Nachhaltig wirtschaften - gerecht teilen. Stefan Federbusch
Vorwort
„Von Wirtschaft habe ich keine Ahnung“, lautet der häufige Einwand, wenn es um ein Urteil zu unserer derzeitigen Wirtschaftsform geht. In der Tat: Ökonomie ist ein komplexes Gebilde. Sie ist Teil des Systems Kapitalismus. Jede und jeder profitiert in unterschiedlichem Maße von seinen Vorzügen und leidet unter seinen negativen Folgen. Da mittlerweile alle Bereiche unseres Lebens ökonomischen Interessen unterliegen, ist es angebracht, sich mit diesem System kritisch auseinanderzusetzen. „Diese Wirtschaft tötet“, so hat es Papst Franziskus auf den Punkt gebracht. Einem System, das Tote produziert, kann ich nicht gleichgültig gegenüberstehen. Auch als Nichtfachmann bzw. Nichtfachfrau bin ich herausgefordert, mich kritisch mit seinen Auswirkungen auseinanderzusetzen.
Der vorliegende Band beleuchtet das System Kapitalismus aus christlich-franziskanischer Perspektive. Als Christ habe ich biblische Leitmotive, die sich aus den prophetischen Mahnungen und jesuanischen Weisungen ergeben. Sie zeigen auf, dass die kapitalistischen Leitmotive in krassem Widerspruch zur göttlichen Botschaft stehen. Als Kirchen und Ordensgemeinschaften sind wir in das kapitalistische Wirtschaftssystem verstrickt und tragen es zu großen Teilen mit. Es geht um einen Bewusstseinswandel in unserem Fühlen, Denken und Handeln, der sich an der biblischen Botschaft orientiert. Erst eine Umkehr, ein anderes Denken im Sinne eines solchen Bewusstseinswandels ermöglicht die Sensibilität, aus einem solchen System des Todes auszusteigen und ein alternatives System des Lebens zu gestalten. Wie dieses konkret aussieht, lässt sich bisher nur erahnen. Es bedarf erster Schritte im Sinne eines Experimentierens und Ausprobierens – hin zu einer solidarischen Ökonomie, die in Gerechtigkeit dem Leben aller dient.
1. Ein gutes Leben
Aufgabe der Wirtschaft
Jeder Mensch sehnt sich nach einem „guten Leben“, das seine persönlichen Bedürfnisse befriedigt. Dazu zählen nach Abraham Maslow (1908–1970) physiologische Bedürfnisse wie Nahrung und Kleidung, das Bedürfnis nach Sicherheit in Form von Wohnung und Arbeitsplatz, soziale Bedürfnisse mit den Beziehungsfeldern Freundeskreis, Partnerschaft und Familie, das Wertschätzungsbedürfnis mit den Aspekten Anerkennung, Status, Prestige, Macht sowie das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, zu dem Individualität, Selbstentfaltung, Freiheit und spirituelles Leben gehören. Aufgabe der Wirtschaft ist es, die materielle Grundlage des menschlichen Lebens zu sichern, so dass auch andere Bedürfnisse wie das nach Selbstverwirklichung gelebt werden können. Aufgabe der Menschen ist es, das Wirtschaftssystem so zu gestalten, dass es ihren Bedürfnissen entspricht. Derzeit ist es eher umgekehrt, dass das Wirtschaftssystem die Menschen und ihre Lebensweisen bestimmt.
Leben auf Kosten anderer
Unsere Wirtschaftsform ist eingebunden in das kapitalistische System. Kennzeichen dieses Systems ist, dass die Beteiligten in höchst unterschiedlicher Weise Zugang zu den Produktions- und Finanzmitteln haben. Das kapitalistische System ist geprägt vom „immer mehr“, vom „immer größer“, „immer höher“, „immer weiter“. Es ist Ausdruck des menschlichen Strebens nach Besitz und Reichtum und des damit vermeintlich verbundenen Lebensgenusses. Die kapitalistischen „Verheißungen“ haben sich in die Herzen und Köpfe von Milliarden von Menschen eingeprägt. Die eingeschliffenen Gefühls-, Denk- und Handlungsgewohnheiten verstellen den kritischen Blick auf das derzeitige wirtschaftliche System mit seinen negativen Folgen. Bestimmte Gesetzmäßigkeiten werden quasi als „Naturgesetz“ hingenommen und nicht mehr hinterfragt. Dazu zählt die Tatsache, dass unser Lebensstandard das Ergebnis zerstörerischer Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen ist. Unser Wohlstand basiert in Teilen auf eigener Tüchtigkeit, im Wesentlichen aber auf der Ausbeutung von Lebensgrundlagen und Mitmenschen. Die negativen Folgewirkungen sind hinreichend bekannt, reichen aber nicht aus, um auf vernunftlogischer Ebene zu grundlegenden Veränderungen zu führen.
