Die Jamu-Therapie. Johannes Neuhofer
kleine blaue Pille ist nur ein schwacher Versuch, so die indonesischen Männer. Sie haben etwas viel Effektiveres: Jamu Laki Laki.
Besser bekannt als die Medizin des Mannes. Eine ekelhafte Brühe kann ich Ihnen sagen. Ich durfte während meiner Reise durch das exotische Land mehrmals Bekanntschaft damit machen. Nein, ich habe es nicht getrunken, aber an jeder zweiten Ecke wird einem das scheußlich riechende Produkt angeboten.
Die Einheimischen schwören auf jeden Fall mit Stehbeifall auf ihr strammes Getränk und lassen einen das auch wissen. Gerne plaudern sie munter drauflos und schwärmen von der tollen Wirkung dieses Produktes. Als sei es das Normalste auf der Welt, einem Fremden vom sexuellen Helferlein zu berichten. Die Männer erzählten mir auch, dass es zusätzlich noch Pillen gibt, um eine noch bessere Standhaftigkeit vorweisen zu können. Viele der älteren Herrschaften verrieten, dass sie jeden Tag morgens noch vor dem Frühstück ihr Jamu Laki Laki einnehmen, damit der Tag hammermäßig beginnt.
Wie auch bei den anderen Jamus muss dieses Potenzmittel über einen gewissen Zeitraum eingenommen werden, um merkbare Erfolge zu erzielen. Die komplett natürlichen Bestandteile brauchen halt, um zu wirken. Mann muss nicht nur eine Geliebte mitbringen, sondern Zeit und Geduld.
Der zweite große Bereich, in dem die indonesische Heilkunst angewendet wird, ist die Schönheit. Natürlich geht sie Hand in Hand mit der Sexualität, ein gepflegtes, attraktives Aussehen wirkt auf das Gegenüber anziehend. Jamu geht noch ein paar Schritte weiter. Die Geschichte der Schönheit reicht bis ins neunte Jahrhundert zurück. Schon damals war die Ästhetik einer Frau wichtig. Die Geheimnisse für den makellosen Auftritt wurden in den Palästen der Königsfamilien unter Verschluss gehalten. Kein Normalsterblicher durfte an die royalen Schriften gelangen. Ein weiterer Versuch sich von den Untertanen abzuheben.
Ein paar auserwählte Bedienstete oder Freunde der Familie hatten die Ehre, in den Genuss der königlichen Beauty-Treatments zu kommen. Bürgerliche Frauen versuchten alles, um eine solch zarte Haut wie die der Prinzessin zu bekommen. Die Mythen rund um die Königsfamilie und ihre Schönheitsrezepte machten die Situation noch schlimmer. Mädchen und Frauen mischten Jamus, wanderten stundenlang durch den Wald, um seltene Blüten zu finden, kreierten Cremes und Düfte, um einmal den süßen Geruch der Königsfamilie anzunehmen. Natürlich scheiterten die meisten. Und doch, einige wenige Rezepte gelangten an die Öffentlichkeit.
Diese Anleitungen verwenden die Menschen zum Teil bis heute und nehmen sie als Basis für Weiterentwicklungen von Rezepten. Eigentlich besagte der Mythos, dass Rezepte nur dreimal innerhalb der Familie an weibliche Verwandte weitergegeben werden dürfen. Großmutter, Mutter, Tochter. Das war die traditionelle Reihenfolge. Jedes später geborene Mädchen wurde meist ausgeschlossen.
Der Aberglaube besagte, dass sich nach drei Generationen mündlicher Überlieferung zu viele Fehler in die Rezepte einschleichen. Wie beim Stille-Post-Spielen. Deswegen sind frühere Rezepte oft in Vergessenheit geraten. Sie wurden weder schriftlich aufgezeichnet noch mündlich weitergegeben. Es ist teilweise schwierig die alte Lebensweise in Verbindung mit Jamu nachzuvollziehen, da es kaum schriftliche Überlieferungen gibt. Aber glücklicherweise gab es schon immer Rebellen, die den Mythen und dem Aberglauben keine große Aufmerksamkeit schenkten. Durch sie konnten die Rezepte weiterleben wie Geheimnisse in einem Safe der Zeit. Als Vermächtnis, für das die Menschen heute dankbar sind.
Terima Kasih Sama Sama. Sama Sama Terima Kasih.
Ich verspreche Ihnen, dass Sie im Laufe dieses Buches einiges Unbekanntes über Schönheit und Sexualität erfahren werden. Aber nicht nur Tricks. Es geht eben um den ganzheitlichen medizinischen Ansatz von Jamu. Behandelt man ein bestimmtes Organ oder spezielle Schmerzen im Körper, darf man die Auswirkung auf den gesamten Menschen nicht vergessen.
Indonesische Heiler brauchen eine lange Ausbildungszeit, um die richtigen Bestandteile in den passenden Mengen zu portionieren und mit anderen Inhaltsstoffen korrekt zu mischen. Denn Wechselwirkungen sind zu beachten. Mischt man zwei Substanzen zusammen, die nicht harmonieren, kann es zu einer unerwünschten Wirkung oder Nebenwirkung kommen. Fragen Sie also bitte nicht den Arzt oder Apotheker des Zufalls. Nimmt man die natürlichen Produkte in der falschen Dosis, kann das Nebenwirkungen auslösen. Das ist beim Wein ja auch so.
Prost übrigens. Schön, dass wir gemeinsam diese Reise antreten. Bevor wir uns mit Ingwer und dergleichen beschäftigen, braucht es etwas Bildhaftes zur Einstimmung, die Geschichte der traurigen Prinzessin Dewi Kadita.
Es geht um Schönheit, Zwietracht und einen Fluch, in Wahrheit also um das ganz normale Leben, wie wir es auch heute kennen.
Die Muse von Jamu
Mystisch und zauberhaft ist das Märchen, das mir eine Einheimische erzählt hat. Es ist die Antwort auf meine Frage, woher Jamu eigentlich stammt. Denn wo die historischen Quellen – von denen wir noch hören werden – aufhören, fängt die Mystik an. In Indonesien verehrt man die Göttin des Indischen Ozeans namens Nyai Roro Kidul. Sie ist das erste Wesen, das dank Jamu geheilt wurde. So schildert es eine der ersten Bekanntschaften auf meiner Reise. Bei einer Tasse grünem Tee am Rand von Jakarta erzählt eine alte Dame mit weißen Haaren und wissenden Augen folgende Geschichte.
»Im indonesischen Königreich Sunda entstand vor Tausenden von Jahren ein neues Zentrum in West-Java. Pukan Pajajaran hieß die pulsierende Hauptstadt. Sie war eingebettet zwischen zwei Flüssen, umgeben von Bergen und Wäldern. Hier erblühte die königliche Herrschaft zu neuem Leben. Der Nachwuchs ließ nicht lange auf sich warten. Eine Tochter. Gesegnet mit einer Schönheit wie man sie kein zweites Mal findet.«
Das Mütterchen strahlt mich an. Sie schwärmt von der Prinzessin wie von ihrer eigenen Tochter.
»Der sudanesische König behütete sie wie seinen Augapfel, immerhin war sie das erste Kind und würde einst mit ihrem Mann den Thron besteigen. Es sollte eine Hochzeit geben. Die Jahrhunderthochzeit. Für die schönste Frau in Indonesien. Aus dem ganzen Land strömten die Werber und Schaulustigen zum Palast, um sich selbst von dem atemberaubenden Antlitz zu überzeugen. Doch …«
Das Lächeln schwindet aus dem Gesicht der Erzählerin.
»Die Menschen können es einfach nicht ertragen, wenn etwas so perfekt ist.«
Traurig blickt sie in ihre Tasse. Ihre kleinen Hände halten das Porzellan fest umklammert. Sie fährt fort.
»Im Schatten der Palastmauern gediehen neidische Blicke. Sie gönnten dem König sein Glück nicht. Konnten die anmutige, liebreizende Dewi Kadita nicht ertragen. Neid und Hass kann alles zerstören. Und so geschah es auch. Eine Woche vor der Hochzeit kam eine Hexe nach Pukan Pajajaran. Gerufen von den Feinden des Herrschers. Sie schaffte es mit List und Tücke bis zur Prinzessin vorzudringen und verdunkelte deren Leben mit ihrer schwarzen Magie. Ein grausamer Fluch, der sich über die makellose Haut legte. Die Arme bekam eitrige Pusteln und Geschwüre. Der ganze Körper war voll davon. So konnte sie nicht verheiratet werden.«
Schweigen. Die alte Frau kreist kurz in ihren eigenen Gedanken. Vielleicht denkt sie an ihre eigene Hochzeit. Das wichtigste Ereignis für die Indonesierinnen. Ihr Blick bleibt wieder an mir hängen.
»Das ganze Land fiel in Trauer. Der König war verzweifelt. Seine Herrschaft war in Gefahr. Seine wunderschöne Tochter, verwandelt in eine hässliche Gestalt. Kein Heiler konnte helfen. Jedes Mittel war wirkungslos. Nichts konnte den Fluch brechen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie verzweifelt das Mädchen sein musste.«
Die Dame selbst hat in jungen Jahren wohl kein Problem gehabt, einen Mann zu finden. Unter dem Schleier des Alters steckt eine Schönheit, das sehe ich.
»Dewi Kadita floh aus dem Palast. Sie wusste keinen anderen Ausweg mehr. Sie wollte ihrem Leben ein Ende setzen und sich in die Fluten des Indischen Ozeans stürzen. Als der Mond am höchsten stand und die dunklen Klippen erleuchtete, warf sich die Prinzessin in die reißenden Wellen.«
Die Niedergeschlagenheit verwandelt sich wieder in Hoffnung. Und wischt ein paar Jahre aus dem Gesicht der alten Frau.
»Aber die Götter wollten sie nicht sterben lassen. Ganz im Gegenteil. Gerechtigkeit walten lassen.