Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe
geistiger und sozialer Heimat. Die Haushälterin kommt stundenweise und Verwandte wohnen kaum mehr im Pfarrhaus. Das „Single-Leben“ bereitet gerade im Alter zunehmend Schwierigkeiten. Die Suche nach dem „guten Ort“ für sich selbst gestaltet sich schwierig. Die Suche nach außergemeindlicher geistlicher und menschlicher Heimat (Freizeit) birgt die Gefahr, dass die Pfarrei zum reinen Dienst- und Arbeitsort wird. Der väterlich freundschaftliche Rückhalt des Presbyteriums durch den Ortsbischof76 erweist sich in der Praxis oft mehr als Enttäuschung denn als tragfähige Basis und Verankerung. Ein tragfähiges individuelles Netz von Mitbrüdern oder Berufskollegen muss vom Einzelnen geknüpft und aktiv gepflegt und gestaltet werden.
Die gesellschaftliche Akzeptanz der zölibatären Lebensform von Priestern nimmt ab und bedeutet weiteren Heimatverlust. „Nicht der Zölibat ist das Hauptproblem sondern seine Nichtunterstützung ... In einer solchen Lage fällt die Kunst, eheloses Leben befriedigend zu gestalten, auf die Person des Priesters zurück. Was früher ein kulturell getragenes Gut war, ist heute einsame Lebensleistung.“77 Es geht darum, die vielgestaltigen und widersprüchlichen Aspekte der eigenen Identität und die widersprüchlichen Ansprüche der Menschen und Strukturen zu integrieren und zu ordnen. Dazu gehört auch die Integration der pastoralen Entwicklungen in die eigene Biographie und das Entwerfen neuer beruflicher Identitäten. Zeit- und Selbstmanagement dienen nicht nur pastoraler Qualitätssicherung, sondern werden in der Pastoral zur Überlebensfrage.
Beim diözesanen Personaleinsatz ist abzuwägen, an welchen gesellschaftlichen Orten Kirche von ihrem Auftrag her mit welcher personalen Kompetenz präsent sein muss und wie Präsenz erlebbar und kommunizierbar bleiben kann. Mitarbeiter fühlen sich von der Diözesanleitung im Stich gelassen, wenn das Arbeitsgebiet und die Führungsverantwortlichkeit zu groß oder ungenau gehalten sind. Nicht wenige Pfarrer wissen nicht, für welche Mitarbeiter sie selbst direkte Personalverantwortung haben und wie diese wahrzunehmen ist. (Mitarbeitergespräche mit Pfarrsekretärinnen, Fortbildung und spirituelle Angebote für Erzieherinnen, Konfliktgespräche u. a.). Personaleinsatzplanung im pastoralen Bereich darf nicht nur die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder im Blick haben, sondern muss bedenken, wie der Erhalt und die Pflege einer spirituellen, psychisch-sozialen und äußeren Heimat (Wohn- und Rückzugsort) für den Seelsorger möglich ist, um psychische und physische Gesundheit zu erhalten.
Eine Pastoral der Vernetzung meint sowohl ein pastorales Grundangebot vor Ort als auch die Errichtung von „Leuchttürmen“ und pastoralen Zentren, in denen Kirche präsent ist, wo geistliches Leben intensiv gepflegt wird, Angebote gebündelt und verdichtet werden. Entscheidend wird sein, ob die Gemeinde vor Ort und pastorale Zentren auch für Haupt- und Ehrenamtliche selbst zu Kraftorten gemeinsamen Betens und sozialen Ankerpunkten werden können. Die Gruppe der aktiv das pastorale Leben (haupt- und ehrenamtlich) tragenden und dafür verantwortlichen Christen wird sich wohl immer deutlicher als die „Primärgruppe“ des priesterlichen Einheitsund Leitungsdienstes des Pfarrers herauskristallisieren. Für das spirituelle Niveau einer Pfarrei ist es wichtig, dass die Gruppe der faktisch Verantwortlichen auch selbst so etwas wie ein „kommunikatives Glaubensmilieu“ bildet. Wenn Kirche heute weniger Kirche im Ort als Kirche am Ort ist, so hat Theologie zu klären, wo heute die jeweiligen relevanten Orte und Handlungsfelder von Kirche sind. Personalentwicklung muss sich in diesen Diskurs einschalten mit der Frage, wie kirchliches Personal an diesen Orten und in diesen Handlungsfeldern selbst Raum zum Arbeiten, aber auch zum Leben und zum Beten findet.
2.6 Pfarreiseelsorge zwischen Expertokratie und Dilettantismus
Die Kompetenzanforderungen an das Seelsorgepersonal sind gestiegen: Hohe fachliche Professionalität wird von den Dienstleistern einer funktional gegliederten Gesellschaft erwartet, hohe Authentizität und personale Glaubwürdigkeit sind speziell in der Kirche gefordert. Naivität, fachlicher Dilettantismus und mangelnde Professionalität seitens hauptamtlicher Kirchenrepräsentanten auf Ebene der Bistumsleitung wie auf Ebene der erlebbaren Ortspfarrei werden in einer Dienstleistungsgesellschaft geächtet.
