen Tag nach der Entlassung Bruggissers, Suter an und bittet ihn, den Bereich SAirLines, in dem alle Fluggesellschaften gruppiert sind, zu übernehmen. Er würde ihn gerne am Montag sehen, um die Sache zu besprechen. Und hätte dann gerne bis 13 Uhr eine Zu- oder Absage. Für eingefleischte Swissair-Leute bedeutet dies den blanken Horror: Der Mann, der das Projekt Alcazar mit allen Mitteln, auch unschönen, bekämpfte, der den Swissair-Leuten immer wieder Knüppel zwischen die Beine warf, der sein Beziehungsnetz bis in den Bundesrat immer wieder gegen die Zürcher nutzte – dieser Mann soll nun die Swissair retten?
Auch die Freunde von Moritz Suter sind nicht glücklich über den geplanten Schritt. Sein Basler Anwalt Peter Böckli, der damals als Vizepräsident im Verwaltungsrat der UBS sitzt, warnt ihn in einem persönlichen Schreiben vor der Übernahme jeglicher Verantwortung bei der Swissair. Böckli schreibt, dass der Verwaltungsrat das «allmähliche Herunterschlittern der Swissair Group» verharmlosen werde, um gegebenenfalls «später Dich als Mitschuldigen […] in das Schicksal einzubinden». Suter steht vor einer schwierigen Entscheidung: Soll er als Chef nur für «seine» Crossair schauen, die ja mittlerweile zu siebzig Prozent der SAirGroup gehört? Oder soll er mithelfen, den Gesamtkonzern zu retten, um so indirekt seine Crossair zu schützen? Durch Böckli gut munitioniert, geht er mit klaren Forderungen ins Gespräch mit Honegger: Suter will alleiniger Chef über alle Airlines sein. Er will eine Überprüfung der finanziellen Lage. Er will einen scharfen Schnitt zwischen Alt- und Neulasten. Und er will, dass die SAirGroup wieder Swissair heisst. Wo Suter hoffnungsvoll ans Werk geht, sieht sein Anwalt und inoffizieller Berater Böckli hingegen nur dunkle Wolken. Er schreibt Suter Ende Januar: «Moritz, Deine Macht geht nicht gleich weit wie Deine Haftung. […] Nach allem, was ich heute weiss, musst Du Dich von der Swissair Group distanzieren.» Er rät ihm dringend zurückzutreten, sollte der Verwaltungsrat die desolate Lage nicht erkennen. Suter hält im Februar 2001 noch durch, hofft, die Lage meistern zu können. Vergeblich. Am 7. März tritt er zurück – nach nur 44 Tagen, in denen er die Swissair geführt hatte. Er tut dies auch und vor allem auf Einwirken seines Anwalts, der ihm später schreiben wird: «Die Art, wie man mit Dir umging, war absolut inakzeptabel.» Und weiter: «Du hast um drei Minuten vor zwölf die Kurve genommen, nachdem ich Dir […] den sofortigen Rücktritt aus diesem aufgedrängten, äusserst gefährlichen Amt angeraten habe.»
Der Mann mit der Mappe
Der Mann am anderen Ende der Telefonleitung an diesem 9. März 2001 weiss nicht, ob er sich freuen oder fürchten soll. Eben hat ihm Eric Honegger, der Verwaltungsratspräsident der Swissair, aus Zürich mitgeteilt, dass er zurücktreten werde, wie im Übrigen alle anderen Mitglieder des Gremiums auch; und zwar in zwei Etappen, während der nächsten zwölf Monate. «Da bleibe ja nur ich», entfährt es Mario Corti im fernen Boston. Der Finanzchef von Nestlé liegt absolut richtig!
Das Milliardenunternehmen hat turbulente Monate hinter sich, als sich Honegger bei Corti meldet. Nach dem Rauswurf von Bruggisser ist der neue «starke Mann» Eric Honegger, ein studierter Historiker, viel zu schwach, um den Umschwung einzuleiten. Er holt zwar Suter, handelt aber hinter dessen Rücken – meistens nicht zugunsten der Firma, sondern um politische Turbulenzen zu vermeiden. Er zeigt sich deshalb kulant bei den ausländischen Partnern. Honegger ist immer noch mehr Politiker als Manager oder gar Unternehmer. Die Hunter-Strategie ist nun definitiv vom Tisch, obwohl Swissair-Spezialist René Lüchinger eindringlich betont: «Die Hunter-Strategie war nicht abwegig. Sie hätte gelingen können. Aber äussere Faktoren und der intern bröckelnde Sukkurs haben sie scheitern lassen.» Am Hauptsitz, dem Balsberg bei Kloten, herrscht mittlerweile das nackte Chaos. Nach dem Abgang Bruggissers ist niemand da, der die Fäden wirklich zusammenhalten kann. Die NZZ wird im März monieren, dass seit der Absetzung Bruggissers «wenig bis gar nichts getan worden» sei, um die Verlustlöcher zu stopfen, sodass «die ungefreuten ‹Töchter› die ‹Mutter› unweigerlich in die Tiefe zu reissen drohen». Honegger versucht, sich in dieser turbulenten Zeit als ruhiger Pilot zu positionieren, der das Unternehmen aufräumen will, doch seine Chefqualitäten werden vom ersten Tag an infrage gestellt. Im Februar bestätigt er in einem Interview, dass der Druck gross sei. Er habe diesen Job ja nicht gesucht, aber es gehöre in einer solchen Situation dazu, dass der Verwaltungsratspräsident solche Aufgaben übernehme. Und an Rücktritt denke er nicht: «Ich werfe […] nicht den Bettel hin, sobald Gegenwind aufkommt.» Er sei aber eingebettet in der Geschäftsleitung, zum Beispiel mit Airline-Gründer und -Spezialist Moritz Suter. Doch Suter demissioniert nach 44 Tagen, womit Honegger seine Trumpfkarte verliert, auch gegenüber dem Verwaltungsrat. Das Gremium ist besorgt – sehr besorgt. Nicht nur um die Swissair. Auch um den eigenen Ruf. Wie gerne wären sie nicht mehr in der Verantwortung.
