Der Welt-Geist. Roger D. Nelson
als Beispiel dafür, dass Erscheinungen auftreten, die nicht erklärbar sind. Das bedeutet, dass wir vieles mit unserem menschlichen Verstand nicht erklären können, weil uns schlicht die Fähigkeit dazu fehlt. Anderseits entdecken und erfahren wir laufend Dinge, von denen wir angenommen haben, dass sie unmöglich zu verstehen sind. Oft erfordern sie nur mehr Zeit und geduldige Mühe. Die Werkzeuge der Wissenschaft sind unglaublich machtvoll, wenn wir sie klug und vernünftig anwenden und aus Fehlern ebenso lernen wie aus Erfolgen.
Die unsichtbare Welt, die wir nicht kennen
Der deutsche Neurophysiologe Wolf Singer, in seinem Metier ein weltweit anerkannter Vordenker, der die Abteilung für Neurophysiologie am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main leitete, ist der Meinung, dass sich unserem Gehirn, unserem Bewusstsein und unserem Geist nur ein ganz kleines Segment der Wirklichkeit erschließt. Der wesentlich größere Teil bleibt uns verborgen, weil unser Gehirn nicht dafür ausgelegt ist, das gesamte Universum zu verstehen. Und auch die spekulative Physik des 20. Jahrhunderts zeigte, dass wir mit unserem Gehirn die Wirklichkeit nicht zur Gänze erfassen, sondern uns ihr nur fragmentarisch annähern können.
Es gibt zwei leicht verständliche Beispiele dafür: einerseits im Makrokosmos die Lichtgeschwindigkeit. Die Lichtgeschwindigkeit ist nicht nur eine physikalische Größe, sondern letztendlich fast schon eine philosophische Konstante. Denn wie soll man sich vorstellen, dass es bei Lichtgeschwindigkeit keine Zeit mehr gibt? Es ist nahezu unmöglich, aber existent und kann mathematisch berechnet werden. Doch wir können es mit unserem menschlichen Erkenntnishorizont nicht verstehen.
Im Mikrokosmos ist es die Verschränkung von Teilchen, wie die Quantenphysik zeigt. Auch das ist berechenbar, zum Teil auch im Experiment nachweisbar, aber für uns letztendlich nicht vorstellbar.
Das sind eindeutige Hinweise, die uns zeigen, wie begrenzt unser Verstand ist. Lange Zeit ist die Wissenschaft in Versuchung gewesen – und teilweise auch dieser Versuchung erlegen – zu sagen: Jenseits unseres Erkenntnishorizontes ist nichts mehr. Doch das ist mit Sicherheit falsch.
Was wissen wir wirklich von der realen Welt? Und ist sie überhaupt real?
Drehen wir das Rad der Zeit um nur rund 300 Jahre zurück. In Europa herrschte der Absolutismus, der Adel ließ sich prachtvolle Schlösser bauen, der Spätbarock hatte seine Hochblüte. Joseph II. herrschte in Österreich und wurde zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt, die Aufklärung nahm ihren Lauf, die Industrielle Revolution begann.
James Watt baute die ersten Dampfmaschinen, in London entwickelte sich eine florierende Wertpapierbörse. Wie weit war die Wissenschaft, die Forschung vor nur 300 Jahren? Was wäre passiert, wenn ein Wissenschaftler damals gesagt hätte: Wir werden zum Mond fliegen, in 80-stöckigen Hochhäusern wohnen, Atomkraftwerke bauen, 80 bis 100 Jahre alt werden – damals starb man mit durchschnittlich 40 Jahren –, mit Flugzeugen durch die Luft fliegen, mit Autos auf Straßen rasen und uns gegenseitig mit Nuklearwaffen bedrohen?
Man hätte ihn für verrückt erklärt, selbst wenn er in solchen Bereichen geforscht oder erste wissenschaftliche Experimente unternommen hätte. Heute sind diese Errungenschaften und das Wissen, das wir uns dazu angeeignet haben, normal und Teil unseres Lebens.
Wie oft wurden Wissenschaftler belächelt, ignoriert oder attackiert, weil sie sich Phänomenen widmeten, die zu ihren Lebzeiten keiner wahrhaben oder glauben wollte? Ignaz Semmelweis war ein brillanter Mediziner, und er machte eine simple Entdeckung: Wenn sich ein Arzt vor und nach einer Operation beziehungsweise bevor er einen Patienten berührt die Hände wäscht, sinkt die Sterblichkeitsrate seiner Patienten massiv. Semmelweis’ 1848 beendete Studie über Hygiene gilt bis heute als Meilenstein der evidenzbasierten Medizin. Doch was passierte damals? Seine Kollegen lehnten sie als »Unfug« strikt ab. Hygiene galt als Zeitverschwendung und als unvereinbar mit den damaligen Prinzipien über die Behandlung von Krankheiten. Semmelweis starb 1865 in der Psychiatrie in Wien, erst Jahre später wurden seine Erkenntnisse zum weltweiten Medizinstandard.
