Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
der „Reformen“ Papst Pius’ X. (1903-1914) zu sehen, der nicht nur erstmals den Gedanken der actuosa participatio der Gläubigen formulierte und den gregorianischen Choral zu liturgischen Norm erhob (1903), sondern auch den häufigeren Sakramentenempfang propagierte (1905) und die Frühkommunion ermöglichte (1910). Keppler schrieb deshalb ganz ad mentem des Papstes, wenn er in der Relation von 1913 vermerken konnte: „Die Häufigkeit des Sakramentenempfangs steigt von Jahr zu Jahr, zumal seit das neue Dekret über die Kommunion ergangen ist. Es werden nun alle Kinder, wenn sie 11 oder 12 Jahre alt sind [zuvor mit 13 Jahren], auf die Kommunion vorbereitet und treten, solange sie die Schule besuchen, sechs Mal jährlich alle gemeinsam an den Tisch des Herrn heran, einzelne von ihnen auch öfter, viele jeden Sonntag. Das weibliche Geschlecht frequentiert die Sakramente mit größerem Eifer; der Eifer der Männer wird nach und nach zu erwecken und zu vermehren sein.“17 Tatsächlich hatte Keppler das Thema des häufigeren Sakramentenempfanges für 1908 als Konferenzarbeitsthema ausgeschrieben und im „Generalbescheid auf die Conferenzarbeiten“ vom 7. September 1909 dem Klerus sehr ausführlich die Methoden zur Intensivierung des sakramentalen Lebens nahegebracht: Zykluspredigten, eucharistische Triduen, Volksmissionen, Exerzitien, die Ansprachen bei den Kasualien, die Katechese im Religionsunterricht, die Seelenführung im Beichtstuhl, Generalkommunionen der einzelnen Stände – all das sollte im Sinne Pius’ X. zusammenwirken.18 Zugleich drängte Keppler auch auf eine vorsichtige Vermeidung der Andachtsbeichte hin: Wer täglich kommuniziere, können alle Ablässe auch bei bloß vierzehntägiger Beichte gewinnen.19 Der Bischof betonte auch seine Bemühungen um den gregorianischen Choral in der Messfeier und die entsprechende Abdrängung der volkssprachlichen Lieder in die Andachten.20 Eine Ausnahme stellten nur die Rorate-Messen im Advent dar, „bei denen die Gläubigen religiöse Gesänge in der Volkssprache mit höchster Hingabe und Leidenschaft singen. Diese Gewohnheit könnte nur mit sehr großem Schaden eliminiert werden; es stünde nämlich zu befürchten, dass die Gläubigen in schwerer Empörung jenen bislang sehr gut besuchten Messen fortan fernbleiben würden“21. Noch in einem zweiten Punkt wich die Diözese von der römischen Norm ab: Bei der Firmung, die nur vom Bischof allein bei seinen Reisen im Fünfjahresturnus durch die Diözese gespendet wurde, war von Kepplers Vorgängern das Amt des Firmpaten abgeschafft worden. Die materialistischen Erwartungen der Kinder an die Paten hätten das Amt lästig gemacht, es sei früher zu großen Festmählern mit Skandalen gekommen. Außerdem sei bei der großen Zahl der Firmlinge für die Paten oft kein Platz mehr in der Kirche. Ohne die Paten laufe der Gottesdienst ohnehin würdiger ab und es gebe keinen Alkoholmissbrauch. (Nach dem Ersten Weltkrieg führte Keppler das Patenamt dann auf römisches Drängen hin wieder ein und konnte in der Relation von 1923 Vollzug melden.22)
Das Thema des Alkoholismus lag Keppler besonders am Herzen. Ihm widmete er 1907 einen speziellen Hirtenbrief, in dem er in scharfer Form vor allem den Schutz der Kinder vor Alkohol anmahnte und betonte, dass alle kirchlichen Vereine zugleich Mäßigkeitsvereine sein sollten.23 Kepplers kulturpessimistische Grundhaltung zeigte sich auch in seiner Einschätzung, dass auf dem Land die guten Sitten, das einfache, arbeitsame Leben, der feste Glaube und ein ehrlicher Eifer für die Religion herrschten, während in den Städten, vor allem den größeren, aufgrund der Ansteckung und dem Streben nach einem schickeren Leben, der Alkoholismus, die Genusssucht und von daher die Auflösung und Zersetzung des Familienlebens grassierten.24 In diesen Kontext gehörte auch die Frage der Mischehen.25 Keppler zählte von 1896 bis 1905 insgesamt 40.423 rein katholische Ehen und 8.696 Mischehen, von letzteren 4.525 mit kirchlicher Billigung (also mit katholischer Kindererziehung) und 4.170 ohne Einhaltung der kirchlichen Bedingungen. Hinzu kamen noch 915 rein standesamtliche Eheschließungen. Keppler beteuerte aber, dass der Kampf gegen die Mischehen geführt werde.26
