Rezepte für digitales Lehren und Lernen. Jörg Simmler
Unterricht
4.1Erfahrungen mit Frontalunterricht
Die klassische Methode, um den Lernenden ein Thema näherzubringen, ist Vorzeigen und Erklären.
Dabei wird ein Thema meist über den Beamer erklärt und muss dann durch die Lernenden nachvollzogen werden. Sehr oft unterschätzen die Lehrpersonen die Länge der vorgezeigten Sequenzen. Bereits nach zehn Minuten werden die ersten Lernenden unruhig, nach zwanzig Minuten stören sie, und nach dreissig Minuten muss auch eine routinierte Lehrperson ihren Vortrag abbrechen.
Eine ähnliche und ebenfalls nur bedingt geeignete Alternative besteht darin, am Beamer kurze Sequenzen zu zeigen, die Lernenden das Gezeigte nachmachen zu lassen, dann die nächste Sequenz zu zeigen und wieder nacharbeiten zu lassen. Schon nach der ersten Sequenz sind in einer 25er-Klasse fünf Lernende bei einem Problem hängen geblieben oder haben nicht einmal die Rohdatei gefunden. Sie suchen erst bei ihren Sitznachbarinnen oder Sitznachbarn Hilfe und bitten dann die Lehrperson um Unterstützung. Die Lehrperson eilt also zum Arbeitsplatz hin oder unterstützt über den Videoverbund. Schwache Lernende trauen sich bald nicht mehr zu fragen, und die guten Lernenden langweilen sich. Nach kurzer Zeit entstehen wiederum Unruhe und Hektik, es kommt zu Störungen und disziplinarischen Problemen.
Der Grund ist, dass vielen Lernenden der Stoff schon bekannt ist und sie gleich die Übung lösen möchten. Ein anderer Teil der Klasse hat für das neue Thema noch keine Anknüpfungspunkte und ist überfordert. Vielleicht stimmt unser Vorgehen für die übrigen Lernenden, wobei das Thema dann womöglich noch zu schnell oder zu langsam präsentiert wird.
Falls die Bildschirme für die Präsentation nicht gesperrt wurden oder die Lernenden die Notebooks nicht schliessen mussten, sind nach kurzer Zeit die ersten Lernenden am Surfen oder Chatten. Sie sind stark abgelenkt, aber selbst der Meinung, alles Gezeigte mitzubekommen. Sobald ihnen eine Aufgabe gestellt wird, sind sie die Ersten, die fragen, was jetzt zu tun sei, weil sie die Anweisung nicht richtig mitbekommen haben.
4.2Kompetenzorientiertes Unterrichten nach AVIVA 3
Wir brauchen also einen Unterricht, der weder über- noch unterfordert und der dabei spannend und anspruchsvoll ist. Wo immer möglich, unterrichten wir deshalb kompetenzorientiert und binnendifferenziert. Das AVIVA-Modell ermöglicht einen strukturierten Aufbau, in dem die Phasen des Unterrichts aufeinander abgestimmt werden. AVIVA steht für fünf Phasen des Unterrichts: A steht für «Ankommen und einstimmen», V für «Vorwissen aktivieren», I für «Informieren», V für «Verarbeiten» und schliesslich A für «Auswerten». Die ersten beiden Phasen werden im Folgenden verknüpft und in einem Abschnitt abgehandelt, ebenso die Phasen 3, 4 und 5, Informieren, Verarbeiten und Auswerten.
4.2.1Ankommen und Vorwissen aktivieren – sinnvolles Vorzeigen
In der Anfangsphase des Unterrichts ist es manchmal sinnvoll, neue Themen mit einer Präsentation vorzustellen. Dafür nutzen Sie mit Vorteil den Videoverbund. Da die Lernenden Ihre Informationen an ihren Bildschirmen sehen, haben Sie ihre volle Aufmerksamkeit. Wenn im Unterrichtsraum kein Videoverbund verfügbar ist, fordern Sie die Lernenden auf, die Notebooks zu schliessen oder die Bildschirme auszuschalten.
Nun stellen Sie die Lernziele und das Programm des aktuellen Unterrichts vor. Sie aktivieren allenfalls gemeinsam mit den Lernenden das Vorwissen. In der Reaktivierungsphase sind schüleraktive Methoden wie Blitzlicht, Brainstorming, Themenvorschau, Fragen notieren, Begriffe sortieren oder Interview oft die bessere Wahl. Dabei verknüpfen sie die Methoden- mit den Fachkompetenzen. Ideen dazu finden Sie in der Methodensammlung im Anhang.
