Validieren und anerkennen (E-Book). Martin Schmid
ist es dabei gelungen, nicht nur die Grundlagen und Begründungsstrukturen unterschiedlicher Validierungs- und Anerkennungsverfahren zu veranschaulichen, sondern auch ihre je spezifische Ausrichtung und Methodik sowie ihre Ziele und Bewertungsmassstäbe zu sezieren. Dabei wird deutlich, dass aktuelle Anerkennungs- und Validierungsverfahren in der Erwachsenenbildung unterschiedliche theoretische, sozial- und bildungspolitische sowie insbesondere auch ökonomische Bezugspunkte aufweisen. Es ist ein zentrales Verdienst von Schmids Arbeit, dass sie die Bedeutung des Anerkennungsbegriffs in der Validierungsdiskussion akzentuiert und für die erwachsenenpädagogische Handlungspraxis untersucht. Aus einer erwachsenenpädagogischen Perspektive, die sich kritisch auf die Bedingungen und Verhältnisse bezieht, die bestimmte Diskurse und Verfahren – hier die Kompetenzerfassung – als Gegenstand hervorbringen, drängt sich diese Frage geradezu auf. Denn eine professionelle erwachsenenpädagogische Handlungspraxis des Validierens und Anerkennens muss sich fragen, mit welchen Vermessungspraxen welche Aspekte des Menschen genau erfasst und quantifiziert werden und was in den Verfahren überhaupt als messbar und relevant erscheint. In der Diskussion von Anerkennungs- und Validierungsverfahren wird damit die Frage virulent, welche theoretische Fundierung der Anerkennungsbegriff erfährt. Entgegen dem umgangssprachlichen Begriffsverständnis bezieht sich die philosophische Kategorie der Anerkennung nicht allein auf die zwischenmenschliche Wertschätzung im Sinne einer ethischen Grundhaltung. Vielmehr bezeichnet der Begriff der Anerkennung seit dem deutschen Idealismus weit grundlegender das auch in Kompetenzfeststellungsverfahren konstitutive Wechselverhältnis zwischen Subjektivität und Sozialität (Kuch 2012, S. 39ff.). So verstand Johann Gottlieb Fichte unter «Anerkennung» das wechselseitige Verhältnis selbstbewusster Individuen, die, um die Freiheit der anderen nicht zu gefährden, ihre eigene Handlungsfreiheit begrenzen. Dieser Gedanke begründet unsere heutige Rechtsvorstellung. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der den Begriff der Anerkennung von Fichte aufnahm und entscheidend erweiterte, konzipierte eine Theorie der Anerkennung, die als Bindeglied zwischen «Ich» und «Wir», zwischen Individuen und Gemeinschaftsformen oder sozialen Systemen und Institutionen vermittelt. Dieses Verhältnis ist allerdings nicht unproblematisch, wie ein Blick auf die Hegel’sche Figur von «Herr und Knecht» verdeutlicht (vgl. Hegel 1975, S. 145): Auf der einen Seite kann kein Individuum ohne Integration in eine Gruppe (z.B. die Familie) ein individuelles Bewusstsein ausbilden. Gleichzeitig ist auf der anderen Seite aber ohne Anerkennung zwischen Individuen der Vollzug bestimmter Gemeinschaftsformen nicht möglich. Die Komplexität besteht darin, dass jede Seite die andere zugleich voraussetzt, wie sie sie auf der anderen Seite negiert. Der Grundbegriff der Anerkennung macht es demzufolge möglich, die Freiheit des Subjekts in Verschränkung mit der Freiheit des anderen zu verstehen. Dies beinhaltet die Idee einer grundlegenden Abhängigkeit in der Realisierung von Freiheit. Das Subjekt ist nicht selbstgenügsamer Ausgangspunkt und freischwebender Vollzugsort von Freiheit, vielmehr erlangt es Freiheit nur in Abhängigkeit von anderen. Wir bedürfen der Anerkennung durch andere, weil wir durch sie Selbstverhältnisse ausbilden und eine soziale Existenz erlangen. Gleichzeitig sind wir durch die Anwesenheit der anderen limitiert.
Für Verfahren, die auf die Vermessung von persönlichen Kompetenzprofilen zielen, ist dieses gegenseitige Konstitutionsverhältnis nicht unbedeutsam. So müssen solche Verfahren beispielsweise stets berücksichtigen, dass im Zentrum der Überlegung um die Kompetenzerkennung der Mensch als Inhaber und Träger von Kompetenzen erscheint, die das Ergebnis individueller Lernleistungen darstellen, deren Potenz vermessen werden soll. In der Konsequenz einer problematischen Vermessungslogik würden die getesteten Personen nun weniger als freie Individuen zur Geltung kommen, sondern entlang vorgegebener Kriterien sozial relationiert; die vergleichbar gemachten Einzelnen würden zueinander ins Verhältnis gesetzt. Dies wäre ein Verfahren, das keinen anderen Zweck erfüllte, als bekannte Formen institutioneller Selektion und gesellschaftliche Hierarchisierung zu legitimieren und zu reproduzieren (vgl. Bourdieu 1993; Gould 1988).
