Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?. Группа авторов
Umgang kennt und weiß, welches Elend es bedeutet, auf notdürftige medizinische Grundversorgung monatelang warten zu müssen. Wen zeichnet hier der „Geruch nach Schafen“ aus? Es sind diese Frauen, die der Kirche in den USA trotz aller Skandale noch immer Glaubwürdigkeit verleihen.
Einen Monat später traf sich der Papst mit dem Leitungsgremium der CLAR, dem Verband aller Männer- und Frauenorden in Lateinamerika und der Karibik. Dies war eine Sensation in doppelter Hinsicht. Aufgrund der schwierigen Beziehungen der lateinamerikanischen Ordensleute zum Vatikan war es die erste Begegnung mit einem Papst nach 35 Jahren – und dann mit diesem Papst. Bergoglios Geschichte mit der CLAR war in der Vergangenheit, um das Mindeste zu sagen, spannungsreich gewesen. Franziskus tat bei dieser Gelegenheit all dies, was ich mir für die Begegnung mit den Generaloberinnen erträumt hatte. Es war eine echte Begegnung – unter Brüdern und Schwestern auf Augenhöhe. Er disziplinierte nicht, sondern im Gegenteil, er machte Mut: „Ihr werdet Fehler machen, ihr werdet anderen auf die Füße treten. Das passiert. Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heißt, dass ihr dies oder jenes gesagt hättet. … Macht euch darüber keine Sorgen. Erklärt, wo ihr meint erklären zu müssen, aber macht weiter. … Macht die Türen auf. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, weil sie überhaupt etwas tut. …“ Im Mund eines Papstes sind das wahrhaft revolutionäre Worte.12
Warum aber dieser scharfe Kontrast zwischen den beiden Situationen, der Begegnung mit der Konferenz der Generaloberinnen und der Begegnung mit den Vertretern des lateinamerikanischen Ordenslebens? Vielleicht, weil sich Franziskus unter Lateinamerikanern, bei allen Spannungen der Vergangenheit, freier und „zu Hause“ fühlt?
Meine Gebete für diesen Papst
Das Erste ist der Dank. Auch wenn ich es noch mit angehaltenem Atem sage, so drängt sich mir auf: Was mit und durch diesen Papst passiert, „ist von Gott“: Dass er die Kirche aus ihrer sklerotischen Verbissenheit in sich selbst stößt – dorthin, wo gelebt, gelitten und gestorben wird. Er stellt klar, was zuerst kommt und was sekundär ist: zuerst der Mensch und das Evangelium – und erst dann die Doktrin und die moralischen Normen. Und dass er denen klar den Marsch bläst, die massenhaftes Elend und den vorzeitigen Tod so vieler zu verantworten habe. Dazu scheut Bergoglio, der Kritiker jeder „linken Ideologie“, auch nicht eine „marxismusverdächtige Sprache“: „Die Anbetung des alten Goldenen Kalbes (vgl. Ex 32,15–34) hat ein neues und grausames Bild gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur der gesichtslosen Wirtschaft ohne wirklich menschliche Ziele und Zwecke.“13
Und das Zweite ist das Gebet um Kraft und Mut. Dieser Papst bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit – dieser Mann lebt aus tiefen Quellen. Das macht ihn jedoch auch gefährlich und verführerisch. Nach allen Enttäuschungen und Frustrationen mit kirchlichen Autoritäten bietet er sich geradezu an als der starke und zugleich liebevolle Übervater. Jesuanische Autorität jedoch hält nicht in infantiler Abhängigkeit, sondern lässt wachsen. Ich wünsche Jorge Mario Bergoglio viel Kraft und Mut, der Papsteuphorie und dem Personenkult die Stirn zu bieten – nicht um die Kirche in eine „bürgerliche Demokratie“ zu transformieren, sondern um mit der Autorität Jesu eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern zu formen, in der die Ausgegrenzten und Getretenen dieser Erde vollen Sitz und Stimme erhalten.
Immer wieder wird die Frage laut, ob dieser Papst ein „Papst der Befreiungstheologie“ ist oder nicht. Ich halte die Frage für völlig irrelevant, denn solche kranke Selbstbezogenheit ist der Befreiungstheologie, die ich als authentisch anzuerkennen bereit bin, von ihrem Wesen her völlig fremd. Es geht hier nicht um das Durchsetzen einer theologischen Schule gegenüber einer anderen. Das einzig wirklich Interessante ist, ob dieser Papst ein „Papst nach dem Herzen Jesu“ ist – und ob er der Kirche als Ganzes hilft, mehr das Antlitz Jesu widerzuspiegeln.
