Grüne Antibiotika. Eberhard J. Wormer
er die Verträglichkeit des Saftes im Tierversuch, ebenfalls mit Erfolg. Im Februar 1929 berichtete er über seine Entdeckung. Die veröffentlichten Ergebnisse blieben unbeachtet. Fleming verlor das Interesse am Penicillin und es geriet in Vergessenheit.
Bei der Erforschung von Lysozym, mit dem sich auch Fleming beschäftigt hatte, stießen der Pathologe Howard Florey und der deutsch-jüdische Chemiker Ernst Chain 1939 in Oxford auf Flemings obskure Mitteilung über die antibakterielle Wirkung seiner Schimmelpilzmixtur. Und schon 1941 wurde ein Patient mit einem Penicillin-Präparat geheilt.
Der Kriegseintritt der Alliierten bescherte dem Penicillin-Projekt dann strategische Bedeutung. Die Herstellung war schwierig, wurde aber in den USA technisch verbessert. Zunächst diente Mais-Einweichwasser als Kulturmedium, schließlich entdeckte man einen tausendfach stärker Penicillin produzierenden Pilz auf einer faulenden Melone. Verwundete alliierte Soldaten in Sizilien und Nordafrika profitierten vom ersten Antibiotikum. Alexander Fleming erlebte den späten Siegeszug seines Penicillins nur am Rande und wurde zusammen mit Florey und Chain 1945 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Er wurde geadelt und arbeitete weiter in seinem kleinen Labor am St. Mary’s Hospital. Das Zeitalter der Antibiotika hatte begonnen: Vormals lebensbedrohliche bakterielle Infektionen und Erkrankungen konnten nun rasch und ohne Komplikationen geheilt werden. In den weltweiten Jubelchor, der diesen Meilenstein der Medizin feierte, mischten sich schon früh warnende Töne. Alexander Fleming selbst mahnte in seiner Nobelpreis-Rede 1945, mit Penicillin sorgsam umzugehen. Später stellte er fest: „Wissen Sie, der Staphylococcus ist ein sehr cleverer Organismus. Egal, welches Antibiotikum wir finden, er wird dagegen resistent werden.“ Tatsächlich tauchten bereits vier Jahre vor der Marktzulassung von Penicillin resistente Staphylokokken auf!
Alexander Flemings Petrischale (1928): „Als ich sah, wie sich die Bakterien auflösten, hatte ich keine Ahnung, dass dies der Schlüssel zur wirksamsten, jemals entdeckten therapeutischen Substanz zur Bekämpfung bakterieller Infektionen im menschlichen Körper war.“
Methicillin
Bei aller Begeisterung über die gute antibakterielle Wirkung von Penicillin war man sich seit den 1950er-Jahren doch dessen bewusst, dass es Staphylokokken-Stämme gab, die gegen das Antibiotikum resistent waren. Deshalb achtete man vor allem in europäischen Kliniken darauf, dass infizierte Patienten durch strikte Hygiene und Isolierung nicht zum Infektionsherd für andere Patienten wurden.
Resistente Bakterien bilden ein Enzym (Penicillinase), das sie gegen das meist benutzte Penicillin G (Benzylpenicillin) unempfindlich macht. 1959 entwickelte die Firma Beecham erstmals ein Antibiotikum, das einen Betalactam-Ring besitzt, der schlechter durch Penicillinasen gespalten und inaktiviert werden kann. Das Mittel wurde Methicillin genannt. Somit hatte man nun ein Antibiotikum, das auch bei Penicillin-Resistenz eingesetzt werden konnte. In den 1960er-Jahren glaubten deshalb viele Mediziner (auch der Penicillin-Forscher Ernst Chain), das Ende für resistente Staphylokokken sei nun gekommen. Dies führte unter anderem dazu, dass man in den Kliniken Isolierstationen auflöste, die Antisepsis vernachlässigte und sich nicht mehr die Hände wusch – viele Klinikverwaltungen kürzten die Mittel für die Infektionskontrolle. Eine Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte. Bereits 1959 wurde der erste Staphylokokken-Stamm isoliert, der gegen Methicillin resistent war. Methicillinresistente Staphylokokken werden als MRSA bezeichnet (Methicillin-resistant Staphylococcus aureus). Da man davon ausgehen kann, dass solche Bakterienstämme auch gegenüber anderen Betalactam-Antibiotika sowie Antibiotika anderer Klassen resistent sind, kennzeichnet das Kürzel MRSA auch multiresistente Keime (Multidrug-resistant Staphylococcus aureus). Die letzte Hoffnung für MRSA-Infizierte sind dann sogenannte Reserveantibiotika wie Vancomycin oder Linezolid.
Anteil von MRSA-Isolaten (Methicillin-resistant Staphylococcus aureus) in den europäischen Teilnehmerstaaten 2013. Skandinavische Länder wie Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden schneiden besonders gut ab (unter fünf Prozent MRSA).