Große Unklarheit herrscht jedoch darüber, welche und wie viel Professionalität erforderlich ist, was Professionalisierung angesichts zunehmender Heterogenität und Differenzierung pastoraler Handlungsfelder speziell für die Gemeindearbeit bedeutet und wie diese umgesetzt werden soll. Aus einem reichen Fortbildungsangebot von EDV-Kursen über Projektmanagement bis hin zu Sterbebegleitung kann der Einzelne wählen, ohne genau zu wissen, welche Kompetenzen seitens des Arbeitgebers vorrangig erwünscht sind und abgerufen werden sollen. Das pfarreiliche Handlungsfeld ist nicht nur der fruchtbare Weinberg, sondern wird zum „Kraut- und Rübenacker“, wenn Prioritäten und Posterioritäten nicht festgelegt werden. Die Wahlfreiheit des Einzelnen bezüglich seines Kompetenzzuwachses kann für die Gesamtorganisation zu einem konzeptlosen „Gießkannenprinzip“ werden.
Gemeinde- oder Pastoralreferenten in der Pfarrei dem in immer neuen Varianten wiederholten Vorwurf aus, als Experte und Professioneller das Ehrenamt auszuhöhlen, lebendige selbstgesteuerte kirchliche Vergemeinschaftung zu behindern, Exklusivität zu steigern und der Verkirchlichung des Evangeliums Vorschub zu leisten. Die aus gestiegenen Kirchensteuermitteln in den letzten Jahrzehnten finanzierten neuen Laienberufe sehen sich heute mit der offenen Vorhaltung konfrontiert, den Volk-Gottes-Gedanken des 2. Vatikanischen Konzils zu konterkarieren und der Gleichheit und gemeinsamen Würde aller Gläubigen mit ihrer beruflichen Rolle und Funktion entgegenzuwirken. Der Diakon mit Zusatzausbildung in Sozialmanagement steht im Verdacht, ehrenamtliche Mitarbeiter durch pastorale Professionalität in die Rolle von Zuschauern und Konsumenten zu zwingen. Hauptberufliche Laien, welche von Personaleinsatzzentralen bewusst in Leitungsfunktionen vor Ort gesetzt wurden, um personelle und fachliche Leitungsdefizite zu füllen, müssen sich gegenwärtig den Vorwurf gefallen lassen, personale Fixierung in der Kirche zu verstärken und das Ehrenamt zu verdrängen.78 Im Zuge knapper werdender finanzieller Ressourcen finden auf dem Rücken des Seelsorgepersonals auch theologische Umdeutungen statt. Pastorale Professionalisierung steht im Verdacht, eine „Expertokratie“ herausbilden zu wollen und Ehrenamtliche zu entmachten. Gefordert wird eine „professionelle Entprofessionalisierung“, die Berufsprofile nicht verfestigt, sondern die Zusammenarbeit menschlicher gestalten hilft, ohne das Verständnis von Professionalität in der Pastoral inhaltlich zu klären.79 Der Pastoralprofi stehe in der Gefahr, sich selbst für unverzichtbar zu halten und sich mit einer Aura von Exklusivität und Komplexität zu umgeben, wird beklagt.80 Dem pastoralen Experten werden Allmachtsphantasien unterstellt, wenn er glaubt, eine Gemeinschaft „herstellen“ zu können, was auf einen klaren Unterdrückungsmechanismus hinauslaufen würde. Welche fachlichen und personalen Kompetenzen für den Pfarrer oder einen Diakon unerlässlich sind und auf welchem Wege diese zu erlangen und zu fördern sind, bleibt unbeantwortet. Damit bleibt Personalentwicklung, die als Handlungswissenschaft auf theologische Handlungsleitlinien angewiesen ist, auf sich gestellt.
Mit dem Ende volkskirchlicher Strukturen und im Zuge massiver Sparzwänge blühen in deutschen Bistümern pastoraltheologische Visionen einer basisorientierten, geisterfüllten und von ehrenamtlichen Laien getragenen neuen Form des Kirche-Seins. Diese Entwürfe implizieren nicht selten ein Gegenüber von professionalisierter bürokratischer Hauptamtlichenkirche und einer von Laienengagement getragenen missionarischen Kirche, die sich in kleinen lebendigen Netzwerken verwirklicht. Pastorale Mitarbeiter geraten indirekt als bezahlte und quasiverbeamtete „Funktionäre“ unter Legitimations- und Rechtfertigungsdruck. In ihnen sieht man Bewahrer des Status quo, da es immer auch um eigene berufliche Existenzberechtigung geht. Aufgrund ihres „Beamtenstatus“ wird ihnen Veränderungspotenzial abgesprochen. Hauptberufliche stehen im Verdacht, pastorale Kontinuitätsfiktionen zu pflegen, um das eigene Berufsprofil zu wahren. Es wäre einseitig und polarisierend, z.B. den Leitungsorganen in der Kirche nur das ängstliche Beharren und den geistlichen Bewegungen den befreienden Pfingstgeist zuzuweisen. Hauptamtliches Personal steht nicht per se für „Verkirchlichung“, Ehrenamt bedeutet nicht automatisch basisorientierte Charismenorientierung. Es ist derselbe Geist, der in den Charismen und in den Ämtern wirkt, der für Kontinuität und Aufbrüche sorgt, der Traditionen wahrt und Reformen hervorruft.
Wenig dienlich sind plakativ aufgestellte Gegensätze zwischen einer gemeindlichen Versorgungsstruktur, in der sich der