Der Schoppenfetzer und die Weindorftoten. Günter Huth
sich in der Domstadt niederzulassen, und sich ein repräsentatives Anwesen gebaut.
Er kratzte sich die Stiefel am Abstreifer ab und betrat sein Haus. Die großzügig gestaltete Eingangshalle war durch mehrere Kerzenleuchter erhellt. Seine Bediensteten, eine Köchin und ein Hausmädchen, wussten, dass ihr Herr es gerne hell hatte.
Walburga, das Mädchen, kam aus der Küche, wo es mit der Köchin zusammengesessen hatte.
Es wünschte einen guten Abend, Petrini erwiderte den Gruß, dann half das Mädchen ihm aus dem Mantel und nahm ihm die Mütze ab.
„Die Köchin hat das Abendessen vorbereitet, Meister Petrini“, sprach es, während dieser zum hölzernen Stiefelknecht ging, um sich von seinem nassen Schuhwerk zu befreien. Er schlüpfte in die bereitstehenden Filzlatschen, dabei winkte er ab. „Ich habe bereits gegessen. Bring mir noch einen Becher vom Roten, ich habe noch zu arbeiten und möchte nicht mehr gestört werden. Du und die Köchin, ihr könnt euch niederlegen.“
Walburga merkte natürlich, dass ihr Herr angetrunken war, sagte aber nichts. Sie nickte, dann entfernte sie sich, um die Kleider zum Trocknen aufzuhängen und den Wunsch Petrinis zu erfüllen.
Der Baumeister betrat sein Arbeitszimmer im ersten Stock des Hauses. Es handelte sich um ein geräumiges Atelier, das mit großen Fenstern und mehreren großflächigen Zeichentischen ausgestattet war. Überall standen Zeichenrollen, diverse Zirkel, Lineale und Stifte herum, die von der Tätigkeit des Hausherrn zeugten.
Petrini näherte sich dem großen Ohrensessel vor dem hohen offenen Kamin, in dem ein hell flackerndes Feuer brannte, das eine wohlige Wärme verbreitete.
Er nickte zufrieden. Auf Walburga war wirklich Verlass. Petrini ließ sich nieder und legte die Beine auf einen lederbezogenen Hocker. Mit einem entspannten Seufzer löste er den Knopf am Bund seiner Hose. Die letzte Stunde des Tages vor dem Kamin genoss er besonders.
Es klopfte an der Tür.
„Avanti“, erwiderte Petrini.
Walburga huschte herein und stellte den Becher mit Wein auf einen kleinen Beistelltisch neben dem Sessel. „Ich wünsche eine gute Nacht“, sagte sie leise und entfernte sich wieder.
Petrini murmelte ein „Grazie“, dann nahm er den Becher in die Hand und trank einen Schluck. Langsam ließ er den Kopf gegen das Polster sinken. Sofort drängten sich die Worte der alten Zigeunerin in seinen Kopf. Er wusste, dass es für einen gläubigen Christen eine Sünde war, sich mit Wahrsagerei zu beschäftigen. Aber dort wo er herkam, war Aberglaube tief in der Bevölkerung verwurzelt, und auch er konnte sich dem nicht entziehen. Immer wieder fand er den Weg zu Kartenl egerinnen und Handl eserinnen. Meistens waren die Auskünfte dieser Frauen verwaschen und wenig konkret gewesen, im Großen und Ganzen jedoch positiv. Die Worte der Alten von heute dagegen hatten ihn sehr beeindruckt. Im bunt bemalten Pferdekarren hatte er ihr gegenübergesessen, während sie ihm die Karten legte. Mit einem leisen Schaudern erinnerte er sich an das Geräusch, das ihre schmutzigen, krallenartigen Fingernägel verursacht hatten, als die Frau auf die Kartenbilder tippte und dabei Unverständliches murmelte.
„Der Herr wird ein hohes Alter erreichen und in Wohlstand leben“, hatte sie nach einiger Zeit erklärt und nach kurzer, wirkungsvoller Pause hinzugefügt: „Wenn der Herr auf sich aufpasst.“ Dann hatte sie eine lange Pause eingelegt und geraume Zeit eine Karte angestarrt, auf der der Tod als Sensenmann dargestellt war. Als Petrini dachte, es würde nichts mehr folgen, fuhr sie mit heiserer Stimme fort: „Hüte dich, Herr! Auf dein Haus werden Feuer und Schwefel fallen und es vernichten.“ Dann war sie verstummt. Petrini hatte nach Einzelheiten gefragt, aber die Alte hatte nur den Kopf geschüttelt und geschwiegen. Schließlich hatte er sie entlohnt und war gegangen.
Wenn er an die heisere Stimme der Alten dachte, lief ihm ein Schauder den Rücken hinunter und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er nahm einen kräftigen Schluck aus dem Becher. Der herbe Wein linderte den galligen Geschmack, den er auf der Zunge spürte.
