Der Schoppenfetzer und das Riesling-Attentat. Günter Huth
Günter Huth
Der Schoppenfetzer
und das Riesling-Attentat
Günter Huth wurde 1949 in Würzburg geboren und lebt seitdem in seiner Geburtsstadt. Er kann sich nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben. Von Beruf ist er Rechtspfleger (Fachjurist). Günter Huth ist verheiratet und hat drei Kinder. Seit 1975 schreibt er in erster Linie Kinder- und Jugendbücher sowie Sachbücher aus dem Hunde- und Jagdbereich. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Kurzerzählungen. In den letzten Jahren hat sich Günter Huth vermehrt dem Genre »Krimi« zugewandt und bereits einige Kriminalerzählungen veröffentlicht. 2003 kam ihm die Idee für einen Würzburgkrimi. Der Autor ist Mitglied der Kriminalschriftstellervereinigung Das Syndikat.
Die Handlung und die handelnden Personen dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Günter Huth
Der Schoppenfetzer und das Riesling-Attentat
Der vierte Fall des Würzburger
Weingenießers Erich Rottmann
Buchverlag
Peter Hellmund
im Echter Verlag
DIE MÄRZNACHT DES JAHRES 1945 war für die Jahreszeit zu kalt und extrem finster. Es war Neumond. Der Erdtrabant hatte sich in die Lichtlosigkeit des Erdschattens zurückgezogen. Die konsequente Verdunkelung der Häuser tat ein übriges, so dass es in den Straßen der Stadt schwarz war wie in einem Sack.
Ein dunkel gekleideter junger Mann verließ das Haus in der Kärrnergasse, sah sich kurz um, dann wandte er sich in Richtung Domstraße. Er hielt ein möglichst unauffälliges Tempo bei. Vorsichtig blickte er immer wieder zurück, um sich zu vergewissern, dass er nicht verfolgt wurde. Im gleichen Maße wie sich die Situation in Deutschland immer mehr verschlechterte und auch beim harten Kern der Würzburger Nazis hie und da Zweifel am Endsieg aufkamen, wurde die Gestapo immer nervöser. Auch wenn vieles kurz vor dem Zusammenbruch stand – das Spitzelsystem funktionierte noch immer bestens. Jeden Tag wurden Menschen denunziert, verhaftet, gefoltert und getötet.
Es war der zweite Versuch eines Attentats, den seine Gruppe unternahm. Der erste Anschlag war kläglich gescheitert. Die Kugel aus einem schallgedämpften Kleinkalibergewehr hatte ihr Ziel nur knapp verfehlt und war, ohne Schaden anzurichten, irgendwo im Hinterland auf einem Acker zu Boden gefallen. Zum Glück hatte niemand die Aktion bemerkt. Der Attentäter, ein ausgebildeter Scharfschütze, war beinahe an sich selbst verzweifelt. Niemand konnte verstehen, warum das Geschoss sein Ziel verfehlt hatte.
Trotz dieses misslungenen Anschlags war es seiner Gruppe gelungen, weiterhin von der Gestapo unerkannt zu bleiben. Dies lag hauptsächlich daran, dass einer der Mitglieder im Sekretariat der Geheimen Staatspolizei arbeitete und ihnen, unter Gefährdung seines Lebens, wichtige Informationen zukommen ließ.
Heute war er auf dem Weg, um sich das Material für einen zweiten Anlauf zu besorgen. Diesmal musste das Vorhaben unter allen Umständen gelingen. Die Person, dem ihre Bemühungen galten, war ein Verbrecher. Eine Ausgeburt der Hölle, wie sie nur auf dem Nährboden dieser Diktatur gedeihen konnte. Sein Hass auf diesen Menschen war grenzenlos.
Der junge Mann näherte sich dem Seiteneingang des Kiliandoms. Als er der Mauer des wuchtigen Gebäudes näherkam, bemerkte er den schattenhaften Umriss einer menschlichen Gestalt. Er zögerte einen Augenblick, dann fasste er Mut und ging weiter. Seine Hand in der Tasche hatte er zu einer verkrampften Faust geballt. Sollte die Gestapo von ihren Unternehmungen Wind bekommen haben, wäre jetzt der richtige Moment, um zuzuschlagen.
Der Unbekannte löste sich von der Mauer der Kirche und trat einen Schritt vor.
Sie tauschten hastig ein vereinbartes Codewort aus, dann wechselte ein kleines, unscheinbares Päckchen den Besitzer.
So schnell, wie sie sich gefunden hatten, trennten sie sich auch wieder.
Ohne auffällige Hast lief der junge Mann durch die Straßen der Stadt, der das Inferno noch bevorstand.
