Lebendige Seelsorge 2/2016. Erich Garhammer
und Welt im Schema von innen und außen.
Gegenüber einer Unversehrtheit des Glaubensgutes hebt er den Gewinn eines transitorischen Prozesses hervor, in dem die Kirche sich im Hören („Dei verbum religiose audiens …“, DV 1, mit Referenz auf 1 Joh 1,2f.) sozial konstituiert, paradox formuliert: Dieselbe geht als eine andere daraus hervor. „Metanoia“ gehört zum Grunddatum christlicher Existenz. In diesem Sinn wäre auch das „sunt etiam“ der Pastoralkonstitution zu verstehen. Es bezeichnet keine Tautologie, sondern einen Transitus im Sinn des Geistes der Liturgie- und der Kirchenkonstitution: des „spiritus liturgicum“ (vgl. DV 7–10; GS 26; 28; 38; 41 und 44; vgl. ausführlicher Fresacher 2006; Fresacher 2010).
ÖKONOMIE DES EVANGELIUMS
Damit ist das Verhältnis von Glauben und Gesellschaft unter die veränderten Vorzeichen der Moderne gestellt. Die vertraute Pfingsterzählung gewinnt auf einmal einen neuen Klang. „Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kapadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden“ (Apg 2,7-11).
Hier ist nicht vom Sprechen, sondern vom Hören die Rede; nicht von Übersetzung, sondern von Muttersprache. Nicht die Mitteilung, sondern das Verstehen erscheint als der Dreh- und Angelpunkt: die Resonanz der Herzen, über die die Redenden ihrerseits nicht verfügen können, sondern vielmehr selbst erstaunt sind. Darin besteht die überraschende Ökonomie des Evangeliums, wie sie in den Gleichnissen der Bibel vor Augen geführt wird. Sie hat damit zu tun, dass sie auf die „Muttersprache“ der örtlichen Erfordernisse und Gebräuche angewiesen ist, damit das göttliche Wort dort in Überfülle wohnen kann.
Ich möchte mit den Sätzen eines anderen theologischen Autors schließen, der ähnlich wie Erich Garhammer der Theologie die Poesie ans Herz legt: „Die rätselhafte Vorläufigkeit der göttlichen Sätze hält an. Sie kann nicht vermieden werden. Das ist die bleibende Situation der Sprache, in die wir versetzt sind […] Es gibt keine Transformation in erschöpfende Information, dass […] Gott sozusagen seine Wahrheit in einem Guss ins Hirn schüttet und fertig […] Es geht um die Gottesgeburt im menschlichen Tun des Hörens und der Entzifferung“ (Bachl 223f.). Dieses Tun findet nicht nur auf dem schwankenden Boden der Sprache und der Schrift, sondern auch des Erlebens von „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ – insbesondere in Bedrängnis und Not – statt. Dahinein ist das Wort Gottes gestellt, in diese Aktion.
Dass beide Vollzüge, Wort und Erleben, offenbarungstheologisch so aufeinander bezogen zu verstehen sind, wie in „Dei verbum“ und in „Gaudium et spes“ ausgeführt, gehört zum Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils – das darin seinerseits auf Resonanz angewiesen ist.
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LITERATUR
Bachl, Gottfried, Vom mystischen Sinn der Schrift. Spätes Protokoll zu einer Tagung auf Burg Rothenfels, in: Pröpper, Thomas/Raske, Michael/Werbick, Jürgen, (Hg.), Mystik – Herausforderung und Inspiration, Mainz 2008, 223-231.
Fresacher, Bernhard, Kommunikation. Verheißungen und Grenzen eines theologischen Leitbegriffs, Freiburg i.Br. 2006.
Fresacher, Bernhard (Hg.), Neue Sprachen für Gott. Aufbrüche in Medien, Literatur und Wissenschaft, Ostfildern 2010.
Robinson Crusoe
Wenn mir meine Mutter den Robinson vorgelesen hat, bin ich stets wütend geworden, wenn sie einen Satz oder Abschnitt überspringen wollte. Dabei ging es mir weniger um Robinsons Abenteuer, vielmehr darum, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Was immer auf der Insel geschehen war, auch das Schreckliche, sollte sich zuverlässig wiederholen, wieder und wieder. Ich frohlockte, wenn der befürchtete Sturm tatsächlich ausbrach und das Schiff am Riff zerschmettert wurde. Sogar der Abdruck eines Menschenfußes im Sand war mir lieb: lieb, weil vertraut. Denn stets trat der Fuß an derselben Stelle auf, und wie sehr genoss ich es, ein doppelter Robinson zu sein! – der eine rannte vor dem Abdruck ängstlich wie ein Hase davon, der andere war der kleine Herrgott, der genau wusste, dass sich der Hase irrte; der Fuß, der sich im Sand abgezeichnet hatte, gehörte Freitag, der dann Robinsons Freund werden sollte.