In dieser Nacht, während das Kaminfeuer langsam herunterbrannte und sich der Becher leerte, fasste Antonio Petrini einen Entschluss. Wer war er denn, dass er sich einem von den Mächten gesponnenen Schicksal wehrlos ergab? Er holte sich mit einem Kienspan Feuer aus der Glut des Kamins, zündete die Kerzen eines Leuchters an und stellte ihn auf einen der Zeichentische. Petrini trank den Becher in einem Zug leer, dann griff er sich einen großen Bogen Zeichenpapier und begann mit einem Kohlestift in großzügigen Linien einen Grobentwurf zu skizzieren. Als Baumeister lag es schließlich an ihm, Räume und Gegebenheiten nach seinem Willen zu schaffen und zu verändern. Warum nicht auch bei seinem eigenen Haus? Antonio Petrini hatte nicht vor, hier zu verbrennen.
In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts
Die beiden Männer mittleren Alters trieben ihre Reitpferde durch eine Hecke. Nun lag das Gelände um die Frankenwarte vor ihnen. Toni Buschwächter, Baureferent der Stadt Würzburg, schlank, hochgewachsen, im klassischen Reiterdress, ritt eine Haflingerstute, während Arnulf Hünnerklein, Direktor der BR Bürger- und Reibeisenbank, untersetzt, mit Halbglatze, in Jeans und mit Westernboots, im Sattel eines Fjordpferdes saß. Die beiden Pferde schnaubten heftig, denn sie hatten gerade eine längere Strecke im Galopp hinter sich.
„Kurze Pause“, schlug Buschwächter vor und zügelte sein Tier. Langsam ließ er sich von der Stute die Zügel aus der Hand ziehen. Sie senkte den Kopf und schnupperte am Gras.
„Gerne“, gab Hünnerklein sichtlich erleichtert zurück. Sein Begleiter war der eindeutig bessere Reiter und saß daher wesentlich lockerer im Sattel.
Der Wallach drehte den Kopf und schnüffelte interessiert am Hals der Stute herum, was diese wiederum mit einem unfreundlichen Wiehern quittierte.
„Typisch Weiber“, kommentierte Buschwächter das Verhalten der Stute und lachte.
Die beiden Reiter glitten aus den Sätteln, banden die Pferde an einem Busch fest und ließen sich auf einer Bank nieder.
„Wir müssen reden“, sagte der Stadtbaurat. „Was ist aus deinen Nachforschungen geworden? Handelt es sich bei dem Dokument wirklich um das, was du vermutet hast? Wir müssen absolut sicher sein, sonst werde ich mich in die Sache nicht reinhängen. Ich riskiere dabei alles!“
„Ich habe mich viele Jahre mit derartigen Urkunden beschäftigt und bin mir hundertprozentig sicher, dass es sich bei dem bewussten Schriftstück um das Originaltestament von Petrini handelt. Das Datum ist der 13. Januar 1674. Die Urkunde enthält so konkrete Angaben, dass meines Erachtens kein Zweifel an ihrer Echtheit besteht.“
„Wie kommt es, dass sie nicht schon lange entdeckt worden ist?“ In der Stimme des anderen schwangen noch immer Zweifel mit.
„Das habe ich mich natürlich auch gefragt und kann es mir nur so erklären, dass das Testament von Anfang an verschollen war. Ausgegraben habe ich es in einem der zahlreichen Archive des Mainfränkischen Museums. Ich möchte nicht wissen, was es dort noch für verborgene Schätze gibt. All dieses Material aufzuarbeiten würde einen erheblichen Aufwand verursachen. Dem Museum fehlen ganz einfach Geld und Personal. Die Museumsleitung ist froh, wenn Hobbyforscher wie ich dort Studien betreiben. Jedenfalls enthält das Dokument konkrete Einzelheiten, die nur von dem Baumeister stammen können.“ Er wechselte das Thema. „In diesem Zusammenhang: Wie weit sind deine Vorbereitungen bezüglich des Grundstücksverkaufs gediehen? Als wir das letzte Mal darüber sprachen, hast du gesagt, dass einige Stadträte Bedenken haben, dort ein Gebäude zu errichten. Du weißt, dass unsere Pläne mit der Errichtung des Hauses stehen und fallen.“
Buschwächter machte eine wegwerfende Handbewegung. „Mittlerweile ist die Mehrheit davon überzeugt, dass wir das Projekt durchziehen sollten. Wenn die Bank noch ein paar Scheine drauflegt, wird es keine Probleme geben. Die meisten Herrschaften im Rat wollen, dass Kohle in die Kassen kommt.
Die paar ewigen Nörgler, die bei jedem Bauvorhaben befürchten, dass dadurch die Stadt dem Untergang geweiht ist, sind chancenlos in der Minderheit.“
„…