Die gesamte Geschichte der Menschheit ist geprägt von Ignoranz gegenüber neuen Phänomenen und Erkenntnissen, aber auch schlicht gegenüber der Tatsache, dass wir zu keinem Zeitpunkt am Ende unseres Erkenntnishorizonts angelangt sind – weder heute noch morgen noch in zehn, fünfzig oder hundert Jahren.
Vor dreißig Jahren haben wir uns Faxe geschrieben: Briefe, die man in Geräte steckte, die über die Telefonleitung versandt und bei einem Empfänger ausgedruckt werden konnten, wobei die Übertragung einer einzelnen Seite schon mal eine Minute dauern konnte. Heute haben wir E-Mails und können gigantische Datenvolumen in Sekunden rund um den Erdball senden. Wir sprechen hier von einer Entwicklung innerhalb von gerade mal drei Jahrzehnten, nicht von hunderten von Jahren.
Das Einssein als Teil der natürlichen Ordnung
Wenn wir also heute noch nicht verstehen, wie Menschen miteinander verbunden sind, so heißt dies noch lange nicht, dass es keine Tatsache sein kann, die die Wissenschaft vielleicht erst in Jahrzehnten oder auch nie erklären wird können.
Viele alte Traditionen haben ein Konzept der Verbindung und des Teilens als natürliche Ordnung. Wir sprechen dabei vom Einssein, Oneness, und in einem gewissen Sinn ist das die Basis für die meisten Religionen und spirituellen Lehren. Der Ansatz ist, dass obwohl wir die meiste Zeit als Individuen agieren, wir nicht wirklich von anderen Menschen und Kulturen oder auch unseren Nachbarn getrennt sind. Wir sind vielmehr Teil einer großen Gemeinschaft.
Damit ist nicht physische Nähe gemeint. Es umfasst ein gemeinsames Verständnis, die tiefe Form einer evolutionären Basis in uns, die wir nicht direkt wahrnehmen, aber die uns in bestimmte Richtungen lenkt. Was noch wichtiger ist: Diese tiefe Basis existiert in uns, doch sie scheint nichts mit unserem Körper oder unseren Zellen zu tun zu haben, sondern mit den Mustern und Strukturen unseres Geistes.
Die Matrix zwischen uns Menschen
Mit dem Global Consciousness Project erforschen wir Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen Menschen, eine scheinbar unmerkliche Matrix, ein globales Bewusstsein, entstanden aus unseren Interaktionen, so wie das Denken aus der Interaktion von Neuronen in unserem Gehirn entsteht. Ein vereintes Bewusstsein, das durch uns alle entsteht. Diese Idee stammt nicht von mir, sondern kann in fast allen Kulturen, beginnend in der Antike bis zur Gegenwart, zurückverfolgt werden. Naturgeister, Götter, spirituelle Führer, die von Schamanen angerufen werden, all diese entspringen Strukturen, die wir nicht sehen können, aber unsere Intuition lässt uns erkennen, dass es sie gibt und dass sie Teil unserer Welt sind.
Der Mensch betet zum Beispiel seit dem Anbeginn seines Bewusstseins, und das tut er aus gutem Grund, wie Sie später noch im Detail erfahren werden. Auch nach Jahrtausenden gehört dieses Ritual zum menschlichen Leben, und wir beten heute noch immer so wie vor tausenden von Jahren. Der Mensch ist ein praktisch veranlagtes Wesen, das in der Menschheitsgeschichte sehr erfolgreich darin war, die nützlichen Verhaltensmuster beizubehalten und die unnützen zu verwerfen, wenn auch manchmal sehr langsam.
Betrachten wir die Geschichte der Menschheit, so ist es faszinierend zu beobachten, wie sich völlig unabhängig voneinander auf unserem Erdball Kulturen entwickelt haben, die fast idente Formen des Zusammenlebens, aber auch idente Rituale hatten, obwohl sie niemals Kontakt zueinander hatten, weil die räumliche Entfernung schlicht zu groß war und es damals auch keine entsprechenden Kommunikationsmittel gab.
Wenn sich also der Mensch über Jahrhunderte und Jahrtausende dazu entschlossen hat, zu beten oder sein spirituelles Verständnis beizubehalten, so hat das eine tiefere Bedeutung. Es weist darauf hin, dass wir eine Chance haben Wege zu finden, das nicht physische Wesen des Menschen, das wir als Geist und Seele bezeichnen, zu erforschen und zu dokumentieren. Dieses Gebiet der Forschung ist kein einfaches. Wir müssen bereit sein, bestehende Grenzen unseres Intellekts zu überschreiten und die physische Welt zumindest gedanklich hinter uns zu lassen. In Princeton bedienten wir uns dazu wissenschaftlicher Instrumente, Methoden und Verfahren, die neuartig waren. Sie machen den Unterschied zwischen Vermutungen und Beweisen aus und sie ermöglichten