In frühen Jahren lieben wir die Wiederholung, weil sie uns Ordnungen aufzeigt, Strukturen, Gesetze. Aber zugleich erfahren wir, dass wir voller Worte und Bilder sind – alles ist schon da, doch muss es angesprochen werden, damit wir die Worte hören, die Bilder sehen können. Wir müssen zum Widerhall werden, zur Resonanz.
Thomas Hürlimann
Predigt als Resonanz–Geschehen
Kleine Skizze zu einer Philosophie der Verkündigung
Obwohl es nicht wenige große Prediger gab, die auch Philosophen waren, und etliche Philosophen, die auch Prediger waren, hat so etwas wie eine „Philosophie der Verkündigung” nahezu gänzlich ein Schattendasein geführt – mit wenigen jüngeren Ausnahmen vielleicht, von denen noch die Rede sein wird. Dabei hätte sich ein solches Unterfangen bereits von der Grundverfassung allen Gottdenkens nahegelegt. Formal und philosophisch gesprochen: Wenn und sofern es ein Unendliches oder Absolutes gibt, können wir einen möglicherweise seitens seiner an uns ergehenden Anspruch (im literalen und spekulativen Sinn des Wortes) einzig im Medium unserer endlichen Verfassung vernehmen. Und exakt dieses Grundverhältnis wiederholt sich sozusagen en miniature im Geschehen der Verkündigung, sofern darin Gotteswort in Menschenwort verlautbart werden soll. Die Chiffre „Resonanz” scheint mir beide Grundverhältnisse angemessen zu charakterisieren. Klaus Müller
WENN GOTT „SPRICHT“
Allerdings impliziert dieser Terminus „Resonanz“ (bei dem es sich ja eigentlich um ein akustisches Bildwort handelt) einen neuralgischen Punkt: Der kommt immer dort zur Geltung, wo in der Bibel als der zentralen Quelle der Verkündigung die Formel „Gott spricht…“ oder „Und Gott sprach…“ etc. auftaucht (vgl. Müller 1994, 73-82). Solange wir den elementarsten Zug theologischer wie philosophischer Gotteslehre auch nur im Ansatz ernst nehmen, „spricht“ Gott natürlich nicht – weil ein solcher Akt, im Literalsinn gedacht als „Stimme von oben“, der Gott wesentlichen Transzendenz widerspräche. Das bedeutet: „Gott spricht“ ist ein Anthropomorphismus. Die biblischen Traditionen wissen um diese differenzgesättigte Analogie, ohne sie freilich tiefer zu reflektieren: „Denn Gott ist im Himmel, und du bist auf Erden, darum lass deiner Worte wenig sein“, heißt es Koh 5,1. „Gott spricht“ gehört von ältesten Schichten der Bibel an zu ihren stehenden Redewendungen. Was jedoch in der Bibel als „Wort Gottes“ apostrophiert wird, verrät, dass von dieser Redewendung keineswegs im Sinne einer Gottes Transzendenz unterschlagenden Weise Gebrauch gemacht wird. In den Vätergeschichten fungiert sie als dominierende Kategorisierung der Gottesbegegnungen. 93% der Vorkommen von „Wort Gottes“ und seiner Äquivalente im Alten Testament bezeichnen Worte aus prophetischem Mund. Die theologische Meditation von Gen 1, der priesterschriftliche Schöpfungsbericht, beschreibt das Schöpfungsgeschehen worthaft – „Und Gott sprach…“ –, um entmythologisierend die Mühelosigkeit Gottes bei diesem Tun und darin seine Souveränität und also Transzendenz über alles theo- und kosmogonische Geschehen zu artikulieren. Neutestamentlich werden auch das Jesus-Ereignis (vgl. Joh 1; Hebr 1) und schließlich die apostolische Verkündigung (vgl. Apg 4,29; 1 Thess 2,13) als „Wort Gottes“ bezeichnet. Daraus folgt: „Wort Gottes“ ist eine Kurzformel für ein außerordentlich vielschichtiges Geschehen.
Klaus Müller
Prof. Dr. Dr. habil., geb. 1955 in Regensburg; katholischer Priester und seit 1996 Universitätsprofessor und Direktor des Seminars für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen