Primärdirektionen. Rüdiger Plantiko

Primärdirektionen - Rüdiger Plantiko


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nicht mehr darin, Direktionen zu berechnen, sondern darin, in der Fülle des Berechneten das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden.

      Daß Primärdirektionen viel Rechenzeit benötigen, ist daher in unserer Zeit nicht mehr wahr. Überhaupt ist die lange Rechenzeit ein schlechtes Argument gegen die Richtigkeit eines Systems: Ist es doch den Direktionen egal, wieviel Zeit wir zu ihrer Errechnung benötigen!

      Schwerwiegender ist schon der Einwand, die Astrologie habe sich schließlich wie jede Disziplin fortentwickelt und allerhand früheren Ballast fortgeworfen, weshalb man sich an den neuesten statt an den ältesten Methoden orientieren sollte.

      Aber bei der Astrologie ist das Verhältnis zur Tradition anders als etwa in einer Naturwissenschaft: Während Naturwissenschaftler bei jeder neuen Entwicklung die überholten Theorien in die Wissenschaftsgeschichte auslagern müssen, schätzen die Astrologen das aus dem Altertum überlieferte astrologische Wissen hoch und denken nicht im Traum daran, es könnte einmal durch neue Forschungen ’widerlegt’ werden. Wenn sie überlieferte Regeln bewahren und z.B. dem Zeichen Skorpion wirklich Eigenschaften des gleichnamigen Tiers beimessen, oder den Planeten Mars wie den Kriegsgott mit dem Thema Gewalt in Verbindung bringen, so geschieht dies, weil sie den Alten eine intuitive Erkenntnisart zugestehen, die im Laufe der letzten Jahrtausende den Menschen fast völlig abhanden gekommen ist. Dies ist die einzige Rechtfertigung des astrologischen Konservatismus.

      Respekt vor der Tradition bedeutet jedoch keine blinde Übernahme des Überlieferten. Wir haben uns inzwischen neue Qualitäten erworben; an die Stelle eines bildhaften ist ein taghelles, kritisches Bewußtsein getreten, das den Abstraktionsschritt vom konkreten Bild zu dem darin ausgedrückten Wesentlichen mühelos vollziehen kann. Das sollte uns in die Lage versetzen, auch im überlieferten astrologischen Wissen die Spreu vom Weizen zu trennen und von den wahrsagerisch-konkreten astrologischen Bildern der Tradition zu den die Zeiten überdauernden Wahrheiten vorzudringen.

      Es zeigt sich, daß die überlieferte Lehre der Primärdirektionen mehr Solides enthält als nur den Torso der Achsendirektionen, der in der heutigen astrologischen Praxis überlebt hat. Die Entdecker der Primärdirektionen besaßen ohne Zweifel eine tiefe Einfühlung in die Himmelsvorgänge und scheinen durch ihr analogisches Denken eine Methode von Bestand ermittelt zu haben. Ich glaube, daß es an der Zeit ist, diese Methode der Primärdirektionen aus dem Dunkel des Vergessens wieder ans Licht zu holen und mit unserem modernen Bewußtsein aufzuarbeiten. In der gegenwärtigen Situation ist die Besinnung auf die astrologische Tradition sinnvoller als das ständige Ausdenken neuer Methoden, das in unserer Zeit meist nur noch ein Erfinden, kein Entdecken mehr ist.

      Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Beitrag in dieser Richtung, indem die Direktionslehre nicht nur theoretisch dargelegt wird, sondern auch an einem umfassenden Beispiel zur Anwendung kommt. Der Unterschied zu den ausgezeichneten Werken von KÜHR ([KK]) und KÜNDIG ([KP]) liegt vor allem darin, daß die Darstellung nicht durch die Fixierung auf ein ’alleinseligmachendes’ System vereinseitigt wird – beim gegenwärtigen Stand der Forschung wäre das unehrlich. Von der sehr guten Arbeit von W. KNAPPICH ([WK1]) hoffe ich mich dadurch zu unterscheiden, daß ich die Direktionen als Teil der gegenwärtigen astrologischen Forschung ansehe – und nicht als ein bloß noch historisches Phänomen. Auch wird dem Formelteil (Kapitel 4) konsequent der Begriff der mundanen Position als der zentrale Punkt aller Direktionssysteme zugrundegelegt. Dadurch gewinnt die mathematische Formulierung des Problems an Struktur und hoffentlich an Verständlichkeit.

      Alle mir bekannten primären Direktionsverfahren stelle ich gleichberechtigt dar, damit sich der Leser selbst ein Bild machen kann. Das heißt nicht, daß ich selbst keine Präferenz für ein bestimmtes System hätte. Ich habe seit etwa zehn Jahren mit verschiedenen Methoden experimentiert und bin schließlich zu folgendem Verfahren gelangt, das mir oft gute Annäherungen zu bieten scheint:

      Direktionsmethode des Verfassers:

      Halbbogenmethode, ohne Berücksichtigung von Signifikator- und Promissorbreiten, Ptolemäusschlüssel (1 Grad = 1 Jahr).