Und das Dritte und Letzte ist ein Wunsch: Dieser Papst kann erfrischend unbefangen und frei sein. Die Präsidentin Argentiniens, Cristina Kirchner, hat Kardinal Bergoglio, der ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik hart anprangerte, in den letzten Jahren vierzehn Mal die erbetene Audienz verweigert. Franziskus jedoch empfing sie wenige Tage nach seiner Wahl und bedankt sich für ihren Besuch mit einem Küsschen auf die Wange. Dieser Papst definiert die Begegnung und den Dialog als seine „Weise des Vorangehens“: „Man muss sich kennenlernen, sich zuhören und das Wissen um die Welt um uns vermehren. … Neue Ideen entstehen und man entdeckt neue Bedürfnisse. Das ist wichtig: sich kennenlernen, sich gegenseitig zuhören, seinen Gedankenhorizont erweitern.“14
Ich träume davon, dass sich Franziskus mit derselben Unbefangenheit, mit der er Cristina Kirchner küsst und sich mit dem Atheisten Eugenio Scalfari und dem Rabbiner Abraham Skorka freundschaftlich unterhält, sich eines Tages mit feministischen Theologinnen zusammensetzt, zum Beispiel mit Ivone Gebara, aber auch mit jungen Theologinnen aus Lateinamerika und allen anderen Kontinenten – und dazu noch einige Ordensfrauen aus den USA einlädt. Um meiner Kirche und ihrer Zukunft willen träume ich davon, dass Franziskus den Frauen aufmerksam zuhört – und die Frauen Franziskus – mit dem Verdacht, dass sie voneinander zu lernen hätten. Dass sie gemeinsam die Ängste vor den ganz verschiedenen Sprachwelten und Kulturen überwinden und sich gegenseitig ganz neue Welten und Erfahrungen erschließen. Dass sie ihre tiefe Verbundenheit im Traum von der „armen Kirche für die Armen“ entdecken und konspirativ Strategien entwickeln, um ihn effektiv umzusetzen.
Ludwig Schick
Konkretion des Ideals für Deutschland – Der „Katakombenpakt“ und die „Solidarwerke“
Dr. Ludwig Schick ist Erzbischof von Bamberg und Vorsitzender der Kommission „Weltkirche“ der Deutschen Bischofskonferenz 15
Als jemand, der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil groß geworden ist, erinnere ich mich in den Jahren des Konzilsjubiläums 2012–2015 an die Radioansprache des seligen Papstes Johannes XXIII., vier Wochen vor der Eröffnung des Konzils am 11. September 1962, die den Begriff „Kirche der Armen“ zu einem „Leitwort“ für die Zukunft machte. Ich erinnere mich an den „Katakombenpakt“ in den Domitilla-Katakomben Roms von 40 Bischöfen am 16. November 1965, denen sich dann weitere 500 anschlossen,16 und selbstverständlich auch an die Konzilstexte, die sich bezüglich Armut und des Einsatzes für die Armen an die ganze Kirche und speziell an die Bischöfe und Priester richten. Diese Texte sind alle nach wie vor maßgebend und harren der Umsetzung. Manche Kirchenkritiker wird diese Feststellung wieder zum Vorwurf verleiten: „Seit 50 Jahren wird von der ‚Armen Kirche und der Kirche für die Armen‘ gesprochen und immer noch ist nichts umgesetzt.“
Aber schon seit 2000 Jahren steht die Forderung nach der „Armen Kirche und Kirche für die Armen“ im Raum! Jesus Christus hat sie selbst erhoben und sie harrt immer der Umsetzung: „Selig die Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (vgl. Mt 5,3/Lk 6,20). „Kirche der Armen und Kirche für die Armen“ ist seit Jesus ein „Dauerbrenner“ und muss ein „roter Faden“ sein, an dem sich die Christen stets neu orientieren müssen, „ein Stachel im Fleisch“, der die Kirche immer wieder „anstachelt“, sich und ihr Tun zu überprüfen. Die Forderung nach „Armer Kirche und Kirche für die Armen“ gehört zu „Ecclesia semper reformanda“. Im Laufe der Kirchengeschichte war die Kirche immer wieder „Kirche der Armen und Kirche für die Armen“, weil sie sich dazu bekehrte oder dazu bekehrt wurde. So zeigte z. B. der Diakon Laurentius, der Kaiser Valerian die Schätze der Kirche ausliefern sollte, auf die Armen der Stadt Rom, die zur Christengemeinde gehörten, mit den Worten: „Das sind die Schätze der Kirche.“
Die Kirche wurde auch von außen zur Armut gezwungen und zur „Kirche der Armen“ gemacht, z. B. in den Vandalenstürmen am Ende der Römerzeit und in der Säkularisation 1802/1803, was ihr aber für ihre wesentlichen Aufgaben fast immer mehr genützt als