Mündliche, schriftliche und theatrale Wege der Praxisreflexion (E-Book). Corinne Wyss

Mündliche, schriftliche und theatrale Wege der Praxisreflexion (E-Book) - Corinne Wyss


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unbestrittenes Grundkonzept. Dazu wird sie als Bedingung für lebenslanges, berufsbezogenes Lernen angesehen. Generell gilt eine «reflektierte Praxis» in der Ausbildung für (sozial-)pädagogische Berufe daher mittlerweile sowohl als Weg wie auch als Ziel und wird folglich in den jeweiligen Curricula in unterschiedlichen Zusammenhängen als anzustrebendes Bildungsziel formuliert. Auch in der Weiterbildung stellt sie eine zentrale, nicht wegzudenkende Säule dar. Reflexivität, hier kurz gefasst als das Zusammenspiel von Reflexionsbereitschaft und Reflexionsfähigkeit, gilt gemeinhin als Schlüsselkompetenz für diese Berufsgruppen und fungiert damit als unentbehrliches Richtmaß pädagogischer Professionalität. Im Bereich der Lehramtsstudien wird dabei etwa nicht nur eine abstrakt-intellektuelle Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten von Schule und Unterricht sowie mit den vielfältigen Dimensionen und Prozessen des Lehrens und Lernens angestrebt. Ziel ist es, ein Verständnis für die vielfältigen Dimensionen und Prozesse des Lehrens und Lernens aufzubauen. Dabei spielen die Nachvollziehbarkeit praktisch-pädagogischer Handlungsvollzüge und eine Vergrößerung des eigenen Handlungsrepertoires eine beträchtliche Rolle:

      Gradmesser der professionellen Qualifikation ist die Fähigkeit, schulisches Geschehen allgemein sowie die eigene schulpraktische Erfahrung zu reflektieren, sie – teils mit wissenschaftlich geschärften Denkinstrumenten – zu analysieren, und das gekoppelt mit der Fähigkeit, gewonnene Erkenntnisse in ein nachhaltig wirksames Handlungswissen umzusetzen. (Reusser, Wyss 2000, S. 9)

      Im Kontext der Ausbildung zielen Praxisreflexionen auf der einen Seite also auf ein Hinterfragen des Verhältnisses von Theorie und Praxis sowie auf eine Fokussierung auf die verschiedenen Wissensarten, auf die Anpassung an Traditionen und Erwartungen der Praxisgemeinschaft usw. ab. Auf der anderen Seite sollen eigene Erfahrungen, Wahrnehmungen, Vorannahmen und Haltungen, die das pädagogische Handeln beeinflussen, schon während des Studiums bewusst gemacht werden. Durch eine systematische und durch die Ausbildungsinstitution mit richtungslenkenden Impulsen angereicherte Reflexion – so die allgemeine Annahme – sollen wichtige Denk- und Lernprozesse angeregt werden, die die persönliche sowie professionelle Weiterentwicklung unterstützen können.

      Die vier Autorinnen dieses Buches, die sich alle nicht nur als Bildungswissenschaftlerinnen, sondern auch als Lehrerinnen- und Lehrerbildnerinnen verstehen, widmeten sich im Zuge eines interinstitutionellen Fachaustausches gemeinsam der Frage nach traditionellen und neu entwickelten Ansätzen bzw. Formaten einer solchen Praxis des Reflektierens im Rahmen der Lehramtsausbildung. Ausgehend von eigenen langjährigen praktischen Erfahrungen in schulpraktikumsbegleitenden Lehrveranstaltungen an unterschiedlichen schweizerischen und österreichischen Institutionen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie von eigenen einschlägigen Forschungsarbeiten galt es, die Eigenarten unterschiedlicher Zugänge herauszuarbeiten. (Insofern beziehen sich die Beiträge dieser Publikation in erster Linie auf das Lehramtsstudium, können aber relativ leicht auch auf andere ähnlich gelagerte Ausbildungen bezogen werden.) Dass diese gemeinsame ‹Reflexion des Reflektierens› von Personen mit unterschiedlicher institutioneller Anbindung (Universität Innsbruck, Universität Wien, Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems und Pädagogische Hochschule Zürich) und daher auch mit dem Wissen von je eigenen Traditionen und Vollzugspraktiken im Bereich der Schulpraktika unternommen wurde, machte das Vorhaben in besonderer Weise interessant und anregend. Die teils unterschiedlichen, oft aber auch sehr ähnlichen Erfahrungen konnten so als Ausgangspunkt für die gemeinsame Weiterentwicklung von Denkansätzen und praktischen Konzepten herangezogen werden.