60 JAHRE SPÄTER
Der Abend war nicht mehr fern. Hans Huhn, der Kellermeister des Staatlichen Hofkellers in Würzburg, führte eine kleine, gut gelaunte Besuchergruppe durch sein unterirdisches Kellerreich. Normalerweise hatte er um diese Zeit längst Feierabend, aber Stadtrat Markus Näher hatte seine Beziehungen zum Chef des Hofkellers spielen lassen und für eine Besuchergruppe von Politikern aus Würzburgs Partnerstadt Dundee um eine Ausnahme gebeten. Huhn hatte selbstverständlich zugesagt. Wenn er Menschen den Frankenwein näherbringen konnte, war ihm die Arbeitszeit egal.
Wie immer hatten die Gäste einen süffigen fränkischen Begrüßungssekt bekommen und waren dann dem Kellermeister durch die historischen Gewölbe des Weinkellers gefolgt. Huhn freute sich, wenn er Menschen von der Architektur dieses Kleinods und der Geschichte des Weins, der hier erzeugt wurde, erzählen konnte.
Die Schatzkammer des Weinguts war ein Höhepunkt des Rundgangs. Es handelte es sich um einen kleinen, gesicherten Raum im Weinkeller, in dem besondere alte Weine, wahre Fürstentröpfchen, aufbewahrt wurden. Mit großem Interesse lauschten die Damen und Herren Kommunalpolitiker den Erklärungen des Kellermeisters, der es sich selbstverständlich nicht nehmen ließ, zu einigen der lagernden Weine die dazugehörenden Histörchen zum Besten zu geben.
Eine Stunde später näherte sich die Gruppe wieder dem Ausgang. Hans Huhn bedankte sich bei den Gästen für ihr Interesse und wünschte ihnen noch einen schönen Aufenthalt in Würzburg. Stadtrat Näher bedankte sich seinerseits beim Kellermeister, dann stiegen die Besucher die breite Steintreppe zum linken Vorhof der Residenz hinauf.
Hans Huhn schloss mit dem altertümlichen, überdimensionalen Schlüssel den Zugang zum Weinkeller von innen. Dann lief er durch die unterirdischen Verbindungswege hinüber zum Verwaltungsgebäude des Staatlichen Hofkellers. Auf seinem Weg löschte er hinter sich das Licht. Er hatte es jetzt eilig, denn zu Hause wartete das Abendessen auf ihn. Die vermeintlich verlassene Welt des Weinkellers lag allerdings nur für kurze Zeit in völliger Dunkelheit. Als die Schritte des Kellermeisters in den Gängen verklungen waren, stach plötzlich der Lichtschein einer kleinen Taschenlampe durch die vom Weinduft geschwängerte Finsternis. Es handelte sich um einen jungen Mann, der sich vorher, unbemerkt von der Gruppe, hinter einem der großen Fässer im Eingangsbereich des Fasskellers versteckt hatte. Er trat nun aus seinem Versteck, orientierte sich kurz und eilte dann geradewegs hinüber zur Schatzkammer. Mit Erleichterung hatte er beim Rundgang vom Kellermeister erfahren, dass die Alarmanlage, die üblicherweise den Flaschenschatz bewachte, im Augenblick wegen eines elektronischen Fehlers außer Betrieb war – ein Umstand, der seinen Plänen unvermutet entgegenkam.
Mit nervösen Bewegungen holte er Gummihandschuhe aus seiner Jackentasche und zog sie über. Das ungeschützte Schloss der kunstgeschmiedeten Eisentür zur Schatzkammer war kein Problem, weil er sich vor einiger Zeit aufgrund seiner guten Verbindungen zu einer der Damen des Hauses einen Nachschlüssel hatte beschaffen können. Die geölte Tür öffnete sich lautlos.
Flink huschte der Lichtkegel über die Flaschen, verharrte kurz hier und dort. Beiläufig holte der Mann währenddessen einen Stoffbeutel aus seiner Jackentasche. Konzentriert las er die Etiketten. Der Bocksbeutel, weswegen er diese riskante Aktion unternommen hatte, stand in einer Glasvitrine.
Der Einbrecher öffnete die Tür, packte die Flasche und steckte sie vorsichtig in den Beutel. Jetzt musste er nur noch zusehen, dass er hier wieder heil herauskam. Nach seinem Plan würde er allerdings eine längere Wartezeit auf sich nehmen müssen.
Er verließ die Schatzkammer und schloss wieder ab. Mit einem kurzen Schwenk der Taschenlampe durch die Gitter der Tür vergewisserte er sich, dass er keine Spuren hinterlassen hatte. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Bis am nächsten