Geist & Leben 3/2020. Verlag Echter

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die menschliche Sehnsucht in nichts Endlichem zur Ruhe kommt5, weist sie über den Bereich endlicher, erfüllbarer Wünsche und Bedürfnisse hinaus auf ein Unbedingtes, Unbegrenztes und Unerzwingbares, das der Glaube in der Liebe Gottes erkennt und bezeugt. So lässt sich die Sehnsucht als Antwort auf eine zuvorkommende göttliche Bewegung verstehen, die diese innere Dynamik im Menschen ermöglicht und trägt. Menschliche Reifung und ein Wachstum im Glauben bestehen dann darin, im Begehren weltlicher Güter und in der Liebe zu Mitmenschen nichts Endliches absolut zu setzen, sondern ausgerichtet zu bleiben auf jene je größere Liebe und jene unbedingte Güte, die der Glaube in Gott erkennt. Dies kann einer dominanten zweckrationalen Sicht von Mensch und Gesellschaft entgegengesetzt werden, welche die Dynamik des Begehrens auf einen Mechanismus „schlechter Unendlichkeit“ reduziert: Mit dem illusorischen Versprechen, das Begehren mit immer neuen Produkten oder Zielen zu befriedigen, werden ständig neue Bedürfnisse geweckt. Dies hat fatale Konsequenzen nicht nur für den Gottesglauben, der wie ein individuelles Bedürfnis oder eine beliebige Präferenz behandelt wird. Es destabilisiert zwischenmenschliche Liebesbeziehungen, die mit illusorischen Glückserwartungen überfrachtet werden. Und auch auf der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ebene zeigt sich immer unerbittlicher der illusorische Charakter des libertär-individualistischen Gesellschaftsmodells: Die enorme Dynamik des „Fortschritts“ und das umfassende Wohlstandsversprechen waren von Anfang an mit der Ausbeutung von Ressourcen und der Externalisierung der Kosten auf „periphere“ Weltregionen bzw. auf die Zukunft verbunden.6 Derzeit erleben wir, wie diese sozialen und ökologischen Kosten das Leben auf dem Planeten insgesamt bedrohen.

      Angesichts der (selbst-)zerstörerischen Dynamik einer entfesselten Bedürfnis-Ökonomie kommt einer Wiederentdeckung aszetischer Spiritualitäten also auch gesamtgesellschaftlich große Bedeutung zu. Dabei geht es nicht um eine Abwertung der Lebenskräfte, wie Nietzsche es dem Christentum (oft zurecht) unterstellte, sondern um einen schonenden Umgang mit ihnen. Sarah Coakleys Entwurf einer asketischen Dogmatik lässt sich in diesem Kontext lesen. Angesichts des neoliberalen Mythos, dass alle Begierden prinzipiell und möglichst umgehend befriedigt werden können, lasse sich in Gebet und Aszese lernen, dass es neben der Bedürfnisbefriedigung sinnvolle Zeiten der Enthaltsamkeit gibt. Dazu greift Coakley gendersensibel und psychoanalytisch informiert auf Traditionen vormoderner asketischer Theologie zurück, beispielsweise auf Gregor von Nyssas Vorstellung eines „Begierdetrainings“, bei welchem man sich lebenslang dazu verpflichtet, die „Langstrecke“ der ständigen persönlichen Transformation einzuschlagen und die Bedeutung jedes Begehrens stets im Lichte Gottes zu reflektieren.7 Dabei geht es nicht um die Abtötung sinnlicher Leidenschaften, sondern um die zeitweilige Suspension ihrer Befriedigung, welche es ermöglicht, gerade diese Leidenschaften intensiviert auf Gott auszurichten. Solch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Begehren sieht Coakley als Teil des Weges zu einem (niemals abgeschlossenen) geistlichen Wachstum.8

      Um gleichzeitig einer Funktionalisierung Gottes für menschliche Interessen entgegenzuwirken, legt Coakley den Nachdruck auf die theologische Arbeit der je neuen Korrektur idolatrischer Tendenzen im Gleichschritt zur spirituellen Öffnung für die Lebendigkeit Gottes und die Dynamik seiner je größeren Liebe.9 Im Sinne des Glaubens der Kirchenväter an die mystische Vereinigung der Seele mit Gott und der damit verbundenen Vergöttlichung des Menschen postuliert Coakley eine Transformation der menschlichen Begehrensstruktur durch die Teilhabe am innertrinitarischen Leben, weshalb das Gebet im Geist, die liturgische Praxis und ikonografische Darstellungen zum Ausgangspunkt nicht nur der Trinitätslehre, sondern auch des Begierdetrainings werden. Man habe sich dies so vorzustellen, dass Betende in der Kontemplation, gerade wenn sie versuchen, innerlich still und leer vor Gott zu werden, mit all ihren Sehnsüchten und Verlangen konfrontiert werden, ohne diese direkt befriedigen zu können.10 Das bewusste Ausharren in der Wahrnehmung unerfüllter Begierden ermöglicht es, diese zu hinterfragen, neu zu ordnen und auf Gott hin auszurichten – sie verlieren die Herrschaft über das eigene Leben.11 Coakley sieht damit die Kontemplation als eine mühsame und entbehrungsreiche Arbeit und ritualisierte Übung, fernab irgendwelcher Gefühle spiritueller Wellness oder mystischer Ekstase.12 Doch kommt es ihr zufolge im Ergebnis solchen Gebets zu einer Öffnung des Geistes hin zu einer neuen Weltsicht, in der alles Verlangen auf Gott hin umgepolt und die Empfänglichkeit für alles Schöne unendlich intensiviert ist.13 In diesem Sinne gibt die mystische Vereinigung der Seele mit Gott Aufschluss über die gottgewollte Bedeutung und Einordnung eines bestimmten Begehrens in einen größeren Gesamtzusammenhang.