Grampositiv und gramnegativ
Der Eigenname Gram kennzeichnet eine Färbemethode, mit der Bakterien für die mikroskopische Untersuchung behandelt werden. Der dänische Bakteriologe Hans-Christian Gram (1853–1938) entwickelte dieses Verfahren zur Differenzierung von Bakterien. Entsprechend ihrer Zellwandstruktur können so zwei Gruppen von Bakterien unterschieden werden: grampositive und gramnegative Bakterien. Die Gramfärbung ist ein wichtiges Diagnoseinstrument für die Naturwissenschaft, Mikrobiologie und Infektiologie.
Schema der Zellwand von Bakterien: 1 grampositive Zellwand, 2 gramnegative Zellwand, 3 Mureinhülle (Peptidoglycan), 4 Plasmamembran, 5 Zytoplasma, 6 periplasmatischer Raum, 7 äußere Membran
Gramfärbung Nach Anfärbung der Bakterien mit einem basischen Farbstoff und durch Nachbehandlung mit Lugolscher Lösung wird ein Farbstoff-Iod-Komplex in den Bakterien gebildet. Dieser Farbkomplex ist nicht in Wasser, aber in Ethanol löslich. Aus gramnegativen Bakterien kann der Farbkomplex mit Ethanol entfernt werden. Dies funktioniert wegen der dickeren Zellwand nicht bei grampositiven Bakterien.
Grampositive Bakterien haben eine dicke, mehrschichtige Zellhülle (Mureinhülle), weshalb die Farblösung durch Alkohol nicht ausgewaschen wird. Da grampositive Bakterien nur eine einschichtige Zellwand haben, sind sie meist empfindlicher gegen Antibiotika, wehren sich aber mit sehr schnellen Efflux-Pumpen. Zu den grampositiven Bakterien gehören etwa Actino- und Streptomyces, Streptococcus, Enterococcus, Staphylococcus, Listeria, Bacillus, Clostridium und Lactobacillus.
Gramnegative Bakterien haben eine dünne einschichtige Mureinhülle mit einer zusätzlich aufgelagerten Lipidmembran, die durch Alkohol aufgelöst wird und zur Auswaschung der Farblösung führt. Zu den gramnegativen Bakterien gehören etwa Enterobakterien (Escherichia coli, Salmonella, Shigella, Klebsiella, Proteus, Enterobacter) sowie die Gattungen Pseudomonas, Legionella, Neisseria, Rickettsia und die Art Pasteurella multocida.
Methicillin wirkt nur gegen grampositive Keime (gramnegative Bakterien sind primär resistent) und wird nicht mehr therapeutisch eingesetzt. Stattdessen benutzt man Oxacillin, Dicloxacillin und Flucloxacillin, die injiziert und eingenommen werden können. Diese Antibiotika sind deutlich schwächer wirksam als Penicillin G und stimulieren zudem die Synthese von Betalactamasen (Penicillinasen), was die Mittel unwirksam machen kann.
Methicillin wird heute nur noch als Labormarker verwendet.
Das europäische Resistenz-Überwachungssystem (EARSS) beobachtet seit 1999 Resistenzentwicklungen in den Mitgliedsstaaten. Die gute Nachricht: Der Anteil der MRSA-Isolate ging im Durchschnitt von 45 Prozent (2004) auf knapp 25 Prozent (2013) zurück. Die schlechte Nachricht: Seit 2014 erhöht sich der Anteil wieder. Wir haben allen Grund zur Besorgnis.
Antibiotika-Ära
Nach Penicillin und Methicillin kam es in den 1970er- und 1980er-Jahren auf dem Gebiet der Antibiotika zu einer starken Forschungsaktivität. Heute sind etwa 8 000 antibiotische Substanzen bekannt. Davon werden nur 80 für therapeutische Zwecke eingesetzt. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2005) sind 2 775 Antibiotikapräparate zugelassen. Ihr Marktanteil beträgt 13 Prozent unseres gesamten Arzneimittelverbrauchs. Antibiotika gehören zu den weltweit am häufigsten verordneten Medikamenten. Eine wirklich neue Klasse von Antibiotika ist nach 1985 nicht mehr gefunden worden. Die Antibiotika-Forschung stagniert seit einigen Jahrzehnten. Grundsätzlich sind antibiotische Wirkungen (wie wir sie heute kennen) von der Natur abgeschaut. Bestimmte Substanzen, etwa im Schimmelpilz, blockieren die Vermehrung von Bakterien (sie wirken bakteriostatisch) oder töten Bakterien durch Zerstörung ihrer Zellwand ab (sie wirken bakterizid).
Auch das körpereigene Enzym Lysozym im Speichel kann Bakterien abtöten.
Als Arzneimittel werden Antibiotika entweder aus natürlichen Stoffen gewonnen oder komplett synthetisch produziert.
Je nach ihrem