Alles Materie - oder was?. Hans-Dieter Mutschler
heute.
Das 18. Jahrhundert, in dem William Paley lebte, war das Jahrhundert des Mechanismus. Die mechanischen Artefakte, wie z. B. die damaligen Uhren, wurden immer komplizierter und kunstvoller. Also entwickelten ‚progressive‘ Theologen wie Paley eine natürliche Theologie, die sich am Technikparadigma orientierte. Allerdings stieß Paley schon damals, d. h. lange vor Darwin, auf Widerstand innerhalb der Theologenzunft. Es ist also nicht so, wie man heute ständig liest, dass Paleys natürliche Theologie erst von Darwin kritisiert wurde. Der englische Theologe Alister McGrath hat dies in einer glänzenden Studie nachgewiesen.
Es ist auch von der Sache her kein Wunder, dass Paleys technizistisches Denken auf Widerstand bei den Theologen stoßen musste, denn das Verhältnis des christlich verstandenen Gottes zu seiner Schöpfung ist kein zweckrationales, von außen kommendes, sondern ein dialogisches der Anerkennung. Wer sich technisch zur Welt verhält, der hat ein monologisches, einseitiges Verhältnis der Machtausübung, nicht ein wechselseitiges des Dialogs und der Anerkennung. Man kann also nicht sagen, dass Paleys natürliche Thesologie aufgrund ihrer technizistischen Vorstellung irgendetwas mit dem zu tun hat, was die natürliche Theologie über die Jahrhunderte hinweg lehrte. Die oben erwähnten fünf Gottesbeweise des Thomas von Aquin aus der Summa theologica enthalten deshalb auch keine solchen technischen Vorstellungen.
Aber bei den Gegnern des Glaubens haben sie sich seit 200 Jahren gehalten, und das gibt einen Hinweis darauf, weshalb Franz Wuketits die natürlichen Organismen als „Pfusch“ bezeichnet. Er glaubt nämlich, dass die Theologie damit steht und fällt, dass die Organismen perfekte Maschinen sind. Denn in diesem Fall – so fürchtet er – würden sie die Grundlage zu einem Gottesbeweis hergeben und das will er verhindern. Also bezeichnet er sie herablassend als „Pfusch“, um dem Glauben das Wasser abzugraben. Wir haben daher die folgende, unüberbietbar absurde Situation: Ein Biologe wie Franz Wuketits interpretiert die natürlichen Organismen nach einem ganz und gar unbiologischen Schema und bekämpft damit eine Theologie, die genauso schief ist und die schon vor 200 Jahren kaum für sinnvoll gehalten wurde.
In Wahrheit ist es aber noch viel absurder: Seit 20 oder 30 Jahren gibt es die neue Disziplin der Bionik. Man hat entdeckt, dass die natürlichen Konstruktionen unseren eigenen haushoch überlegen sind, was Stoffausnützung oder den energetischen Wirkungsgrad anbelangt. Während z. B. selbst unsere Energiesparlampen immer noch einen ziemlich schlechten Wirkungsgrad haben, weil sie viel zu viel Energie in nutzlose Wärme umwandeln, erzeugen die Glühwürmchen kaltes Licht. Sie setzen praktisch die gesamte hineingesteckte Energie in Licht um. Wir sind bis heute nicht in der Lage, es ihnen gleichzutun; und so ist das mit vielen ‚Konstruktionen‘ in der Natur. Wir würden uns z. B. glücklich preisen, wenn wir so stabile Stahlseile hätten wie die Spinnenfäden, wenn wir die Größenordnung berücksichtigen. Ein Spinnennetz hält eine Hummel aus. Im vergleichbaren Maßstab wären unsere besten Stahlseile längst gerissen, wenn sie solchen Belastungen standhalten müssten. Verglichen mit den natürlichen Konstruktionen ist das, was wir machen, Pfusch und deshalb gibt es die Bionik, die von der Natur lernen möchte, und das in immer größerem Maßstab. Z. B. hat die Autoindustrie längst damit begonnen, ihre Motoren analog zu unseren Knochen aufzubauen, denn die sind nur dort verstärkt, wo die größten Belastungen auftreten, während die Natur an den anderen Stellen Material spart. Der bekannteste Bioniker in Deutschland ist wohl Claus Mattheck. Er hat insbesondere die Stabilitätseigenschaften von Bäumen untersucht, um die entsprechenden Eigenschaften unserer Türme zu optimieren. Wenn unsere Fernsehtürme den Belastungen standhalten müssten, die im Verhältnis die Bäume verkraften, dann wären sie schon längst alle umgefallen. Oder anders gewendet, man könnte unsere Türme mit viel weniger Material und besseren Stabilitätseigenschaften bauen, wenn man an der Natur Maß nähme.
Wir haben also bei Wuketits eine Situation, die an Absurdität kaum zu überbieten ist: Aufgrund einer falsch verstandenen Biologie bekämpft er eine falsch verstandene Theologie und nimmt noch nicht einmal zur Kenntnis, dass die Natur selbst dann, wenn sie unter den extremen Bedingungen einer ständigen Leistungssteigerung arbeiten muss, immer noch ‚Konstruktionen‘ hervorbringt, die den menschlichen haushoch überlegen sind.
