In der Fremde glauben. Torsten W. Müller
Herr Generalvikar! Ich fühle mich als Mitglied des hiesigen Generalvikariats verpflichtet, Ihnen den Stand der Dinge zur Kenntnis zu bringen. Es leidet nicht nur die Rechtssicherheit, sondern die ganze kirchliche Autorität. Es ist kein Wunder, wenn unter solchen Verhältnissen immer mehr Ostgeistliche von hier abwandern wollen. Ich bitte ebenso gehorsamst als dringend die vorgetragenen Beanstandungen zu prüfen und möglichst zu beseitigen. Ich erlaube mir, Abschrift dieser Eingabe Seiner Exzellenz dem hochwürdigsten Herrn Bischof zu übersenden.
In größer Ehrerbietung bin ich Ew. Gnaden ergebenster
[gez.] Dr. Negwer Praelat.“ BAF, 015-07, Fasz. 1, Negwer an Günther, 6.10.1947.
181Vgl. K. Hartelt, Josef Negwer, 135.
182Vgl. J. Pilvousek, Weihbischof Freusberg.
183BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Muth u. a. Pfarrer an den Generalvikar Freusberg, 7.7.1948.
184ebd.
185ebd.
186Georg Bartsch: geb. 1900 in Ziegenhals (Oberschlesien), 1925 Priesterweihe in Breslau, 1925-1936 Kaplan in Zirkwitz bei Trebnitz, Ohlau, Tillowitz und Breslau (St. Carolus), Bezirkspräses in der Jugendseelsorge für Stadt und Kreis Breslau, 1936-1943 Pfarrer in Kapsdorf bei Breslau, Leiter der Diözesanbildstelle, 1943-1947 Pfarrer in Breslau (St. Elisabeth), Vertreibung und Quarantäne in Greiz, von Kapitelsvikar Piontek in den thüringischen Teil der Diözese Fulda gesandt, 1947-1957 Kooperator in Stotternheim, 1950 Mitarbeit im Seelsorgeamt Erfurt (Leitung der Männerseelsorge), 1957-1961 Pfarrer in Erfurt (Schotten), Präses der Erfurter Kolpingsfamilie, Leiter von Exerzitienkursen, gest. 1961 in Erfurt.
187BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Bartsch an Generalvikar Freusberg, 19.12.1948.
188ebd.
189BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Dr. Gärtner an die Geistlichen des thüringischen Anteils der Diözese Fulda, 8.2.1950.
190Dr. phil. Konrad Gärtner: geb. 1902 in Malkes (Kreis Fulda), 1930 Priesterweihe in Fulda, 1930-1949 Kaplan, Lehrer, Frühmesser und Rektor der Bischöfl. Lateinschule in Geisa (Rhön), 1950-1957 Leiter des Seelsorgeamtes in Erfurt, 1957-1970 Pfarrer in Erfurt (St. Severi), 1970 i.R. in Fulda, gest. 1986 in Fulda. Vgl. B. Opfermann, Erfurt-Meiningen, 173.
191BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Bericht des Seelsorgeamtes, ohne Datum [wohl 1950].
192Vgl. BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Bericht Bartsch, 13.5.1951.
193Karl Schollmeier: geb. 1914 in Düsseldorf, 1937 Priesterweihe in Fulda, 1938 Kaplan in Nordhausen, 1943-1962 Domvikar in Erfurt, 1946 Jugendseelsorger im Seelsorgeamt Erfurt, 1958-1978 Leiter des Seelsorgeamtes, 1962 Ordinariatsrat, 1987 i.R. in Erfurt, gest. 1992.
194Vgl. PfA Mackenrode, Amtsblätter, Dr. Freusberg an alle Seelsorgestellen des thür. Anteils der Diözese Fulda, 10.1.1947.
195Vgl. K. Schollmeier, Anfänge kirchlicher Jugendarbeit, in: K. Schollmeier (Hg.), Im Land der heiligen Elisabeth. Glaube und kirchliches Leben im Bereich des Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen, Leipzig 21986, 111-113, hier 112.
196Vgl. BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Vorläufige Satzung des Diözesan-Seelsorgeamtes des thüringischen Anteils der Diözese Fulda in Erfurt, ohne Datum [1950].
197Vgl. BAEF, Bischöfliches Generalvikariat Erfurt/ Bischöfliches Amt Erfurt-Meiningen, Zentralregistratur, CIa6, Arbeitstagung des Seelsorgeamtes in Erfurt, 25.3.1958.
198K. Döbler, Gotha, 87.
