Schonen schadet. Andreas Müller
ziehen Wolken auf, es beginnt zu regnen, es ist kalt. Scheisswetter halt. Sofort fallen mir eine Menge Gründe ein, weshalb die Idee mit dem Rausgehen vielleicht doch nicht so clever ist. Sie werden untermauert durch mindestens ebenso viele Alternativen, Dinge, die ohnehin dringend noch gemacht werden sollten, also beispielsweise nachschauen, was im Fernsehen kommt oder ob mir jemand eine E-Mail geschickt hat, oder im Internet schauen, wer gestern Abend die Tore geschossen hat. Als Gegenmodell zum Joggen bei schlechtem Wetter eignen sie sich allemal. Sie sind viel bequemer, ich bleibe schön trocken und überhaupt …
Doch dann gebe ich mir einen Tritt in den Hintern, rede mir ein, dass es kein schlechtes Wetter gibt, sondern nur falsche Kleidung, und mache mich auf. Allein schon dieser Entscheid vermittelt ein gutes Gefühl. Sich überwunden zu haben, sich gedanklich auf die eigene Schulter zu klopfen, sich beim Gutsein zu erwischen, das tut gut.
«Wer sich selber nicht mag», hat Friedrich Nietzsche einst zu bedenken gegeben, «ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen.» Erziehung bedeutet deshalb auch: dafür sorgen, dass Kinder sich mögen. Und wann mögen sie sich? Wenn sie stolz sind auf das, was sie gemacht und geleistet haben. Wenn sie sich kompetent und selbstwirksam erleben. Und das möglichst häufig.
Schonen schadet
Im Wort «Herausforderung» steckt das Wort «Forderung». Wer fördern will – zum Beispiel als Eltern die Kinder –, muss fordern. Dabei darf es aber nicht bleiben. Noch wichtiger ist, dass junge Menschen lernen, sich selbst zu fordern, nicht mit dem erstbesten Ergebnis zufrieden zu sein, die Trainingsvorschläge des Lebens zu nutzen. «Training» steht allgemein für alle Prozesse, die eine Entwicklung verändern. Zunächst verstand man darunter nur die «Abrichtung und Schulung der Pferde». Später wurde der der englischen Sprache entnommene Ausdruck (englisch: to train someone = jemanden erziehen, schulen) auch verwendet für all jene Aktivitäten, die den Menschen darin unterstützen sollen, «besser» zu werden.
SUCCESSFUL PEOPLE FORM THE HABIT OF DOING WHAT FAILURES WON’T DO.
Aufstehen – strukturelles Star tsignal
Morgens aufstehen – regelmässig und rechtzeitig –, das ist guten Gewohnheiten zuträglich. Denn das regelmässige, strukturelle Startsignal bringt zeitliche Ordnung im Leben. Damit verbunden ist die Forderung: Kinder und Jugendliche ja nicht liegen lassen – im wahrsten Sinne des Wortes. Zeit haben heisst, nicht erst auf den letzten Zwick aufzustehen – sondern beispielsweise eine Stunde früher als nötig. Das entschleunigt!
Und übrigens: Es gibt keinen Grund, in den Ferien oder am Wochenende liegen zu bleiben und zu Gammelfleisch zu werden. Im Gegenteil: Es gibt mehrere Gründe, das nicht zu tun. Einer davon heisst: «sozialer Jetlag». Er führt auf Dauer zu Übergewicht, Schlafstörungen und Depressionen. Und Eltern, die das zulassen, machen sich zu Komplizen.
Training wird gedanklich meist mit Sport verbunden. Das ist naheliegend. Wer seinem Körper etwas Gutes tun will, der muss ihn trainieren. Und ebenso naheliegend ist: Es gibt kein bequemes Training. Wer den Bewegungsapparat pflegen will, muss ihn belasten. Er braucht diese Belastung, sonst geht er zugrunde. «Wir sind nun einmal Kinder dieser Erde und brauchen den Widerstand, um zu wachsen. Und wenn der Widerstand weg ist, werden wir schwach, dann lösen sich die Muskeln und die Knochen auf – wie wir es bei den Astronauten ja sehen.» Der dies sagt, ist Werner Kieser, der Erfinder der gleichnamigen Trainingskonzepte.3 Und er stellt fest: «Wir leben im Durchschnitt alle unter dem idealen Kraftmass. Wir sind schwach. Wir haben die Tendenz, uns alles abnehmen zu lassen. (…) Die Muskeln müssen gewartet werden, sonst verkommen sie.» Ein gesellschaftliches Handicap für eine förderliche Entwicklung sieht er in der weit verbreiteten Spasskultur. Und er wünscht sich die Einsicht in die Notwendigkeit, «dass nicht alles Spass machen muss. Das ist selten heutzutage, weil die ganze Gesellschaft verzuckert wird.» Heisst: Man kann sich auch zu Tode schonen. Und was für den Körper gilt, gilt in übertragenem Sinne auch für den Geist. Sich mit Dingen beschäftigen, die sich nicht ins Format einer Soap trivialisieren oder als Selfie verschicken lassen, das lässt sich durchaus mit sportlichen Leistungen vergleichen. Denn auch hier gilt: Es fordert heraus, es gibt zu tun, es kann mühevoll sein, unbequem in Form und Inhalt.
Hier zeigt sich einer der Hauptunterschiede zwischen Menschen: Es gibt jene, die fähig und willens sind, Herausforderungen anzunehmen und sich ihnen zu stellen. Und es gibt die anderen, die gelernt haben, sie zu umgehen und zu meiden.
Und es ergibt sich daraus eine Hauptaufgabe für die Erziehung: Heranwachsende dabei zu unterstützen, mit Widerständen konstruktiv umzugehen – nicht, sie zu umgehen.
Auf Dauer funktioniert das freilich nur dann, wenn sich daraus eine Art Lebenshaltung entwickelt. Sich fit zu fühlen, das ist nicht ein Zustand, sondern eine Einstellung.
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