Am 9. März orientiert Honegger also Mario Corti, dass ausser Corti alle Verwaltungsratsmitglieder zurücktreten werden, gestaffelt über zwölf Monate immerhin, aber trotzdem: Es bleibt keiner übrig – ausser Corti. Und der sitzt erst seit elf Monaten in diesem Gremium! Den Verwaltungsrat sofort verlassen werden etwa der Chef des Comptoir Suisse in Lausanne, Paul-Antoine Hoefliger, der Zementbaron Thomas Schmidheiny und die FDP-Vorzeigefrau Vreni Spoerry. Nach Plan ein Jahr später werden Privatbankier Bénédict Hentsch, CS-Chef Lukas Mühlemann und der Roche- und Economiesuisse-Mann Andres Leuenberger zurücktreten. Oder anders gesagt: Die Schweiz AG flieht aus dem Führungsgremium der Swissair! Offiziell werden die Abgänge als «Übernahme der Verantwortung» schöngefärbt. Der SonntagsBlick kommentiert die Abgangswelle so: «Das freisinnige Zürcher System hat die Swissair in ihre schwerste Krise geführt. Sie steht am Abgrund. Weil die Herkunft wichtiger war als Können.»
Honegger versucht derweil verzweifelt, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der Plan ist, dass Corti von ihm übernimmt – in einem Jahr. Der NZZ erklärt er seinen Plan am 11. März 2001 folgendermassen: Man wolle nicht ein Vakuum entstehen lassen, das sei nicht dienlich. Der Verwaltungsrat habe die Verantwortung, eine neue Strategie zu erarbeiten und die Gruppe neu zu positionieren: «Deshalb wollen wir uns der Verantwortung stellen.» Honegger gibt im Gespräch mit der Zeitung zu, dass die Probleme grösser seien, als der Verwaltungsrat noch bis im Vorjahr gedacht habe. Auch wenn er selbst seit 1993 dabei gewesen sei, als einfaches Mitglied habe man einen weniger tiefen Einblick als als Verwaltungsratspräsident. Er habe mit dem Amtsantritt als Vorsitzender des Gremiums im Frühling 2000 «einen völlig anderen Einblick in die Unterlagen erhalten» und habe gewusst, «dass es so nicht weitergehen» könne und er «rasch durchgreifen» müsse. Den Verwaltungsräten dämmert nach den harschen öffentlichen Reaktionen auf die Rücktrittswelle, dass diese Notmassnahmen noch immer nicht ausreichen. Als ihr Präsident sich dann schliesslich in diesem NZZ-Interview – einer Zeitung notabene, deren Verwaltungsratspräsident Honegger ist – reinwaschen will, endet die Solidarität. Zudem gibt es intern massiven Druck. Das Swissair-Personal fordert den Kopf Honeggers: Der «Big Boss» habe zu wenig Ahnung vom Fluggeschäft, und ein Rücktritt in zwölf Monaten sei keine vertrauensbildende Massnahme. Honegger wird deshalb, keine Woche nach den Durchhalteparolen, «abgesetzt», wie selbst die Honegger-nahe NZZ feststellen muss. Und das komme eigentlich nicht überraschend, weiss das Blatt jetzt sogar zu berichten. Honegger wird Anfang Mai 2001 seinen Rücktritt auch als Verwaltungsratspräsident der NZZ bekannt geben; ihm schien offenbar «in letzter Zeit die Kontrolle zu entgleiten», so die Zeitung.
Damit gab die NZZ Eric Honegger zum Abschuss frei. Der Sohn eines Bundesrats, ehemaliger Zürcher Regierungsrat, Verwaltungsrat der UBS, Verwaltungsratspräsident der NZZ, wird von der Schweiz AG angewidert ausgespuckt wie ein Stück verdorbener Apfel. Er verliert innerhalb kürzester Zeit alle Ämter und wird später