Gotteskontakt. Willi Lambert
1. Gotteskontakt: Ersehnen –
Verspüren – Experimentieren
In einem Gespräch auf einer Parkbank beim Neptunbrunnen im Alten Botanischen Garten in München fielen einige Worte, die für das Leben und Beten von Ignatius besonders bedeutsam sind. Sie sollen am Anfang der Ausführungen stehen: Gotteskontakt – Ersehnen – Verspüren – Experimentieren.
Gotteskontakt – »In allem Andacht«
In den Erzählungen des Ignatius von Loyola aus seinem Leben und vor allem in seinem spirituellen Bestseller, dem Exerzitienbuch, den »Geistlichen Übungen«, beschreibt er verschiedene Weisen der Suche nach Gott und der Berührung durch ihn: Betrachtungen der Evangelientexte, Besinnungen auf das eigene Leben, stilles Verweilen in Andacht, die Sehnsucht nach Lebensgestaltung aus dem Liebeswillen Gottes heraus, lautes mündliches oder still innerliches Gebet. Ja schließlich kann jede Lebensäußerung, auch das Tun und Wirken eines Menschen, die Gottesbeziehung ausdrücken. Das Wort »Gotteskontakt« scheint geeignet, die umfassende Verbindung des Menschen mit Gott ausdrücken zu können. Ignatius hat in seiner Muttersprache Spanisch ein eigenes Grundwort für die Gottesbeziehung: devoción, auf Deutsch übersetzbar mit »Andacht« oder zutreffender und umfassender mit »Hingabe«. Und so schreibt er einmal an einen Mitbruder, dem es um längere Zeiten des Gebetes geht: Er halte es für besser, bei allem Andacht (devoción) zu haben als nur beim Beten bzw. Arbeiten.
Ersehnen – Der Anfang von allem
Das häufig zitierte Wort von Nelly Sachs »Alles beginnt mit der Sehnsucht« ist geeignet, eine menschliche Urbewegung auszudrücken, die auch für Ignatius ein zentrales Geschehen ist. Dies wird deutlich, wenn er selber in verzweifelten Situationen zu Gott aufschreit. Besonders aber darin, dass er vor jeder Zeit der Meditation, des Gebetes, den Menschen einlädt, sich zu fragen, welche Sehnsucht ihn bewegt, ja vielleicht sogar in ihm brennt. Und diese soll er dann zum Ausdruck bringen als Bitte, als Wunsch. Ein Mensch, der Kontakt mit Gott sucht, tut gut daran, in Kontakt mit sich selber und seinem Sehnen zu leben. Wenn der heilige Augustinus einmal davon spricht, dass die Sehnsucht nach Gott das »immerwährende Gebet« sei, unterstreicht dies die Bedeutsamkeit des Verlangens und unruhigen Suchens, das erst in Gott zur Ruhe kommt. In allen Phasen der Sehnsucht – in der des Mangels, der Hoffnungen und der Erfüllung – offenbart sich die Lebenswirklichkeit des Menschen.
Verspüren – Gott, so fern und so nah
In einem Gespräch machte Ignatius einmal die Aussage: »Ich glaube, ich könnte nicht leben, wenn ich nicht in meiner Seele etwas verspüren könnte, das nicht von mir kommt und auch sonst von niemandem, sondern nur von Gott.« Eine Aussage, die es in sich hat. Es geht um die eigene Existenz, um Leben und Tod. Darin liegen vor allem zwei Botschaften, die zusammengehören: die eine, dass Gott »der ganz andere ist«, und die andere, dass er ganz nahe ist, sich verspürbar macht. Ohne diese Spannung kann Ignatius nicht leben.
Experimentieren – Glaube, Hoffnung, Liebe »ganz haben«
In seinem autobiographischen »Bericht des Pilgers« erzählt Ignatius davon, wie er Experimente macht mit der Gestaltung seines Lebens. Beispielsweise, dass er auf den Schutz von Reisebegleitern verzichtet, um immer mehr aus dem Vertrauen auf Gott zu leben. Er »wünschte, drei Tugenden ganz zu haben: Liebe, Glaube und Hoffnung« (BP 35). Er hat sich auf existentielle Experimente eingelassen, hat sich selber als Einsatz im Spiel des Lebens zu geben versucht, um in seiner Lebensgestaltung die drei Tugenden zu verwirklichen. Dabei hat er den Gott gewonnen, der sich selber im »gottmöglichen Maß« dem Menschen hingibt (vgl. EB 234).
