Geist & Leben 3/2018. Verlag Echter

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Eltern des Geheilten gefragt. Diese weichen jedoch aus, da sie fürchten, aus der Synagogengemeinde ausgeschlossen zu werden, wenn sie einen Glauben an Jesus bekundet hätten. So antworten sie: „Fragt doch ihn selbst. Er ist alt genug und kann selbst für sich sprechen!“ (Joh 9,21) Das tut der geheilte junge Mann dann auch und erklärt freimütig, schon zum zweiten Mal, dass Jesu ihn geheilt habe (den er noch nicht mit Namen kennt). Er riskiert damit den von den Eltern befürchteten Konflikt mit den jüdischen Autoritäten und wird in der Tat aus der Synagoge ausgeschlossen. Bei einer erneuten Begegnung mit Jesus bekundet er ihm ausdrücklich seinen Glauben. So wird er zu einem Vorbild für furchtloses Bekenntnis zu Jesus, selbst um den Preis des Verlustes seines sozialen Netzes.

      Die Mutter Jesu

      Die Mutter Jesu nimmt im vierten Evangelium einen besonderen Platz ein. Wir kennen ihren Namen nur durch die synoptischen Evangelien, doch besitzt sie im vierten Evangelium eine Bedeutung, die über die in den synoptischen Evangelien hinausgeht. Wir finden Maria in zwei Texten des Johannesevangeliums, die eine Klammer bilden: am Anfang beim Bericht von der Hochzeit von Kana in Joh 2,1–12 und am Ende in der Szene von den Frauen und dem Lieblingsjünger unter dem Kreuz in Joh 19,25–27. Schon diese Tatsache unterstreicht die Bedeutung der Mutter Jesu für den Evangelisten. Maria umschließt die ganze Offenbarung Jesu nach Johannes vom Anfang bis zum Ende.

      Im Bericht von der Hochzeit von Kana nennt der Evangelist die Mutter Jesu vor diesem selbst und seinen Jüngern (später auch den Brüdern). Wir haben gesehen, dass der Grund für diese Tatsache vielleicht darin liegt, dass die Brautleute zur Familie Jesu und seiner Mutter gehörten. Vielleicht spürt Maria gerade aus diesem Grunde eine besondere Verantwortung für das junge Paar, als der Wein auszugehen beginnt. In dieser Situation denkt sie, dass Jesus eine Möglichkeit haben wird, den jungen Leuten zu helfen. Wir wissen nicht, ob sie gleich an ein Wunder dachte, doch lässt sich das nicht ausschließen. Auf jeden Fall versteht Jesus ihren Hinweis in diesem Sinne und weist sie in einem ersten Augenblick zurück: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4). Die Anrede „Frau“ überrascht an dieser Stelle. Auf den ersten Blick drückt sie Distanz aus. Im größeren Zusammenhang der Erzählung könnte sie jedoch einen tieferen Sinn haben. Offenbar tritt Maria in diesem Bericht an die Stelle der Braut, Gefährtin des Bräutigams (wir erinnern uns an das Wort des Täufers in Joh 3,29). Dieselbe Bezeichnung der Mutter Jesu wird in Joh 19,26–27 wiederkehren.

      Dieser zweite Text, der im Johannesevangelium von Maria spricht, ist eine Szene unter dem Kreuz Jesu in seiner Todesstunde. Im Unterschied zu der Darstellung der Synoptiker stehen die Frauen nach Johannes direkt unter dem Kreuz und beobachten aus der Nähe das Geschick Jesu. Sie werden schon vor dem Tod Jesu erwähnt und nicht erst nachher wie bei den Synoptikern. Entsprechend der Zahl der vier Soldaten, die unter sich die Kleider Jesu aufteilen (Joh 19,23), werden vier Jesus nahestehende Frauen erwähnt: die Mutter Jesu, die Schwester seiner Mutter, eine weitere Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala (Joh 19,25). Zuvor: Grausamkeit, jetzt: Freundschaft und Liebe.

      Vor Jesu letzten Worten: „Mich dürstet“ und „Es ist vollbracht“ richtet er seine Worte an die Mutter und an den Lieblingsjünger, der erst hier in die Szene eingeführt wird: „Frau, siehe, dein Sohn!“ – „Siehe, deine Mutter!“ Diese Worte Jesu haben eine unterschiedliche Deutung erfahren. Vor allem katholischerseits betont man die marianische Bedeutung des Textes. Maria erscheint als Mutter nicht nur des Lieblingsjüngers, sondern der ganzen Kirche, die dieser vertritt. Dieser Sinn ist sicher auch gegeben, doch verdient er eine Ergänzung: Maria wird auch dem Lieblingsjünger anvertraut. In der Tat schließt der Text mit der Mitteilung: „Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (V. 27). Der Grund für diesen Vorgang liegt in der sozialen Stellung der Witwe, die ihren Sohn, Grundlage ihrer sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit, verloren hat. So nimmt der geliebte Jünger Maria auf und nicht umgekehrt.