In diesen beiden Unterrichtsphasen geben Sie den Lernenden eine Übersicht und Grobanleitung zum kommenden Thema. Dabei achten Sie darauf, dass Ihr Input nicht länger als zehn bis fünfzehn Minuten dauert. Die weiteren Lernschritte machen die Auszubildenden selbstgesteuert.
4.2.2Informieren und Verarbeiten
Die Lernenden bekommen nun von Ihnen einen schriftlichen Lernauftrag, der aufzeigt, welche Theorieunterlagen wo zu finden und welche Übungen oder Arbeiten zu erledigen sind. Es gibt vielseitige Möglichkeiten, solche Anweisungen zu erstellen. Nutzen Sie die Alternativen zum gedruckten Auftrag, welche die Informatikmittel bieten:
→Word- oder PDF-Datei mit den Angaben
→Arbeitsauftrag über die Lernplattform
→OneNote-Checkliste
→Prezi
→PowerPoint
→MindMap
→Kompetenzenraster
Achten Sie darauf, dass Ihr Lernauftrag die folgenden Elemente beinhaltet:
→Vorentlastung: Worum geht es, was sollen die Lernenden tun, was ist das Ziel dieser Aufgabe?
→Detaillierte Anleitung:
–Wo finden sie die notwendige Theorie?
–Welche Übungen müssen von allen gelöst werden?
–Welche Vertiefungsübungen sind zu erarbeiten?
–Welche Aufträge lösen schnelle Lernende? Vertiefungsaufgabe, Zusatztheorie, nächstes Thema usw.
→Sozialform: Einzel- oder Gruppenarbeit?
→Zeit
→Auswertung
Abbildung 1: Beispiel einer Lernaufgabe
Solche Lernaufgaben ermöglichen es den Auszubildenden, den Auftrag im eigenen Tempo durchzuarbeiten. Sie erweitern diese Arbeitsweise, indem Sie den Lernenden zu Beginn des Unterrichts ein Leitprogramm mit der detaillierten Tagesplanung abgeben und diese mit ihnen besprechen. Eine solche Detailplanung zeigt den Tagesablauf und beschreibt die Theorien, Filme, Medien und Übungen, die die Lernenden zu berücksichtigen haben, um die verlangten Kompetenzen aufzubauen.
Informationen beschaffen
Fürs Lösen einer Aufgabe benötigen die Lernenden Grundlagen und theoretische Kenntnisse. Um den unterschiedlichen Wissensniveaus gerecht zu werden, lassen wir sie ihr Wissen selbst erarbeiten. Dazu erteilen Sie ihnen eine Aufgabe, welche die gesuchten Probleme enthält und die Quellen für die theoretischen Grundlagen nennt: Kapitel im Lehrmittel, Videos, Weblinks oder anderes Material.
Mögliche Methoden sind Leittexte, WebQuests, Werkstattarbeiten.
Zur Schulung von Informatikthemen eignen sich passende Lernvideos hervorragend. Grundsätzlich entspricht dieses Vorgehen dem Vorzeigen durch die Lehrperson. Da die Lernenden ihr Tempo aber selbst wählen, die Filme mehrfach anschauen können, nach Belieben stoppen und weiterlaufen lassen und daneben Notizen und Übungen machen, ist der Lernerfolg bedeutend höher. Die Lernenden bedienen sich dabei unterschiedlicher Strategien:
→Lernende mit fundiertem Vorwissen überspringen die Informationsfilme oft und lösen selbstständig die Übungen.
→Die meisten schauen sich die Lernvideos an und lösen dann die Übung.
→Schwächere Lernende lösen die Übungen, indem sie die Videos ein zweites Mal starten, sequenzweise stoppen und die passenden Übungsteile lösen.
Die Lernenden entscheiden selbst, wie sie vorgehen wollen. Zusätzlich zu den Filmen nennen Sie die entsprechenden Theorieteile im Lehrmittel oder im Begleitbuch. Einige Lernende lesen die Themen gerne nach. Da in IKA-Open-Book-Prüfungen nur Unterlagen in schriftlicher Form erlaubt sind, ist es wichtig, dass die Lernenden den Umgang mit schriftlichen Unterlagen und ihren eigenen Notizen üben.
Verarbeiten
Nach der Wissensaufnahme wird das gelernte Thema mit einer Übung vertieft. Bei Informatikthemen geschieht dies meist mit einer kurzen