B) WEGE ZU IDENTITÄT UND BEHEIMATUNG
Die Heimatvertriebenen waren – anders als die übrige Bevölkerung des Deutschen Reiches – härter von Hitlers Politik und Hitlers Krieg getroffen: Sie hatten ihre Heimat verloren, brachten kaum mehr mit, als was sie auf dem Leib trugen, waren gezeichnet von den Drangsalen des Krieges und den Strapazen der Flucht, lebten getrennt von der angestammten Heimat und von ihrem früheren Besitz und oft auch von ihren Angehörigen.1 Die wichtigste Aufgabe der Seelsorge bestand darin, den Vertriebenen vor allem zur seelisch-geistigen, zur religiösen Bewältigung ihres Schicksals zu helfen.2 Darüberhinaus war von kirchlicher Seite eine „Beheimatung“ in den Aufnahmegemeinden angestrebt worden3, die verschiedene Etappen und Abstufungen umfasste. Folgende Anliegen stellte die Kirche in den Mittelpunkt ihres Nachkriegs-Engagements für Heimatvertriebene4:
1) sich selbst als caritative Anstalt beispielhaft einsetzen in allen menschlichen Nöten der Vertriebenen,
2) die Unglücklichen stärken und ihnen Wegweisung geben, damit sie als Christen ihr Schicksal zu tragen vermögen,
3a) in katholischen Aufnahmegemeinden: die einheimischen Gläubigen ermahnen und belehren, den Vertriebenen gegenüber als Christen zu handeln, um die „Neubürger“ später in die bestehenden Gemeinden zu assimilieren5.
3b) in der Diaspora: die Zugezogenen mit Hilfe einer „assimilativen Pastoral“ zu einem katholischen Zusammenleben befähigen, um die Voraussetzung zu schaffen, die neue Fremde als Anfang einer neuen Heimat zu bejahen.
Methoden und Organisationsformen der Vertriebenenseelsorge mussten sich in der Diaspora des Ostteils der Diözese Fulda erst nach und nach etablieren. Dabei standen die Fragen der Eingliederung, Nichteingliederung oder teilweisen Eingliederung der Vertriebenen in die neuen Pfarrfamilien und die Diözese zunächst nicht im Vordergrund. Es handelte sich bei diesen Fragen und der damit einhergehenden Seelsorge wohl eher um „einen besonders gearteten Fall von Adaption der Glaubensverkündigung“6 wie sie die Tradition der Kirche in der Lösung ähnlicher Fragen bereits in der Vergangenheit angewandt hatte.7 Das Prinzip der „leiblichen und seelischen Grundversorgung“8 hat hier seinen Ursprung.
Eine wie auch immer geartete Integration der Zugezogenen wurde zunächst nicht favorisiert, da in den zumeist protestantischen Orten gar keine katholischen Gemeinden existierten, in die man als Katholik hätte integriert werden können. Weiterhin konnte „Integration“ in die sozialistische Gesellschaft seitens der katholischen Bischöfe nicht empfohlen werden, da „Integration“ Identifikation mit dem System bedeutete; die vorherrschende Ideologie in der SBZ/DDR sah für Kirche und Christsein keinen Platz vor. Die Kirche lehnte das totalitäre System der SED-Diktatur ab und so natürlich auch eine „Integration“ der Gläubigen in die DDR-Gesellschaft.9
Zudem besaßen die heimatvertriebenen Katholiken in den neuen Pfarreien und Seelsorgestellen „nur“ ein so genanntes Quasidomizil, denn laut CIC can. 92 hatten sie auf Dauer von zehn Jahren ihr Domizil noch in der alten Pfarrei.10 Für die Seelsorger galt diese kirchliche Rechtslage so lange als verbindlich, bis die Grenzziehungen im Osten endgültig definiert waren. Deshalb postulierten viele Priester in den ersten Nachkriegsjahren kein Verbleiben in den Aufnahmegemeinden Mitteldeutschlands. Wie viele andere auch, hofften sie auf eine Rückkehr und bestärkten die Vertriebenen, landsmannschaftliche religiöse Eigenwerte zu pflegen.11
Kirchliche Vertriebenenarbeit fokussierte aber nicht nur auf eine Bewältigung der augenblicklichen Not, sondern suchte auch nach möglichen Perspektiven für die Zukunft. In den katholischen Regionen des Eichsfeldes und der Rhön favorisierte man eine Assimilation der Zugezogenen in die bestehenden Pfarreien; den Magnetismus der Mehrheit glaubte man als Verbündeten zu haben.12
Anders verhielt es sich in der Diaspora. Hier mussten die zugezogenen Katholiken erst Gemeinden aufbauen,