      Ich will an dieser Stelle nicht in den bei anderen Autoren üblichen Dogmatismus verfallen (” An Tausenden Fällen erprobt… Auf die Bogenminute exakt… Einzig richtiges Verfahren…”). Ich möchte allerdings zu denken geben, daß diese Art des Dirigierens immerhin bis ins 15. Jahrhundert allgemein üblich und konkurrenzlos war.

      Im 3. Kapitel, in dem ich zur praktischen Illustration das Horoskop und die Direktionen Friedrich Nietzsches bespreche, mußte ich ’Farbe bekennen’ und habe die Direktionen nach dem von mir favorisierten Verfahren berechnet. Dem Kapitel wurden aber einige Rechenaufgaben angefügt, mit denen der Leser sich die verschiedenen Verfahren erüben kann.

      Für die Anregung, diese Arbeit zu schreiben, bin ich vor allem ERICH THAA zu Dank verpflichtet; er trug zu ihrem Entstehen auch durch zahlreiche Korrekturen bei. REINHARDT STIEHLE vom Chiron Verlag danke ich für die unkomplizierte Zusammenarbeit. HEINRICH BESSLER, mit dem mich eine lange Freundschaft verbindet, danke ich herzlich für seine beständige Ermunterung zur astrologischen Forschung. Vor allem über das Weltbild, das der Astrologie zugrundeliegt, habe ich viel von ihm gelernt.

      Die Primärdirektionen bilden eine wichtige Prognosetechnik der klassischen Astrologie. Der Name geht auf PLACIDUS DE TITIS (1603 – 1688) zurück ([PI]), der sie von den von ihm propagierten Sekundärdirektionen unterscheiden wollte. Vorher hießen sie einfach Direktionen. Sie wurden bereits in der hellenistischen Astrologie verwendet ([WK1]).

      Bei den meisten Systemen, die heute als Primärdirektionen bezeichnet werden, wird die zeitliche Veränderung des Horoskops im Zeitraum von einigen Stunden vor und nach der Geburt untersucht.3 Dabei geschieht es, daß ein Horoskopfaktor eine Stellung im Verhältnis zu Meridian und Horizont einnimmt, die bei der Geburt ein anderer Horoskopfaktor innehatte – er erreicht dessen mundane Position. Der Zeitraum, bis dies eintritt, wird mit einem Proportionalitätsfaktor, dem Direktionsschlüssel, in ein Lebensalter des Geborenen verwandelt. Man erwartet, daß in diesem Lebensalter ein Ereignis ausgelöst wird, das den Charakter der beiden in Kontakt tretenden Horoskopfaktoren hat.

      Nach der Geburt stattfindende Direktionen heißen direkt, die anderen convers. Nicht alle Autoren sind sich einig darüber, ob die conversen Direktionen zu berücksichtigen sind.

      Es gibt besonders zwei unklare Punkte in der Direktionslehre: Die Messung der mundanen Position (siehe Kapitel 4) und die Definition des Direktionsschlüssels (siehe Abschnitt 2.4).4 Analogieschlüsse, Einfühlung in die Himmelsvorgänge und empirische Studien können helfen, hier den richtigen Weg zu finden. Man muß aber akzeptieren, daß verschiedene Astrologen hier zu verschiedenen Ergebnissen kommen.

      Für fast alle astrologischen Anwendungen – ausgenommen die Solarhoroskope – genügt eine Genauigkeit von etwa ±3 Bogenminuten für die Planeten und ±30 Bogenminuten für die Achsen, also von etwa zwei Minuten in der Geburtszeit. Davon machen auch die Primärdirektionen keine Ausnahme.

      Bei dieser Genauigkeit in der Geburtszeit erhält man für primäre Achsendirektionen eine Genauigkeit in der Ereigniszeit von etwa einem halben Jahr – nach Ansicht vieler Astrologen ohnehin das Optimum, das mit Direktionsberechnungen erreicht werden kann: Der Umkreis, in dem eine Direktion als gültig angesehen wird, beträgt etwa 1 Jahr.

      Die interplanetaren Primärdirektionen sind um ein Vielfaches unempfindlicher gegen Änderungen der Geburtszeit. Ein viertelstündiger Fehler in der Geburtszeit wird die Auslösungszeit einer interplanetaren Primärdirektion durchschnittlich meist um weniger als ein Jahr verändern.

      Wer ein Ereignis zeitlich genauer fixieren will, muß verschiedene andere Verfahren zu Hilfe nehmen, insbesondere Transite


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