      Ignatianische Aszese nach Erich Przywara SJ

      Bezieht sich Coakley neben patristischen Quellen vor allem auf die karmelitische Mystik des Johannes vom Kreuz, so wollen wir in diesem Aufsatz den besonderen Beitrag der ignatianischen Spiritualität zur gegenwärtigen Diskussion um menschliches Begehren hervorheben, wird diese doch zurecht als „Spiritualität des Liebens“ bezeichnet.14 Während sich Coakleys Ansatz auf die mystische Vereinigung mit Gott in kontemplativer Stille konzentriert, liegt der Schwerpunkt bei Ignatius auf der Konkretisierung dieser Vereinigung in grundlegenden Lebensentscheidungen, aber auch im Alltag.15 Ignatianische Spiritualität bezeichnet eine „‚Auskehr‘ der gottgeeinten Seele in das Alltagsleben, um mitten in Leben und Arbeit Gott zu finden“16. In der ignatianischen Spiritualität geht Kontemplation dem aktiven Handeln in der Welt nicht voraus, sondern vollzieht sich in der Aktivität, weshalb von einem „Durchbruch (…) hin zu einer Spiritualität, die die Sendung in die Welt und die Mystik der Tat betont“, gesprochen werden kann.17 Der Aszese kommt hier eine wichtige Rolle zu, insofern ignatianische Spiritualität die Vereinigung mit Gott weniger mit mystischer Ekstase als mit einer Teilhabe „am Abstieg der Göttlichen Majestät in das Joch mit und zwischen und unter Geschöpfen“ assoziiert.18 „Es geht um ein Sterben aus der Welt für eine stärkere Sendung in die Welt hinein“19, um aszetische Weltentsagung, die mit einer „Mystik der Weltfreudigkeit“ verbunden ist, wie Hugo Rahner es fasst.20 Ignatianische Spiritualität strebt das „immer größere Durchbrechen der Glorie“ in der Entsagung an (DSM 135 f.).

      Bei der Frage um die Ausrichtung menschlichen Begehrens auf Gott steht ignatianisch zunächst grundlegend die Entscheidung bezüglich des „Fahneneids“ zum Heere Gottes oder Satans auf dem Spiel: Ob ich also mein Leben jener Macht unterstelle, die in die Freiheit führt, oder jener anderen, die durch Verführungen in die Enge treibt.21 Dementsprechend kann der Mensch aus rationaler wie emotionaler Einsicht in die damit verbundene Freiheit wählen, sein Leben auf Gott auszurichten. Nur ein auf Gott ausgerichtetes Leben ist wahrhaft frei, wohingegen Welt- und Eigenliebe als letzter Bezugspunkt stets zu einem „Haftenbleiben“ an etwas Endlichem verleiten (DSM 18; 41). In anderen Worten schadet Eigennutzorientierung nicht nur der Umwelt und Gemeinschaft, sondern auch der individuellen Freiheit.

      Gleichwohl soll das aszetische Zurückstellen eigener Begierden nicht aus dem Verlangen nach Freiheit, sondern immer wieder neu aus einem „lang geübten, reich gelebten [Gott-]Vertrauen“ geboren werden (MD 74). In diesem Vertrauen gründend wird die ignatianische Aszese durch das positive Verlangen angetrieben, das eigene Leben der je größeren Ehre Gottes in allem und durch alles zu widmen, wodurch der Mensch seinerseits geheilt wird (DSM 111). Dieses Verlangen ist somit keine Reaktion auf einen Mangel – an Heil und Erlösung –, sondern es nährt sich aus der Ahnung des „unerforschlichen Geheimnisses“ des menschlichen Daseins und Wesens, „dass der ‚Gott über dir‘ in dir dein Glück ist“ (MD 34). Die gleichzeitige Erfahrung von Seligkeit in und mit Gott einerseits und eigener geschöpflicher Nichtigkeit andererseits sind Ausgangspunkt ignatianischer Aszese (DSM 136 f.). Wie vor allem in der „Betrachtung zur Erlangung der Liebe“ (GÜ 230–237) am Ende der Exerzitien hervorgehoben, geht es darum, an dem durch Gottes Großmut geschenkten und beschenkten Leben nicht selbstsüchtig oder ängstlich festzuhalten, sondern es im Empfangen großmütig weiterzuverschenken.22

      Vor diesem Hintergrund besteht der Sinn der Exerzitien darin, „sich selbst zu überwinden und sein Leben zu ordnen, ohne sich bestimmen zu lassen durch irgend eine Hinneigung, die ungeordnet wäre“ (GÜ 21). In den Geistlichen Übungen soll Gott selbst in der Seele des Menschen wirken, „d.h. Sehnsüchte und Hinneigungen des Empfängers von dessen Innen aus ordne[n] und wandel[n]“ (DSM 35 f.). Der von Przywara


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