Das gesunde Herz. Dr. med. Joel K. Kahn
zu denken, man habe etwas zu verlieren.
Steve Jobs, Gründer von Apple, Inc.
KAPITEL 2
Die koronare Herzerkrankung
Die Fakten
Dave hatte Glück, weil er eine Frau hatte, die sich wegen seiner Stressbelastung und der langen Arbeitszeiten Sorgen machte, die er für die Leitung des familieneigenen Zuliefererbetriebs für die Automobilindustrie aufwandte. Außerdem hatte Jane den Artikel gelesen, den ich über die Anzeichen einer stummen Herzerkrankung veröffentlicht hatte. Ich hatte geschrieben, dass bei Männern Erektionsstörungen erste Anzeichen dafür sein können, dass Arterien von schädigenden Faktoren angegriffen werden. Dave sprach zwar nicht gern darüber, doch für ihn war es jetzt, mit Anfang fünfzig, deutlich schwieriger, eine Erektion zu erreichen und zu halten als noch zehn Jahre zuvor, und Jane zeigte ihm meinen Artikel. Widerwillig vereinbarte er einen Termin bei mir und wollte bei der Anmeldung niemandem den Grund für sein Kommen nennen.
Nachdem Dave mir in der Privatsphäre meines Arztzimmers von seinem Problem berichtet hatte, wurde bei ihm eine fortschrittliche Evaluierung seines Arterienstatus, seiner Lebensgewohnheiten, seiner genetischen Veranlagung sowie einige biochemische Tests durchgeführt, und es wurde festgestellt, dass er an einer stummen Erkrankung der Herzarterie – und wahrscheinlich auch der Penisarterie – litt, die auf Atherosklerose zurückzuführen war. Im Laufe der Zeit konnte ich Dave davon überzeugen, dass seine Ernährung mit viel Fleisch und Pommes frites, die geringe körperliche Bewegung, seine schlechten Schlafgewohnheiten, die Snacks am späten Abend und der wachsende Bauchumfang Faktoren für ein Herzinfarktrisiko waren. Diese Gefahr zeigte sich bereits in Form der sexuellen Dysfunktion.
Innerhalb von neun Monaten nahm Dave mehr als acht Kilogramm ab, und sein gefährliches Bauchfett verringerte sich um mehr als zehn Zentimeter. Er legte großen Wert auf Sport und guten Schlaf und setzte fünf Portionen Obst oder Gemüse auf seinen täglichen Speiseplan. Er nahm ein paar spezielle Nahrungsergänzungsmittel ein, und eine erneute Untersuchung ergab, dass sein Arterienalter sich verbessert hatte. Der größte Erfolg war, dass er seine sexuelle Leistungsfähigkeit wieder zurückgewonnen hatte, was ihm bei seinen Terminen jeweils ein Schmunzeln entlockte.
Koronare Herzerkrankung –
die Grundlagen
Wir kommen mit drei großen Koronararterien auf die Welt, die unser Herz ständig mit Sauerstoff und nährstoffreichem Blut versorgen. Diese Arterien werden Herzkranzgefäße genannt, weil sie das Herz kranzförmig umschließen. Sie haben einen Durchmesser von etwa drei bis vier Millimetern und verjüngen sich nach der weiteren Verzweigung. Weil das Herz das Blut durch den ganzen Körper pumpt, versorgt dieser Blutfluss zuallererst diese Koronararterien, damit sie ihre lebenserhaltende Funktion sichern können.
Zu einer koronaren Herzerkrankung kommt es, wenn eine als Plaque bezeichnete Substanz die Blutgefäße auskleidet und diese zunehmend verengt. Die Arterienverengung kann von einer minimalen Verstopfung bis zu einem vollkommenen Verschluss reichen. Die Ansammlung der Plaque führt schließlich zu einer Krankheit, die als Atherosklerose bezeichnet wird.
Die Plaque besteht aus einer Mischung aus Kristallen, Fetten (wie zum Beispiel Lipoprotein [a] und Cholesterin), weißen Blutkörperchen, fibrösem Narbengewebe und Kalzium. Etwa 20 Prozent der Plaque bestehen nur aus Kalzium. Jede Arterie mit verkalkter Plaque ist abnorm und auf herkömmlichen Röntgenbildern, CT-Aufnahmen und sogar auf Mammografiebildern zu sehen. Weil verkalkte Plaque (beziehungsweise harte Plaque) auf einem Röntgenbild und insbesondere auf einer CT-Aufnahme ganz leicht zu erkennen ist, werde ich in Kapitel 4 ausführlicher darauf eingehen, weshalb CT-Aufnahmen die besten Tests sind, um eine stumme, aber möglicherweise gefährliche Atherosklerose zu entdecken, die von verkalkter Plaque in den Herzkranzgefäßen verursacht wird. Ablagerungen, die nicht verkalken beziehungsweise hart werden, bezeichnet man als weiche Plaque. Auch weiche Plaque stellt ein Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko dar, weil sie auseinanderbrechen und Klümpchen bilden kann, die durch die Arterien wandern und entscheidende Stellen blockieren können. Wenn mithilfe von bildgebenden Verfahren bei einem Menschen mit Herzinfarktrisiko keine verkalkte Plaque gefunden wird, der Patient aber dennoch über Brustschmerzen und andere Symptome einer Herzerkrankung klagt, könnten diese Symptome auf weiche Plaque zurückzuführen sein. Bei etwa 20 Prozent der Menschen kann weiche Plaque irgendwann verhärten, doch die meisten Patienten, bei denen weiche Plaque nachgewiesen wurde, haben auch harte Plaque, die sich unabhängig von der weichen Plaque abgelagert hat.