Orden und Kongregationen
Insgesamt lobt der Bischof aber die außergewöhnliche Spendenbereitschaft und den religiösen Eifer der Diözesanen. Dieser zeige sich vor allem auch bei den Volksmissionen, die in großer Zahl von der Regierung erlaubt und von Benediktinern, Redemptoristen, Franziskanern, Kapuzinern und Jesuiten durchgeführt würden. Kepplers besondere Vorliebe für Beuron tritt hervor, wenn er betont, dass gerade die dortigen Benediktiner diesen Eifer bestätigten. Denn nach dem nahegelegenen Beuron pilgerten im Übrigen viele Tausend Diözesanen, und die Patres würden gerne als Beichtväter in die Pfarreien geholt. Insofern gab es, trotz der von Keppler ebenfalls ausführlich beklagten hysterischen Gegnerschaft der Protestanten zur Einführung von Männerorden (nescio quo furore correpti timore paene tabescant, quandocunque hujus rei mentio fit)27, eine nicht zu vernachlässigende Präsenz von Regularklerikern in der Diözese. Eine Frucht davon sei der große Ordensnachwuchs aus der Diözese, nicht nur bei den Frauenkongregationen im Bistum, sondern auch in vielen Ländern außerhalb – gerade letzteres Faktum bedürfte der weiteren Erhellung. Aufgrund der Forschungen von Klaus Schatz kann wenigstens für den Bereich des Jesuitenordens eine quantitative Angabe gemacht werden. Im Zeitraum von 1849 bis 1914 sind 122 Württemberger als Scholastikernovizen in die Gesellschaft Jesu eingetreten (einschließlich derer, die als Novizen wieder weggingen). Der Anteil der Württemberger war im ersten Zeitraum (von 1849 bis 1872) außergewöhnlich hoch: mit 63 Eintritten (9,4% aller Eintritte in den beiden Scholastikaten) lag Württemberg im süddeutschen Raum an der Spitze, vor Bayern und Baden. Dieser Anteil schwächt sich in den folgenden Perioden ab: 1873-95 sind es 34 (5,1%, bereits hinter Bayern), 1896-1914 25 (3,8%), was angesichts der Größe der Diözese aber immer noch eine Überrepräsentierung darstellt. Was die Brüdernovizen angeht, so erlaubt die lückenhafte Quellenlage keine exakte Angabe: Man kann nur sagen, dass 1852-72 mindestens 15 und 1873-95 27 eingetreten sind. Generell ist bei den Brüdernovizen der süddeutsche Raum noch schwächer repräsentiert als bei den Scholastikernovizen; aber innerhalb des süddeutschen Raumes scheint Württemberg auch hier stark überrepräsentiert zu sein.28 Mit dem aus Rottweil gebürtigen Kanonisten Franz Xaver Wernz (1842-1914), der 1906 zum General des Ordens gewählt wurde, und dem aus Isny stammenden Theologiehistoriker Franz Ehrle, der von 1895 bis 1914 Präfekt der Vatikanischen Bibliothek war und 1922 zum Kardinal erhoben wurde, hat die Diözese auch zwei prominente Jesuiten hervorgebracht.
Wesentlich breitenwirksamer waren hingegen die „barmherzigen Schwestern“, also die Frauen-Kongregationen im Bistum. Die neuere Forschung hat sich ausführlich mit ihrem „Catholicisme au féminin“ (Claude Langlois) beschäftigt;29 sie boten jungen Katholikinnen ein geistlich-berufliches Feld außerhalb von Ehe und Familie und können in ihrer Bedeutung für die Sozialfürsorge, Krankenpflege, Kinderpflege und -erziehung (in Krippen und Kindergärten) sowie für die Mädchenbildung kaum überschätzt werden. Insbesondere die Herausbildung des modernen Krankenhauswesens, wie es im Bistum exemplarisch durch das 1890 von den Untermarchtaler Vinzentinerinnen gegründete Stuttgarter Marienhospital verkörpert wird, wäre ohne die Hingabe und Professionalität der Schwestern nicht denkbar gewesen. Eine besondere Rolle spielten sie auch in den „Pfleg- und Bewahr-Anstalten“, also der Fürsorge für behinderte Menschen, wie sie ebenfalls von den Vinzentinerinnen in Rottenmünster (seit 1898) oder unter Mitwirkung der Reutener Franziskanerinnen in Liebenau verwirklicht wurde. Die Franziskanerinnen von Sießen widmeten sich dagegen besonders dem Bildungswesen mit Schulen in Stuttgart (1875), Mergentheim (1879), Friedrichshafen (1897), Rottenburg (1898) und Ellwangen