Immer wenn die Attribuierung von Kompetenz mit der Vorsilbe «In-» korreliert, befördert eine Messung von Kompetenzen die zunehmende Beschäftigung mit Inkompetenzen. Damit verweist die Vermessungslogik auf Potenziale und Fortschritte ebenso wie auf Defizite und Ressourcen, welche die Richtung der weiteren (Lern-)Arbeit des Menschen an sich selbst anzeigen. Frühe Kritiker der Vermessungslogik deuten diese Form der Objektivierung der Subjekte als Zuspitzung eines technokratischen Positivismus, der durch die Quantifizierung von Qualitäten die Dynamik individueller Selbst- und Weltverhältnisse und gesellschaftlicher Veränderungen stillstellt. «Seinem geschichtlichen Wirken nach ist der Test […] eine Vorrichtung am Fliessband jenes höchst präzisen Produktionsverfahrens, das den reduzierten, nach Standardausmessungen gearbeiteten Menschen liefert, den Menschen, den man brauchen, das heisst verbrauchen kann» (Sonnemann 1981, S. 185). Aber selbst wenn die Vermessung von Kompetenzen nicht mehr (allein) darauf zielt, ein Individuum zum Objekt äusserlicher Testnormen zu machen, ist dem Zusammenhang von äusserer Norm und individueller Lernleistung nicht zu entkommen. Auch Verfahren, die lediglich ein entsprechendes Feedback anstreben, unterstellen, dass der Mensch als Träger seiner Kompetenzen für seine eigenen Lernleistungen verantwortlich gemacht werden kann. Indem sich die Kompetenzmessung mit den Imperativen der Wissensgesellschaft verbindet, in denen die eigenen Kompetenzen selbstverantwortlich und eigeninitiativ kontinuierlich verbessert und erweitert werden müssen, kippt sie von der Objektivierung zur Subjektivierung. Dementsprechend wäre «die wichtigste Kompetenz jedes Kompetenzsteigerungszentrums die Kompetenzsteigerungskompetenz» (Reichenbach 2007, S. 74).
Man kann das weite Feld der Anerkennungstheorien etwas holzschnittartig in ein positives und ein negatives Paradigma unterteilen. Reicht die erste, «positive» Traditionslinie von Fichte und Hegel bis zu Charles Taylor und Axel Honneth, so führt die zweite, die «negative» Traditionslinie von Jean-Jacques Rousseau bis zu Jean-Paul Sartre und Louis Althusser. Zu dieser Linie zählen auch Judith Butler und Nancy Fraser (vgl. Balzer 2007). Während die von Axel Honneth und Charles Taylor entfaltete Anerkennungstheorie darlegen kann, inwiefern die wechselseitige Anerkennung zwischen Subjekten für die Herausbildung von Selbstverhältnissen wesentlich ist, und auf diese Weise zu einem Verständnis des Sozialen gelangt, in dem die Freiheit des Subjekts mit der Freiheit des anderen verschränkt ist, bleibt das Verständnis von Machtverhältnissen und Anerkennungsordnungen darin seltsam vernachlässigt. Anerkennung wird hier als Medium betrachtet, das Wechselseitigkeit und Gleichheit ermöglicht und Subjekte bildet oder befähigt.
Den Ausgangspunkt der «negativen» Anerkennungstheorie bilden demgegenüber die spezifischen Formen der entzogenen Anerkennung. Missachtung, Entwürdigung oder Beleidigung sind Phänomene, in denen sich der einschränkende und unterwerfende Charakter der Anerkennung zeigt., Die «negative» Variante der Anerkennungstheorie macht darauf aufmerksam, dass Strukturen der vorenthaltenen Anerkennung und der Missachtung mit Formen sozialer Macht verbunden sind. Rassistische Exklusion, geschlechtliche oder körperliche Ungleichheit und die Diskriminierung von Minderheiten verweisen auf Positionierungen im sozialen Raum und erweisen sich als das Ergebnis von Machtstrukturen, die auf sehr intime Weise mit vorenthaltener Anerkennung verbunden sind. Vor diesem Hintergrund bedarf die Beschäftigung mit Anerkennungsverfahren einer umfassenden Analyse all jener Praktiken, durch die bestimmte Menschen und ganze soziale Gruppen missachtet werden – und zwar, in den Worten von Nancy Fraser, «innerhalb der gesamten Gesellschaft, nicht nur im Recht und durch das Recht» (ebd., S. 253). Aus dieser Perspektive werden soziale Klassifikationen und kulturelle Repräsentationen ebenso wie symbolische Interaktionen in und mittels Anerkennungs- und Validierungsverfahren zum Schauplatz symbolischer Machtverhältnisse.
Vor diesem Hintergrund steht der Begriff der Anerkennung nicht für ein weiteres Themenfeld der ohnehin zahlreichen und vielfältigen Diskurse in der Erwachsenenbildung, sondern für eine zentrale Dimension erwachsenenpädagogischer Theorie und Praxis schlechthin: In der Auseinandersetzung von Ich und Welt, in der Anerkennung der gegenseitigen Abhängigkeiten und in der Bearbeitung dieser komplexen Verstrickungen konstituiert sich eine modern-reflexive Erwachsenenpädagogik. Sie ist dem grundlegenden Ziel verpflichtet, Individuen in der Entwicklung selbstbestimmter und rational begründeter Entscheidungs-, Handlungs- und Urteilsfähigkeit zu unterstützen, vorhandene Macht- und Ungleichheitsverhältnisse zu reflektieren und die Konstitution eines gesellschaftlichen Allgemeinen unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten zu befördern. Es bietet sich an, diese Dimensionen der Anerkennungsthematik künftig für eine reflexive Validierung von differenten