Sammeln (E-Book). Beate Blaseio
Zwecken oder aus Liebhaberei.
Marc Chagall soll gesagt haben: «Den echten Sammler erkennt man nicht an dem, was er hat, sondern an dem, worüber er sich freuen würde.»
Mit der Sicherung des Nahrungsbedarfs begann das Sammeln in der Geschichte der Menschheit. Die Jäger und Sammler horteten Lebensmittel, um sie dann bei Bedarf zu essen. Heute dominiert der symbolische Wert beim Sammeln, während der Nutzwert deutlich zurücktritt.
Sammeln kann zur Selbstdarstellung und -inszenierung genutzt werden. Nicht wenige Sammler und Sammlerinnen wollen in das Guinness-Buch der Rekorde, weil sie über 15 000 Pinguine (aus Stoff oder Plastik) gesammelt haben, 12 000 Hoteltürschilder «Bitte nicht stören» in ihrer Sammlung nachweisen können oder mit über einer halben Million Weihnachtslichtern ihr Haus schmücken.
Sammeln kann zur Sucht werden: «Sammeln ist eine Krankheit ohne Aussicht auf Heilung, eine zunächst verborgene Krankheit, die später ununterbrochen mit heftigen, beinahe fieberhaften Anfällen fortschreitet», sagte der Fotograf Lamberto Vitali.
Im wohl kleinsten Museum der Welt, dem Basler Hoosesagg Museum, werden kompakte Sammlungen von etwa 30 Stücken ausgestellt, die jeweils in eine Hosentasche passen müssen.
Der Falter Eupithecia nabokovi ist nach dem Schriftsteller Vladimir Nabokov benannt, der ein leidenschaftlicher Sammler von Schmetterlingen war.
Knapp ei n Drittel der Deutschen sind Sammler oder Sammlerinnen. Bei manchen sind es Klassiker wie Briefmarken, Fossilien, Bierkrüge oder Teetassen. Bei anderen entwickeln sich mitunter skurrile Sammelgebiete wie Radkappen, Bananenaufkleber, Schaufensterpuppen, Schädel, Bauchnabelfusseln oder Spuckbeutel aus Flugzeugen.
A Ansichtskarten, Anspitzer, Atlanten, Autogrammkarten B Barbiepuppen, Bierdeckel, Bierkrüge, Bleistifte, Briefbeschwerer, Briefmarken, Bücher, Buddelschiffe C CDs D Daumenkinos, DDR-Nostalgie, Diddl-Produkte, Drehorgeln E Edelsteine, Eierbecher, Einkaufswagenchips, Eintrittskarten, Eisenbahnmodelle, Elefanten, Engel, Ersttagsbriefe, Espressotassen F Fächer, Fahrkarten, Feuerzeuge, Fingerhüte, Flaggen, Flaschenöffner, Flöten, Fossilien, Fotoapparate, Frösche, G Gartenzwerge, Gasmasken, Gedichte, Gemälde, Glücksbringer H Hampelmänner, Heiligenbildchen I Igel J Joghurtbecher K Käfer, Kaffeefilter, Kaffeemühlen, Kakteen, Kinoplakate, Knöpfe, Kochbücher, Korkenzieher, Krawattennadeln, Krippen, Kronkorken, Kugelschreiber L Landkarten, Likes M Mangas, Marionetten, Medaillen, Mineralien, Modellautos, Modellschiffe, Münzen, Murmeln, Muscheln N Nachttöpfe, Notgeld O Ofenplatten, Oldtimer, Orden P Paninisticker, Perlen, Pokémonkarten, Postkarten, Puppen Q Qigongkugeln, Quasten R Radiergummis, Reklameschilder, Ringe, Rosen S Sammeltassen, Sammelteller, Schallplatten, Schirme, Schlitten, Schlüsselbänder, Schmetterlinge, Schnapsflaschen, Schneckenhäuser, Schneekugeln, Schneemänner, Schreibmaschinen, Schuhe, Schuhlöffel, Schweine, Servietten, Skarabäen, Spardosen, Spielkarten, Spielzeug Sprichwörter, Steine, Stempel, Streichholzschachteln T Teddybären, Teekannen, Telefonkarten, Tierpräparate, Tortenheber, Traumfänger, Treckermodelle, Türknöpfe U Überraschungseier-Figuren, Uhren V Vasen W Waagen, Waffen, Wanderstocknägel, Wein, Weinetiketten, Wölfe X Xylofone Y Yogamatten Z Zebras, Zeppeline, Zinnfiguren, Zigarrenbauchbinden, Zollstöcke, Zuckerwürfel
Homo collector und das Phänomen des Sammelns
«Sammler sind glückliche Menschen», soll Johann Wolfgang von Goethe einst gesagt haben. Er war selbst ein leidenschaftlicher Sammler verschiedener Dinge: Er soll mehr als 40 000 Objekte in seinem Leben zusammengetragen haben, darunter 9000 Kupferstiche und Zeichnungen, 8000 Bücher und Manuskripte, 4500 Gemmen (gravierte Schmucksteine), 18 000 Steine und Mineralien (Halder 2010, S. 6).