      Selbstverständlich hat diese Szene auch ihre spirituelle und metaphorische Bedeutung, als eine der sieben Szenen des Berichtes vom Kreuzestode Jesu (Joh 19,16b–42), in deren Mitte sie steht. Die Mutter Jesu ist seine treueste und nächste Begleiterin während seines Lebens. Darum nennt Jesus sie auch zweimal „Frau“. Im Augenblick des Scheidens Jesu überlässt Maria ihren Platz dem Lieblingsjünger. Er ist der Vertreter der entstehenden Kirche, der Mann, der Jesus seit dem Letzten Abendmahl und bis unter das Kreuz nahe ist und der der erste Jünger sein wird, der nach dem Lauf zum Grab die Auferstehung erkennen wird (Joh 20,3–10). Der Schluss des Evangeliums in Joh 21 sieht in ihm nicht nur den verlässlichen Zeugen Jesu, sondern auch den Verfasser des vierten Evangeliums: er wird das Fundament des Glaubens für die zukünftigen Gläubigen sein (vgl. VV. 24 f.).

      Rückblick und Ausblick

      Was lehrt uns das Johannesevangelium über die Familie? Es enthält dazu keine eigentliche Lehre. Doch kann man sehen, wie Jesus das Familienleben lebt und wie er es bewertet. Das vierte Evangelium beschreibt uns Jesus als ein Mitglied einer Familie mit Vater, Mutter und Brüdern (Geschwistern). Mit ihnen gibt es nicht nur eine biologische, sondern auch eine geistliche Beziehung. Gegen Ende des Evangeliums erweitert sich die Perspektive. „Brüder“ Jesu werden jetzt die Jünger Jesu, zu denen Maria von Magdala mit ihrer Osterbotschaft gesandt wird. Die menschliche Familie kann sich öffnen in Richtung auf eine Sicht, bei der es nicht mehr um die blutsmäßige Verwandtschaft, sondern um eine menschliche und geistliche geht.

      Das gleiche gilt von der Beziehung Jesu zu seiner Mutter. Auf der einen Seite erscheint sie als seine natürliche Mutter, Teil seiner Familie, die auch Familiensinn zeigt bei ihrer Teilnahme an der Hochzeit von Kana und Sensibilität gegenüber dem jungen Paar, vermutlich Verwandten. Sie geht den Weg ihres Sohnes bis zum Ende mit, bis unter das Kreuz. Sie lässt ihn in diesem Augenblick letzten undäußersten Leidens nicht allein. Sie vernimmt auch sein Vermächtnis, mit dem Jesus sie dem Lieblingsjünger anbefiehlt und diesen ihr. Wie bei den Brüdern Jesu hat auch die Mutter eine Rolle, die über das Natürlich-Biologische hinausgeht. Die Mutter Jesu erweist sich von Anfang an als seine Gefährtin, fast seine Braut, wie sich aus der Anrede „Frau“ bei der Hochzeit von Kana und nachher erneut am Kreuz ergibt. So wird Maria die Mutter nicht nur Jesu, sondern auch des Lieblingsjüngers und mit ihm der Gläubigen in der Zukunft.

      Wir können aus dieser Öffnung der Verwandtschaft ersehen, dass auch unsere Familien sich öffnen können und sollen in Richtung auf neue Funktionen und gegenüber neuen formalen oder informellen Mitgliedern, Freunden, Nachbarn, Menschen unterwegs. Wir haben gesehen, dass Jesus von Anfang an nicht nur einzelne, sondern gern auch Brüder beruft und dass er sich als Freund von Familien mit Brüdern und Schwestern erweist wie im Hause des Lazarus. Für die Frage, wie Jugendliche und junge Erwachsene ihren Weg verantwortlich finden und gehen können, war die Geschichte vom Blindgeborenen aufschlussreich. Er ist alt genug, um über seine religiöse Überzeugung Rede und Antwort zu stehen. So ist die Geschichte von seiner Heilung durchaus ein geeigneter Text für Firmgottesdienste.

      Eine letzte Beobachtung ergibt, dass Jesus Verheiratete nicht so nimmt, wie sie sein sollten, sondern wie sie sind. Dies zeigte sich bereits im Fall der Frau aus Samarien. Sie hatte fünf Männer und der, mit dem sie jetzt lebt, ist nicht ihr Mann. Jesus weiß all dies, doch er nimmt es nicht als Ausgangspunkt für eine sittliche Belehrung, sondern für ein religiöses Gespräch, in dem er ihr die Beziehung zwischen Gott und den verschiedenen Kulten erklärt. Die gleiche Ausrichtung lässt sich bei der Erzählung von Jesus und der des Ehebruchs angeklagten Frau feststellen.

      Wir erleben heute eine Diskussion um den rechten Umgang mit Menschen, die nach einer Scheidung neu geheiratet haben. Einige Katholik(inn)en sind in Gefahr, wie die Pharisäer und Schriftgelehrten zu urteilen: Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz müssen sie von den Sakramenten ausgeschlossen werden. Dieser Argumentation setzen andere, mit den Kirchenvätern, entgegen, dass die Sakramente für die Sünder(innen) und nicht für die Heiligen bestimmt sind. Vielleicht hilft uns die Evangelienerzählung von Joh 7,53–8,11 von Jesus und der des Ehebruchs angeklagten Frau, eine Lösung zu finden, die sich mit Recht christlich nennen darf.8

      1 Für den Vorschlag, in Joh 1,13 die Gotteskindschaft ohne menschliche Zeugung nicht auf die Gläubigen, sondern auf Jesus zu beziehen, wie von einigen Autoren vorgeschlagen, fehlt es an neutestamentlichen Textzeugen.

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