2. Pilger und Beter
Ignatius beim Beten zugeschaut und zugehört
Was gibt es zu sehen und zu hören, wenn man einen Blick auf Ignatius’ Gebetsweg wirft? Sicher ist das Kind Inigo, geboren 1491 auf Schloss Loyola im Baskenland, in die üblichen Gebete, ins Morgengebet und Abendgebet, eingeführt und gesegnet worden und hat das Kreuzzeichen gelernt, worüber er später selber eine kurze Betrachtung schreibt. Er lauschte auf das Beten der Erwachsenen, lernte das Vaterunser und Ave Maria, nahm an den Messfeiern teil, lief bei Prozessionen mit und stimmte in die Gesänge ein. Beten »nach der Gewohnheit«, so wie es von Jesus heißt, dass er nach seiner Gewohnheit in die Synagoge ging.
Anders, innerlicher, persönlicher wurde Ignatius’ Beten, als er 1521 infolge einer schweren Kriegsverletzung sterbenskrank lange Zeit im Krankenbett lag und dort seine Innenwelt, seine Regungen wahrnahm und das Buch von Ludolf von Sachsen über das Leben Christi mit seinen an den Evangelien orientierten Betrachtungen las und meditierte. Dort und damals richteten sich sein Beten, seine inneren Gespräche immer mehr auf Christus hin aus, mit dem und auf dessen Spur er leben wollte. In der täglichen »Gewissenserforschung« brachte er sein Leben und Erleben in Verbindung mit Gott. Zu einem Schrei aus der Tiefe kam es, als er in eine spirituelle Krise geriet, die schließlich in ihm Gedanken an Selbstmord aufkommen ließ. Die monatelange »Auszeit«, die Ignatius sich in Manresa nahm, ließ ihn täglich bis zu sieben Stunden in der Stille, im Gebet, in der Meditation, in der Gottsuche verharren. In dieser Zeit machte er viele und intensive innere Erfahrungen der Nähe Christi, erlebte er Ekstasen und eine so fundamentale Gotteserfahrung, dass er sich danach »als ein anderer Mensch« erlebte. Dieses umfassende »Tiefen- und Gipfelerlebnis« bildete fortan die Mitte und Grundlage seiner Existenz (vgl. BP 30).
Trotz dieses intensiven Rückzugs in die eigene Innenwelt mit entsprechenden starken seelischen Erfahrungen brachte er sich selber, sein Leben, seine spirituelle Suche in vielen Gesprächen immer auch in Beziehung zu anderen Menschen (BP 26). Die Geschichte des Betens von Ignatius zeigt, wie sein Beten sich mit seinem Leben entwickelte und seine Gestalt in immer neuem Suchen und Finden entfaltete. Die Exerzitien, »seine Exerzitien«, die aus seinem Gebetsleben und Lebensgebet heraus erwuchsen, sind eine »Gebetsschule« für jeden, der sich darauf einlässt. Vor allem auch in den so genannten Zusätzen zum Beten und Meditieren wird dies deutlich.
Mit 53 Jahren (!) nahm er noch einmal eine entscheidende Ausrichtung und Vertiefung seines seelisch-spirituellen Lebens wahr: Nach einem sich über Wochen hinziehenden Prozess schrieb er in sein Tagebuch, endlich habe er den Weg gefunden, der »sich ihm zeigen wollte« – der Weg der »ehrfürchtigen Liebe« zu Gott, zum Kosmos, zur Natur, zur ganzen Wirklichkeit. Dies erfuhr er als die Grundqualität seiner Beziehung zu allem (vgl. GGJ S. 399; 400; 402; 404). Gestorben ist er – und auch dies mag kennzeichnend sein für ihn – allein; nur der Krankenpfleger hörte als letzte Worte »Ay Dios, Ay Jesus« – »O Gott, O Jesus«. War es ein Schmerzensruf? Ein Aufjubeln: endlich!? Oder beides? Gott weiß.
Der Blick auf den Gebetsweg von Ignatius kann die Einladung sein, gelegentlich selber auf die Geschichte des eigenen Betens zu schauen. Franz Xaver, einer der vertrautesten Gefährten von Ignatius, schreibt einmal, wenig helfe mehr auf dem geistlichen Weg, als gelegentlich auf das Wachsen und Werden des Betens zu schauen.
3. Typisch ignatianisch
Was ist für das geistliche Leben und Beten von Ignatius kennzeichnend und wozu kann man sich dadurch vielleicht auch anregen lassen?
Ein weites Feld – alles kann zu Gebet werden
In der ersten Vorbemerkung seines Exerzitienbuches spricht Ignatius nicht vom »Beten«, sondern von »geistlichen Übungen«