Therapie in Aktion. Lothar Kuschnik

Therapie in Aktion - Lothar Kuschnik


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in der Simon Willem Straat 1. Die Verwandten helfen mit Möbeln. 1924 ist ein strenger Winter. Die einzige Heizmöglichkeit ist ein tragbarer Kerosinofen. Oft ist der Inhalt des Toiletteneimers morgens gefroren. Anfang Januar steht Mien auf einer Leiter, um die Fenster bei Juffrow Oud, der Besitzerin des Milchgeschäftes, zu putzen. Sie will „eben noch fertig machen“, als die Wehen einsetzen. Juffrow Oud schickt sie ins Krankenhaus. Eigentlich kommen Kinder damals meistens zu Hause mit Hilfe einer Hebamme zur Welt. Aber Mien und Rinus müssen ins Krankenhaus, weil sie kein Geld für die Hebamme haben. Doch als sie zu Fuß im Wilhelmina Ziekenhuis ankommen, schickt sie der Doktor wieder nach Hause. Joop will noch nicht das Licht der Welt erblicken. Nach zwei Tagen geht das junge Paar wieder ins Krankenhaus, weil die Wehen schlimmer werden. Der Arzt sagt: „Wir geben Ihnen eine Spritze, und wenn sie wach werden, ist das Kind da.“ So geschieht es. Joop wird mit einer Zange auf die Welt geholt. „Als Andenken habe ich einen platten Kopf“, meint er mit einem Lächeln. Jetzt lebt die junge Familie zu dritt in der Mansarde. Vater Rinus bemüht sich erfolglos um Arbeit. Rinus wird die Arbeitslosenunterstützung verweigert. Impulsiv wirft er einen Stein durch das Fenster des Arbeitsamtes. Er wird verhaftet und zu 9 Tagen Gefängnis verurteilt. Aber er bekommt seine Unterstützung und die Geschichte wird später in der Familie als kleine Heldentat erzählt, wie Joop sich erinnert.

      Die Wirtschaftskrise in Europa wirft ihre Schatten voraus. In Holland gehen die Textilarbeiter in einen langen Streik. Sie wollen eine Lohnsenkung von 10 Prozent nicht kampflos hinnehmen. Es ist die zweite Kürzung in zwei Jahren. Sie sollen entweder die Kürzung akzeptieren oder anstatt 48 jetzt 53 Wochenstunden arbeiten.

      Ein Textilarbeiter verdient zu der Zeit 20 Gulden pro Woche. Baron Van Heek, ein echter Baron, erklärt sein Jahreseinkommen auf 1.248.177 Gulden, so viel verdienen 1200 Arbeiter.

      Die Textilarbeiter verlieren den Kampf.

      Ein ähnliches Schicksal haben die Metallarbeiter. Die hohe Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Hoffnungslosigkeit schaffen eine gedrückte Stimmung.

3. Joop ordnet seine Geburt in das Jahr 1924 ein

      Lenin stirbt und wird nicht von Trotzki beerbt, wie er es gewünscht hat, sondern von Stalin, dem Mann aus Stahl.

      Hitler wird zu 5 Jahren Festungshaft wegen eines geplanten Umsturzes verurteilt. In seinen Verteidigungsreden betreibt er seine Nazi-Propaganda. Bevor das Jahr 1924 zu Ende geht, ist er wieder frei.

      In Italien bekommt Mussolini 65 Prozent der Stimmen. Sein sozialistischer Gegenspieler Matteotti wird von den Faschisten ermordet.

      Nach einer schweren Operation, die sein Leben bedrohte, ist Ghandi wieder frei.

      Carson City in den USA erwirbt den zweifelhaften Ruf, „die humanste und schnellste Art“ der Hinrichtung eines Gefangenen zu praktizieren.

      Die Olympischen Sommerspiele finden in Paris statt und der Läufer Paavo Nurmi, der fliegende Finne, gewinnt 5 Goldmedaillen. Der Schwimmer Johnny Weißmüller (später der erste Tarzan-Darsteller) ist der Liebling des Publikums und vor allem der Frauen.

      Genauso geht es Rudolf Valentino und Douglas Fairbanks. Die Welt lacht über die Komiker Buster Keaton, Charlie Chaplin und Felix the Cat.

      1924 werden Männer wie Jimmy Carter, George Bush sen., Marlon Brando, Sidney Poitier, Marcello Mastroianni geboren. Der Sänger Johnny Jordaan begeistert und lässt die Herzen der Amsterdamer und besonders des Wohnviertels „Jordaan“ schmelzen.