Vielleicht vermuten Sie, dass Herzerkrankungen aufgrund verkalkter Plaque ein neues Problem sind und nur in modernen Gesellschaften vorkommen, das ist aber nicht der Fall. Mithilfe von CT-Aufnahmen wurde in den Arterien ägyptischer Mumien Plaque nachgewiesen. Und man fand heraus, dass auch Eskimos, die in entlegenen Weltregionen leben, diese Krankheit entwickeln, möglicherweise aufgrund ihrer extrem fettreichen Ernährung. Doch ist es nicht unvermeidlich, dass Ihre Blutgefäße mit zunehmendem Alter geschädigt werden, und ein Arterienverschluss sollte nicht als normaler Alterungsprozess betrachtet werden. Es gibt einige Völker, deren Mitglieder traditionell fast vollkommen frei von dieser potenziell tödlichen Krankheit sind, wie zum Beispiel die Völker in Uganda und Papua-Neuguinea sowie ein Stamm in Bolivien namens Tsimane. Wie im Medizinjournal Lancet (und von mir in einem neuen Online-Artikel) berichtet wurde, leben die Tsimane in abgelegenen Dörfern im bolivianischen Dschungel. Doch sie wurden für Untersuchungen in medizinische Einrichtungen gebracht, wo von jeder Person CT-Aufnahmen angefertigt wurden, um den Grad der Arterienplaque zu bestimmen. Selbst im Alter von 80 Jahren und mehr wiesen sie nur wenig verkalkte Ablagerungen auf, was beweist, dass Plaque nicht notwendigerweise mit dem Alterungsprozess verbunden ist.
Hängt Ihr Risiko davon ab,
wer Sie sind?
Warum entwickeln manche Personengruppen, wie zum Beispiel westliche Manager, so häufig Herzerkrankungen, andere Bevölkerungsgruppen dagegen nicht? In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt man Herzerkrankungen für eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Alterungsprozesses. Doch mit der Framingham-Herzstudie, die in Framingham, Massachusetts, durchgeführt und 1961 veröffentlicht wurde, wurde nachgewiesen, dass gewisse Charakteristika einzelne Personen für eine progressive Verengung und Blockade der Herzkranzgefäße prädisponieren. Die Framingham-Studie belegte, dass sowohl das Rauchen als auch ein hoher Blutzuckerspiegel (der zum Typ-2-Diabetes führt), hoher Blutdruck, hohe Cholesterinwerte oder ein Verwandter ersten Grades (Elternteil oder Geschwister) mit früher Herzerkrankung die Gefahr erhöhen, in frühen Jahren eine Verengung der Herzkranzgefäße zu erleiden.
Darüber hinaus haben Studien, die in den 1970er-Jahren durchgeführt wurden, nachgewiesen, dass manche Menschen einen genetischen Defekt ihres Cholesterinstoffwechsels aufweisen. Eine von 250 Personen erbt von ihren Eltern ein Gen, das zu einem deutlichen Anstieg des Cholesterinspiegels führt und Jahrzehnte früher als normal eine Herzerkrankung verursachen kann. (Diese Krankheit wird familiäre Hyperlipidämie, beziehungsweise FH genannt.) Jeder millionste Mensch trägt zwei schlechte Cholesterin-Gene in sich (einer von jedem Elternteil), und in der Folge kann sich bei diesen Personen in jungen Jahren eine tödliche Herzerkrankung entwickeln – sogar schon im Teenageralter. Vor vielen Jahren behandelte ich ein elfjähriges Mädchen mit FH und einem Cholesterinspiegel von über 1000 mg/dl (ein normaler Cholesterinwert liegt bei einem Jugendlichen dieses Alters bei etwa 170 mg/dl). Bei diesem Mädchen musste deshalb sogar eine Bypass-Operation vorgenommen werden. Diese Kinder lehren uns, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass hohe Cholesterinspiegel zur Entwicklung einer Herzerkrankung führen können.
Klassische Anzeichen einer stummen Herzerkrankung
Eine koronare Herzerkrankung kann sich allmählich entwickeln und schreitet häufig ohne irgendwelche Symptome fort. Sogar bei jungen Menschen im Alter von neunzehn oder zwanzig Jahren wurde diese Erkrankung diagnostiziert. Die Autopsien von im Koreakrieg gefallenen Soldaten ergaben, dass viele dieser jungen Männer frühe Anzeichen einer koronaren Arterienerkrankung aufwiesen. Diese wurden auch bei Soldaten entdeckt, die im Vietnam- oder im Irakkrieg gefallen waren, sowie bei Teenagern