Für Goethe war das Sammeln ein Weg zum Wissen. Er sagte: «Und so liebe ich den Besitz nicht der besessenen Sache, sondern meiner Bildung wegen, und weil er mich ruhiger und dadurch glücklicher macht.» (Schmidt 2015, S. 19) Wie bei vielen anderen Sammlern und Sammlerinnen repräsentieren auch bei Goethe die Objekte einer Sammlung vielfältige Erkenntnisse und legen das Wissen offen, das in den Dingen verborgen liegt (Schmidt 2016).
WAS IST SAMMELN?
Sammeln gehört zu unserer Lebenswelt und ist ein weit verbreitetes Phänomen. Sammeln kann man synonym auch als «zusammenbringen», «vereinigen» oder «anhäufen» bezeichnen. Verstreute Dinge werden an einem Ort zusammengetragen. Sammeln ist damit ein Prozess der Bewegung aufeinander zu, wobei zu unterscheiden ist, ob ein bloßes, subjektloses Geschehen vorliegt oder eine intentionale, also gewollte Handlung eines Subjekts.
Beispiele für Sammlungen ohne aktiven (menschlichen) Sammler: das Regenwasser, das sich in einer Tonne sammelt, der Staub, der sich auf einem Regal sammelt, die Vögel, die sich vor dem gemeinsamen Flug in den Süden versammeln. Im Englischen wird diese Art des Sammelns mit gathering wiedergegeben und so von der anderen Form des Sammelns – collecting – auch sprachlich abgegrenzt (Sommer 2018).
Das Sammeln, das im Englischen mit collecting ausgedrückt wird, bezeichnet eine aktive, auf ein Ziel fokussierte Handlung eines Subjekts (Sammler oder Sammlerin), bei der ausgewählte Objekte mit einer vorher festgelegten Intention zusammengetragen werden. Sammeln ist hier das Zusammenbringen von gleichen Dingen einer übergeordneten Kategorie, wie Gartenzwerge, Teekannen oder Münzen. Jede Sammlung braucht ein Begriffsetikett als Klammer, damit aus einem Sammelsurium eine Sammlung wird. In einer Themensammlung sind solche Objekte vereint, die einem Oberbegriff zugeordnet werden können, sich dann aber wieder voneinander unterscheiden (ebd.). So gibt es in der Streichholzschachtelsammlung Zündhölzer verschiedener Firmen aus unterschiedlichen Zeitepochen. Es gibt aber auch andere Sammelkategorien, die immer genau von dem handelnden Subjekt zu begrenzen sind wie «alles von Pokémon». Es gibt auch einschränkende Sammlungsinteressen wie «Gemälde aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus Italien» oder «Briefmarken aus deutschen Kolonien bis 1918».
Manfred Sommer (2018) weist darauf hin, dass das Sammeln im Sinne von collecting entweder ökonomisch oder ästhetisch ausgerichtet sein kann. Ökonomisches Sammeln ist beispielsweise das Sammeln von Pilzen oder Beeren für den anschließenden Verzehr oder das Sammeln von Holz zur Verbrennung im Ofen. Beim ökonomischen Sammeln ist die Dauer der Sammlung begrenzt, da die Intention auf den Verbrauch und damit auf das Wieder-Verschwinden der Dinge ausgerichtet ist (ebd.). Hier geht es primär um eine Vorratshaltung: Dinge werden aufbewahrt, bis sie in ihrer Funktion eingesetzt werden (Schmidt 2016).
1Sammelsurium oder Sammlung?
2Dauermarkenserie der deutschen Kolonien
Das ästhetische Sammeln hingegen ist auf das Bewahren und das Erhalten von Gegenständen ausgerichtet. Deshalb bezeichnet Sommer (2018) den ästhetisch ausgerichteten Homo collector auch als konservativ, weil er die Dinge weiter bestehen lassen möchte, auch wenn die Funktion dieser Gegenstände in der gegenwärtigen Alltagswelt längst unbedeutend geworden ist (z. B. Nachttöpfe oder Transistorradios).
SAMMELNDE
Erst der Sammler oder die Sammlerin macht aus einem ungeordneten Sammelsurium eine strukturierte Sammlung. Für ein Sammeln im Sinne von collecting sind also zwei Komponenten