4. Leben im Jordaan

      Ein großer Teil der Familie von Joop lebt im „Jordaan“, einem Wohnviertel in Amsterdam. Er selbst lebt mit den Eltern am Rande des Jordaan. Aber er identifiziert sich in Kindheit und Jugend mit dieser eigenen Welt und spricht auch „Jordaans“. „Der Name Jordaan ist wahrscheinlich vom biblischen Fluss Jordan abgeleitet: So wie dieser die Grenze Israels markierte, bildete die Prinsengracht die Grenze zwischen dem Viertel der Reichen und der Armen. Der Jordaan wurde nicht völlig neu angelegt, vielmehr entsprach die Lage der Straßen und Grachten dem Verlauf schon bestehender Entwässerungskanäle. Die Straßen verlaufen dadurch eigenartig schräg zur Prinsengracht“. (Christoph Driessen S. 47) „Als wollten sie dadurch verdeutlichen, dass hier auch immer ein ganz besonderer Menschenschlag gelebt hat, meint der Schriftsteller Cees Nooteboom.“ (ebd.) Diese Schilderungen beziehen sich auf das 17. Jahrhundert. „In dem relativ kleinen Bezirk wohnte bald jeder vierte Amsterdamer. Auch luftverpestende Industriebetriebe wurden dort angesiedelt, zum Beispiel Brauereien, Färbereien, und Seifensiedereien, Zucker-, Salpeter- und Schwefelraffinerien.“ (ebd.) Auch ein Vergnügungspark fand dort seinen Platz. „Er ist bereits auf den ältesten Plänen des Jordaan von 1625 eingezeichnet.“ (ebd.)

      Durch die Jahrhunderte hat der Jordaan seine besondere Rolle im Konzert der Amsterdamer Wohnviertel gespielt. Heute wohnen dort Künstler, Intellektuelle und andere Menschen, die das Flair im Herzen Amsterdams lieben. Zu der Zeit von Joops Geburt war es noch das Viertel der armen Leute, Paradiesvögel gab es aber auch damals schon. (s. u. „Tante Ka und Ome Huub“)

      10 Blocks in der Länge und Breite bietet der Jordaan seinen Bewohnern einen Ort, ihren Zusammenhalt zu pflegen. Sie haben alle nicht viel an materiellen Möglichkeiten, aber ihre Solidarität ist groß. Man kennt sich im Jordaan. Man redet mit- und übereinander. Klatsch ist akzeptiert. „Besser eine schlechte als gar keine Geschichte“. Man spricht sogar einen eigenen Dialekt: Jordaans. Im Rest des Landes wird diese Sprache belächelt, aber wer im Viertel nicht Jordaans spricht, macht sich zum Außenseiter. Joops Mutter Mien und eine ihrer Schwestern weigern sich, Jordaans zu sprechen. Sie bezahlen den Preis, lächerlich gemacht und als Snobs bezeichnet zu werden. Manchmal schämte sich Mien für die Mitglieder ihrer Familie, die betrunken auf der Straße laut lachten und in ihrem Jordaans-Dialekt derbe Scherze machten.

C C Quellen der Aktionstherapie I
1. Gisela Konopka: Gruppenarbeit - eine Wurzel moderner Sozialarbeit

      Gisela Konopka gilt als die „Mutter der Gruppenarbeit“. 1910 als Gisela Peiper geboren, verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend in Berlin. Obwohl die Eltern in bescheidenen Verhältnissen lebten und ihren Lebensunterhalt mit einem kleinen Gemüsegeschäft verdienten, durfte Gisela aufs Gymnasium gehen und ihr Abitur machen. Die Familie war jüdisch, der Vater Sozialdemokrat, und die junge Gisela hatte sich schon bald einer linken jüdischen Jugendgruppe angeschlossen. Nach dem Abitur ging sie nach Hamburg und arbeitete als Fabrikarbeiterin. Dort schloss sie sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund an. Von 1929 - 1933 studierte sie an der Universität Hamburg Geschichte, Psychologie, Philosophie und Pädagogik/Sozialpädagogik. In ihrer Hamburger Zeit lernte sie den Facharbeiter Paul Konopka kennen. Da sie Kontakt zu Widerstandskämpfern hatte, wurde sie 1936 verhaftet und in das Konzentrationslager Hamburg-Fuhlsbüttel gebracht. In ihrer Autobiographie „Mit Mut und Liebe“ schreibt sie: „Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, in dem abgeschlossenen Raum zu ersticken. Plötzlich wurde ich von Hass überflutet. Ich bekämpfte die Nazis aus einer heftigen Reaktion heraus, weil mir die Achtung vor dem Menschen so wichtig war. Ihre Taten hatte ich verabscheut, aber so persönlich, so tief von innen heraus und so furchtbar wie in diesem Augenblick hatte ich noch nicht gehasst… Ich hasste, ich hatte Angst, ich war voller Zweifel“. (Gisela Konopka a.a.O. S. 147).

      Nach einigen Wochen wird sie entlassen. Sie flieht über die Tschechoslowakei nach Österreich. Hier wird sie noch einmal verhaftet, wird wieder entlassen und kommt über Frankreich und Portugal schließlich 1941 in die USA. Zunächst verdient sie sich in New York den Lebensunterhalt durch Putzen. Sie beginnt ein Studium in „Social Group Work“ an der School of Social Work in Pittsburgh. Sie arbeitet dann als Social Group Worker in einer Klinik in Pittsburgh und bekommt schon 1947 einen Ruf als Professorin für Social Work an die Universität von Minnesota in Saint Paul. Gisela Konopka ist beeinflusst von dem Begründer der


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