Damit mag es vielleicht genug sein. Es macht keinen Sinn, diesen neuen Atheisten zu viel Raum zu geben, sonst würde der Eindruck entstehen, man nähme sie ernst. Die sogenannten neuen Atheisten sind überdies nicht wirklich neu. Sie erinnern fatal an den Atheismus des späten 19. Jahrhunderts. Damals verbreitete der Biologe Ernst Haeckel die Darwin’sche Lehre in Deutschland und verband sie mit einem weltanschaulich-materialistischen Monismus ziemlich aggressiven Charakters. Wer sich mit diesem Monismus beschäftigt hat, wird sich die Augen reiben: Wie kommt es, dass die neuen Atheisten alle Torheiten wiederholen, die schon vor 150 Jahren wenig überzeugend waren?
Es scheint eben, dass wir die Bodenlosigkeit unserer eigenen Exstenz und die der Welt nicht aushalten wollen. Das Mysterium bedroht unsere Selbstsicherheit. Es setzt hinter allem, was wir tun, ein Fragezeichen. Der Szientist bringt das Mysterium zum Verschwinden. Er ersetzt die Fraglichkeit durch Kausalanalyse und rekonstruiert die Welt als eine krause Mischung aus blinder Notwendigkeit und ebenso blinden Zufällen. Dann ist die Welt zwar sinnlos, aber sie lässt sich immerhin berechnen und wir wissen endgültig Bescheid.
2. Ist der Mensch ein Produkt der Evolution?
Die Frage zu stellen, ob der Mensch ein Produkt der Evolution sei, scheint ziemlich überflüssig. Natürlich ist er das, wir haben ja die Ausgrabungen, die es beweisen. Aber die Frage war anders gemeint: Ist der Mensch ausschließlich und in jeder Hinsicht ein Produkt der Evolution, wie sie von den Darwinisten beschrieben wird? Selbst hier scheint vielen die Antwort selbstverständlich, ist es aber in Wahrheit nicht. Wenn nämlich der Mensch emergente, das heißt also neuartige Eigenschaften hat, die ansonsten so in der Natur nicht vorkommen, dann können diese Eigenschaften schwerlich durch die Evolution hervorgebracht worden sein, wie sie von der Biologie verstanden wird. Der Philosoph Thomas Nagel schrieb vor Kurzem ein Buch mit dem Titel „Geist und Kosmos – warum die materialistisch-neo-Darwinische Konzeption der Natur wahrscheinlich falsch ist.“ Dieses Buch hat viel Aufsehen oder sogar wütende Proteste hervorgerufen. Wie kommt ein Philosoph, der zudem bekennender Atheist ist, dazu, den Darwinismus für falsch zu halten, jedenfalls bezogen auf den Menschen?
Aber so einfach ist das nicht, denn Nagel bestreitet keineswegs, dass die Darwinistischen Prinzipien nützlich, ja unumgänglich sind, um das Werden in der Natur zu begreifen. Er bestreitet lediglich, dass diese Prinzipien hinreichend sind, menschliche Vernunft und Freiheit abzuleiten. Er hatte schon früher mit guten Gründen darauf hingewiesen, dass Menschen Eigenschaften aufweisen, die ansonsten in der Natur nicht vorkommen. Diese älteren Schriften haben kein solches Aufsehen erregt, obwohl sie doch im Grunde dieselbe These vertreten, denn wenn ich der Meinung bin, dass Menschen unableitbar emergente Eigenschaften wie Vernunft und Freiheit haben, die naturwissenschaftlich nicht erklärt werden können, dann muss ja doch der Darwinismus insofern unterdimensioniert sein, als dass er auf diese Eigenschaften nicht bezogen werden kann, also nicht imstande ist, sie zu erklären. Aber wie gesagt, all die Jahrzehnte, in denen Nagel dieselbe These vertrat, gab es keinen solchen Aufschrei. Man muss schon explizit sagen, dass der Darwinismus für den Menschen falsch ist, um wahrgenommen oder sogar verachtet zu werden.
Nagel schlägt vor, die Gesetze der Physik durch teleologische Gesetze zu erweitern, d. h. durch Gesetze, die Sinnperspektiven eröffnen. Die Gesetze der Physik, wie wir sie gewöhnlich verstehen, gelten einfach nur. Sie haben, so gesehen, keinen Sinn, sind aber nicht etwa sinnlos, sondern einfach nur sinnfrei, so wie die Planetenbewegungen nicht etwa sinnlos sind, sondern ganz einfach kein Anwendungsbereich von Sinnkategorien. Man kann z. B. nicht fragen „Wozu kreisen die Planeten um die Sonne?“. Hier gibt es einfach kein ‚Wozu‘, sondern nur ein ‚Dass‘.
Doch wenn die Menschen aus der Evolution hervorgegangen sind und wenn sie unhintergehbar in Sinnperspektiven leben, die durch Vernunft und Freiheit aufgespannt werden, dann kann dieser Sinn nicht aus dem Nichts hervorgegangen sein. Die Möglichkeit dazu war also im Universum schon immer vorhanden, und diese reale Möglichkeit verlegt Nagel in die Grundgesetze der Physik. Es ist aber nicht ganz klar, wie man die bekannten physikalischen Gesetze durch teleologische erweitern sollte, ohne ein widersprüchliches Durcheinander zu erzeugen. Das