Lebendige Seelsorge 2/2021. Verlag Echter
der Universität Erlangen-Nürnberg. Dieser Text ist im Gespräch mit ihrer Schwester Sabine entstanden.
Sabine Rückert
Journalistin und Autorin; stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung DIE ZEIT und Mitherausgeberin des Magazins ZEIT Verbrechen.
ZANGENANGRIFF AUF DAS FUNDAMENT UNSERER KULTUR
Sabine, die als stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT sehr viel Zeitung liest und Zugang zu großen Medien-Archiven hat, sorgt für die modernen Assoziationen: Was sagt die alttestamentliche Josephsgeschichte über die Idee eines Gottesplans aus? Oder die eines philosophischen Weltgeistes? Warum begreifen und erzählen Menschen ihre eigene Biografie stets als Heldenepos? Was hat das Ende der Frau Lots beim Untergang Sodoms mit der Orpheus-Sage zu tun? Kümmert es den großen Schöpfergott ernsthaft zentimetergenau, wie seine Bundeslade aussieht? Und warum regt er sich auf, wenn zwei schwule Homo sapiens Spaß miteinander haben? Warum ergeht es dem Volk Israel nach seiner Befreiung aus Ägypten nicht anders als all den modernen Ländern nach einer Revolution? Auf den Jubel über die Rettung folgen Frust und Enttäuschung.
Unser Podcast ist sozusagen ein Zangenangriff auf die Bibel, auf das Fundament unserer Kultur. Wir haben dabei keineswegs den Eindruck, Gott verteidigen zu müssen (das kann er – wenn es ihn gibt – sicher besser als wir). Wir müssen in der Öffentlichkeit auch kein Verständnis für ihn streuen. Unser Podcast ist kein Kirchenfunk und hat keinerlei missionarischen Impetus. Das ist die Voraussetzung für seine Glaubwürdigkeit in den Augen der Christinnen und der Atheisten.
PODCAST STATT GOTTESDIENST
Die Reaktionen sind erstaunlich. Allein im Januar 2021 haben etwa eine halbe Million Menschen den Bibelpodcast heruntergeladen. Viele geben in den oft anrührenden Mails, die uns erreichen, an, dass sie schon immer mal wissen wollten, was in diesem Buch mit den sieben Siegeln steht, aber zurückgeschreckt seien vor der Weltsicht jener uralten Völker und der fremden umständlichen Sprache.
Auf einer Zugfahrt wurde ich selbst von einer jungen Studentin angesprochen, ob ich nicht eine der beiden „Pfarrerstöchter“ sei, sie höre den Podcast immer am Sonntagmorgen beim Joggen.
Das sagen viele: am Sonntagmorgen. Man geht nicht in die Kirche, sondern hört sich lieber ein Gespräch an über jene Masterurkunde unserer Kultur, über Gott und die Welt, das eher anspruchsvoll ist – und bei dem alle Fragen offen bleiben.
Es schreiben uns auch viele: Menschen, die das Buch der Bücher noch nie in der Hand hatten und andere, denen die Bibel und das, was manche Geistliche aus ihr machen, das Leben verdorben hat. Und viele, die mit der Predigt in der Kirche nichts anfangen können und trotzdem Sehnsucht haben nach Inspiration und Lust über die großen Lebens- und Überlebensfragen nachzudenken.
Ein Geheimnis des Erfolges der Pfarrerstöchter scheint es zu sein, dass die Geschichten vom ‚Framing‘ der kirchlichen Verkündigung befreit sind, befreit aus der Fürsorglichkeit, die bestimmte Texte auswählt und andere, die das politisch korrekte Gottesbild des allmächtigen Vaters und ‚lieben‘ Gottes in Frage stellen, einfach weglässt. Befreit aus der klerikalen Fraglosigkeit, mit der die kirchliche Verkündigung Welt und Menschen gut redet. Auch befreit aus der Echokammer der geistlichen Männer und Frauen, die Texte in Watte packen, um ihre Schäfchen zu schützen vor den Abgründen, die in den biblischen Texten warten. Zum Beispiel vor jener bösen Vorstellung, dass Gott einen Menschen anfällt wie ein schwarzer Dämon und dass man mit ihm ringt bis zum Morgengrauen, wie in Genesis 32 beschrieben. Auch, dass dieser Gott von einem Menschen besiegt und zum Segen gezwungen werden kann, ist eine sehr befremdliche Vorstellung. Oder das Bild von einem Gott, der seine gegebenen Versprechen über undenkliche Zeiten nicht einlöst, wie jene Verheißung an Abraham, dass seine Kinder zahlreicher sein sollten als die Sterne. Ein Gott, der seine eigene Verheißung plötzlich wieder infrage stellt und Abraham auffordert, den eigenen einzigen Sohn zu opfern. Prüft man so die Tiefe eines menschlichen Glaubens? Und warum das alles? Ein Gottesbild, das man im Podcast – im Gegensatz zur Kanzel – zynisch und sadistisch nennen darf, ohne ihm seine menschlichen Erfahrungshorizonte zu nehmen.