Zweifel am Wachstumsparadigma
Wie das Ende des real-existierenden Sozialismus gezeigt hat, kann jedes System nur dann auf Dauer bestehen, wenn es von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wird. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung kann nur dann Bestand haben, wenn sich die Menschen in ihr wohlfühlen, sich einbringen und sie gestalten. Bisher hat es der Sozialstaat Deutschland verstanden, das Bewusstsein zu verbreiten, in einigermaßen gerechten Verhältnissen zu leben, wenngleich zwei Drittel der Deutschen die derzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als ungerecht empfinden. Noch ist die soziale Exklusion in Deutschland ein vergleichsweise marginales Phänomen. In der Bundesrepublik hat die Wohlstandsvermehrung der letzten Jahrzehnte dazu beigetragen, dass der Kapitalismus (in Form der Sozialen Marktwirtschaft) als alternativlos wahrgenommen wird. Dass das kapitalistische System auf Dauer die eigenen Lebensgrundlagen zerstört, wird dabei bewusst oder unbewusst ausgeblendet.
Die bisherige Gleichung Wachstum = Wohlstand = Zufriedenheit geht jedoch nicht mehr auf. Das „Immermehr-Habenwollen“ und die Fixierung auf Wachstum werden kritisch in Frage gestellt. Unzufriedenheit macht sich breit, denn der Preis für den derzeitigen Wohlstand ist hoch. Die Symptome der Selbstschädigung sind zahlreich: Ängste, Depressionen, Burn-out, vielfältige Formen von psychischen Erkrankungen und sozialen Probleme haben zugenommen. Für viele haben sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren eher verschlechtert (prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Minijobs, Leiharbeit), die Arbeitszeit hat sich nicht reduziert. Es fehlt an einer gerechten Verteilung von Arbeit und Einkommen. Sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig machen auf Dauer krank. Aus der Glücksforschung ist bekannt, dass ab einer bestimmten Stufe der Befriedigung der Bedürfnisse ein weiteres Anhäufen von Geld nicht zur Steigerung des Glücks beiträgt. Vielmehr sind es gelingende Beziehungen, sowohl im persönlichen wie im sozialen und ökologischen Bereich. Der Better-Life-Index der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt: Beziehungen (Familie, Freundschaft), Bildung und Gesundheit stehen ganz oben.
Nicht zuletzt bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ist ein gewisses Umdenken zu spüren. Laut einer Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung von 2012 wünschen sich acht von zehn Bundesbürgern „eine neue Wirtschaftsordnung“. Zwei Drittel der Befragten glauben nicht, dass der Kapitalismus für einen „sozialen Ausgleich in der Gesellschaft“, den „Schutz der Umwelt“ oder einen „sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen“ sorge. Ebenso viele bezweifeln, dass Wirtschaftswachstum die eigene Lebensqualität erhöhe.
Menschenbild und Wirtschaftssystem
Die Frage nach dem Wirtschaftssystem beinhaltet die Sichtweise auf den Menschen. Handelt es sich um ein egoistisches Wesen, das von sich aus nur auf Eigennutz aus ist, oder handelt es sich um ein gemeinschaftliches Wesen, das solidarisch handelt? Das christliche Menschenbild zeichnet ein realistisches Bild vom Menschen. Er ist weder per se gut noch per se schlecht. Er hat sowohl egoistische wie solidarische Seiten. Neuere Forschungen bestätigen immer wieder, dass wir Menschen auf Beziehung angelegte Wesen sind. Weitaus mehr als Egoismus bestimmt Kooperation, verbunden mit gegenseitiger Wertschätzung, unser Wohlergehen. Solidarische Wirtschaftsmodelle bauen auf dieser Erkenntnis auf.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem fördert dagegen durch seinen Konkurrenzkampf rücksichtslose Verhaltensweisen und ausbeuterische Muster. Es belohnt zwar einerseits Kreativität und Innovation durch Erfolg am Markt, beispielsweise durch neue Produkte, andererseits produziert es völlig unsoziale Verhaltensweisen, wie Arbeitsplatzabbau, um Kurssteigerungen herbeizuführen. Im Blick sind nicht die Arbeitenden im eigenen Betrieb, sondern die Spekulanten der Finanzmärkte. Vorrang hat das Kapital, nicht