      Ein Aspekt trat bei der über mehrere Monate geführten Diskussion dabei wiederkehrend als sozusagen negativer Orientierungsrahmen in Erscheinung: Die sich wiederholende Erfahrung, dass einige Studierende das Reflektieren ihrer Praktikumserfahrungen bisweilen als Last empfinden, der sie wenig Sinn zusprechen können. Sie betrachten das Reflektieren als reine Pflicht, die im Rahmen des Studiums eben notgedrungen ‹irgendwie› zu erfüllen ist. Der im Beisein von Hochschullehrenden zwar selten so unverblümt, aber in informellen Kontexten dennoch wiederholt geäußerte studentische Ausspruch «Müssen wir schon wieder reflektieren?» ist dabei nicht nur den Autorinnen vertraut, sondern auch anderen praktikumsbetreuenden oder -begleitenden Hochschullehrkräften, wie in zahlreichen Fachgesprächen mit Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland festgestellt werden konnte. Als ‹Begleiterscheinung› dazu wird die oftmals mangelnde Qualität der Reflexionsgespräche und Reflexionsberichte moniert. Reflexionsangebote und -aufträge scheinen also nicht immer das zu bringen, was man sich von ihnen verspricht. Dass sie nicht einfach als Selbstläufer funktionieren, sondern vielmehr eines sensiblen und wohl bedachten Umgangs bedürfen, hängt in wesentlichen Grundzügen auch mit ihrer systemischen Einbettung zusammen, wie Gillie Bolton (2006, S.1) eindringlich mahnt: «Most training and post-experience courses include elements of reflective practice; the danger lies in undertaking it because it is just the thing to do. Such an attitude cannot support reflection and reflexivity. The paradox is that reflective practice is required by the masters, by the system.» Das Vorhaben der Autorinnen dieses Buches kann durchaus im Lichte dieser kritischen Einschätzung gesehen werden.

      Wie kann das ‹Wundermittel Reflexion› im Rahmen des Studiums für angehende Lehrpersonen nun also möglichst optimal eingebracht werden? Auch die vorliegende Publikation kann dafür keine Patentrezepte liefern, weil es diese schlichtweg nicht gibt. Die Autorinnen verfolgen in ihren Beiträgen jedoch das Ziel, das Reflektieren von Praktikumserfahrungen auf zwei Ebenen zu erschließen, um für die Leserinnen und Leser damit weitere Anschlussmöglichkeiten zu eröffnen: Sie stellen auf der einen Seite praktische Ansätze vor bzw. diskutieren deren Einsatz in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, widmen sich aber auf der anderen Seite ebenso systematisch dem Verständnis von Reflexion und den damit zusammenhängenden relevanten Grundbegriffen. Diese Begriffsarbeit erachten wir nicht nur im Sinne einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern auch für die konkrete Arbeit in Lehrveranstaltungen als essenziell, denn wenn wir von Studierenden erwarten, dass sie ‹reflektieren›, müssen wir eine genaue Vorstellung haben, was wir mit diesem vielschichtigen, und vielleicht auch schillernden, Begriff überhaupt meinen. Denn die institutionelle Verankerung von reflexivem Denken im Rahmen pädagogischer Professionalität kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier mit einem Grundbegriff zu tun haben, der vor allem als Leitkategorie für soziale Praktiken alles andere als geklärt ist. Vielmehr ist nach den diskursiven Kontexten zu fragen, in die er eingebettet ist und die seine Gebrauchsweise prägen. Der zur Tradition gewordene Reflexionsbegriff scheint im pädagogischen Kanon sehr heterogen verwendet zu werden oder mitunter auch nur mit vagen Vorstellungen darüber verbunden zu sein, was unter Reflexion genau verstanden wird. (vgl. Herzog 1995, S.253 f.). Dies wäre an sich nicht problematisch, denn ein soziales Konzept wie das des reflektierenden Denkens kann nie abgekoppelt von seiner konkreten Einbettung gesehen werden. Seine Bedeutung muss folglich aus einer Kontextualisierung seines Gebrauchs gewonnen werden. Wir sehen dieses Buch also auch als Impuls an Ausbildende, die Reflexionspraxis im Studium mit einer Auseinandersetzung mit dem (institutions-)eigenen Verständnis von Reflexion zu beginnen. Denn daraus ergeben sich die feinen Unterschiede, die zum eigenen Umgang in der Ausbildungspraxis führen – etwa die jeweiligen Erwartungen, die an Studierende und an ihre Reflexionstätigkeit gerichtet werden, die Ausrichtung von Lehrveranstaltungskonzeptionen, die konkrete Entwicklung von hochschuldidaktischen Methoden usw.

      Dass genau eine solche Auseinandersetzung mitunter im Alltagsgeschäft von Modulabstimmungen und Lehrveranstaltungsplanungen allerdings oft zu kurz kommt, nahmen die Autorinnen dieses Buches also zum Anlass, sich einerseits theoretisch näher mit dem Thema «Praxisreflexion in pädagogischen Ausbildungen» zu beschäftigen und dieses dann andererseits mit konkreten Umsetzungsmöglichkeiten zu verbinden. Ausgehend von dem Versuch, den Reflexionsbegriff ein Stück weit fassbarer und für die Reflexionsarbeit mit Studierenden damit klarer zu machen, werden daran anschließend in den verschiedenen Beiträgen konkrete Zugänge dargestellt, mit denen das Reflektieren von Praktikumserfahrungen sinnhaft umgesetzt werden kann. Die vorliegende Publikation beleuchtet das Themenfeld Praxisreflexion dabei aus teilweise ähnlichen, manchmal aber auch nicht immer kompatiblen Perspektiven. Die damit entstandene Vielfalt ist beabsichtigt und soll auf die Bandbreite möglicher Denk- und Umsetzungswege hinweisen, die dem umfassenden Thema der Reflexion inhärent ist. In den einzelnen Beiträgen wird der Fokus dabei auf jeweils unterschiedliche Modalitäten der Bearbeitung von Praxiserfahrungen gesetzt: Die Autorinnen diskutieren


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