DIE BIBEL: ANGEBOT ZUM DISKURS UND ZUM STREIT
Wir Pfarrerstöchter nehmen die Texte ernst und begeben uns in diesem Podcast zusammen mit dem Publikum selbst auf Entdeckungsreise – wohin sie uns auch führen mag. Ich, die Theologin und Predigerin, die seit 40 Jahren biblische Texte auslegt, lese dieses Buch jetzt mit neuen Augen. Erstaunt bemerke ich, welche archaischen und kindlichen Gottesvorstellungen da bisweilen verhandelt werden und wie widerstreitende theologische und politische Meinungen in der Bibel nebeneinander stehen, und mir wird klar, wie wir Predigerinnen in den letzten Jahren die Exegese sträflich vernachlässigt haben. Die Fragen meiner Schwester, der Journalistin, die alles nicht nur ungefähr, sondern genau wissen will, fördern das zutage.
Wir Geistliche blicken zurück auf ein Theologiestudium, das uns durch die alten Sprachen getrieben hat und durch eine kirchliche Praxis, die uns den harten Blick auf die Texte regelrecht ausgetrieben hat. Wir sollen Ansagen machen in der Predigt und trösten, wir sollen ausrichten, dass mit Christi Hilfe alles im Leben einen Sinn macht und am Ende alles gut wird. Und über die Jahre geraten wir in die Falle. Dann predigen wir nicht mehr die Texte, sondern uns selbst. Die eigene Befindlichkeit, die eigenen Ängste und Sehnsüchte, die persönliche politische Meinung und die persönliche spirituelle Erfahrung. Die Texte werden mit den Jahren nur noch zum Anlass fürs pastorale Selbstgespräch. Über die Fremdartigkeit und Provokation, die von der Bibel ausgeht, ihr Angebot zum Diskurs und zum Streit, ihre Herausforderungen und ihre Zumutungen wird einfach hinweggepredigt. Die Heilige Schrift wird klein gemacht und handlich. Sie wird jeden Sonntag ins Kinder-gartenformat gepresst und leicht verdaulich serviert.
Die Predigthörer und Gottesdienstbesucherinnen werden gezwungen, die Texte unanstößig zu hören – deshalb fühlen sie sich von ihnen auch nicht mehr angestoßen. Die Kanten sind geschliffen, die schmerzhaften Spitzen abgebrochen. In unserem Format Unter Pfarrerstöchtern besteht hingegen kein Zwang zur predigenden Verkündigung, an ihrer Stelle findet eine angeregte und wirklich interessierte Unterhaltung statt, mit dem Effekt, dass die Hörer sich (hoffentlich) nachdenklich, angeregt und unterhalten fühlen.
GESELL*INNEN EINES GESELLIGEN BUCHES
Vom „geselligen“ Gott, hat der vor hundert Jahren geborene Pfarrer und Dichter Kurt Marti gesprochen, er schreibt:
„Am Anfang: Beziehung.
Am Anfang: Rhythmus.
Am Anfang: Geselligkeit.
Und weil Geselligkeit: Wort.
Und im Werk, das sie schuf,
suchte die gesellige Gottheit sich
neue Geselligkeiten.
Weder Berührungsängste
noch hierarchische Attitüden.
Eine Gottheit, die vibriert
vor Lust, vor Leben.
Die überspringen will
auf alles,
auf alle.“
Warum steigen wir, die Pfarrer und Pastorinnen nicht von unserer inneren Kanzel herab und bereiten die Predigt im Gespräch vor? Mit Freundinnen, mit den Kindern, dem Partner oder in Netz-Foren? Warum trauen wir den Texten, die unsere Religion so lange getragen haben, so wenig zu? Ist es nicht gerade das Erbe Martin Luthers, die biblischen Texte aus der Umklammerung der klerikalen Lesart zu befreien?
Zurück zur Exegese. Mal wieder Kommentare lesen. Sich die Kontexte der biblischen Verse ansehen, ihre Wirkungsgeschichte wahr nehmen und die im Text verborgenen Dialoge entdecken. Es ist das Gespräch, und auch der Streit und der Zweifel, die jene alten Texte zum Klingen bringen. Nur ehrliche Fragen lassen uns Neues entdecken, nicht hermetische Antworten.
Das habe ich aus der Erfahrung mit dem Podcast für die eigene Predigt gelernt: Man kann Predigt als einen Akt der Kommunikation verstehen,