Einsame Klasse. Felix Lill

Einsame Klasse - Felix Lill


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      Felix Lill:

      Einsame Klasse

      Alle Rechte vorbehalten

      ©2017 edition a, Wien

      www.edition-a.at

      Cover: JaeHee Lee

      Gestaltung: Lucas Reisigl

      ISBN 978-3-99001-258-1

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

      Brockhaus Commission, Kornwestheim

       www.brocom.de

      Für Claus, Catja, Rut und Willy.

      Die Namen der in diesem Buch erwähnten Personen,

      die nicht in der Öffentlichkeit stehen,

      wurden verfälscht.

      INHALT

       AUF TOKIO!

       EINE STADT AUF ENTZUG?

       BLOSS KEINE LIEBE

       BIN ICH EIN LOSER?

       GLAUBST DU NICHT DRAN?

       EINSAME KLASSE

       UND WAS IST MIT KINDERN?

       ZU SCHÖN, UM WAHR ZU SEIN

      AUF TOKIO!

      Zärtlich streichelte der Anzugträger neben mir das virtuelle Gesicht auf seiner Handkonsole. Im ersten Moment nach dem Aufwachen im nächtlich abgedunkelten Flugzeug war ich nicht sicher, ob meine Wahrnehmung voll funktionsfähig war. Meine Neugier war immerhin soweit von journalistischer Professionalität gezähmt, dass ich dem Impuls widerstand, meinen Kopf auffällig nach rechts zu drehen. Auch aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, was sich da am Fensterplatz abspielte. Der Bildschirm zeigte eindeutig ein virtuelles Gesicht, eine virtuelle junge Frau. Wie in einem Manga bildeten sich in ihren großen Augen gerade glitzernde Tränen. Dazu strahlte sie vor Glück. Und er? Managertyp, groß gewachsen, Nadelstreifen, teure Armbanduhr, dezente Krawatte, mit der Körpersprache eines Alpha-Tieres. Er strahlte ebenfalls. Zeitgleich mit ihr schien auch er den Tränen nahe. Und mir lief ein Schauer über den Rücken. Hätte Lena an meiner anderen Seite nicht geschlafen, ich hätte sie jetzt an mich drücken wollen. Das, was ich da zu meiner Rechten beobachtete, war zweifellos eine Liebesszene. Allerdings eine, wie ich sie noch nie gesehen hatte. In ihrer Intensität schön, mutete sie mich absurd an, fast traurig. Weil da nur ein virtuelles Gegenüber war. Was er voller Zuwendung murmelte, konnte ich nicht verstehen. Abgesehen vom Lärm der Turbinen hätten dafür die paar Sätze Japanisch, die ich mir vor diesem Abenteuer eilig angeeignet hatte, bestimmt nicht ausgereicht. Dass der Mann neben mir Japaner war, wusste ich auch nur, weil ich beim Check-in seinen Pass gesehen hatte. Wir waren auf dem Weg nach Dubai. Dort ein paar Stunden Aufenthalt, dann weiter nach Tokio. Gut möglich, dass er den selben Weg hatte.

      Jetzt hatte er offenbar bemerkt, dass ich nicht mehr schlief, sondern ihn beobachtete, denn er drehte sich so weit mit dem Rücken zum Fenster, dass ich seinen Bildschirm nicht mehr sehen konnte.

      Peinlich ertappt, bemühte ich mich um ein freundliches Lächeln und ein entschuldigendes Achselzucken.

      Er jedoch blickte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Streng, weil ich in seine Privatsphäre eingedrungen war. Skeptisch, weil meine Gesten mein Unbehagen bestimmt nicht verbergen konnten. Schließlich rückte er sein Gesicht zu einem selbstsicheren, keineswegs verteidigenden Lächeln zurecht, beugte sich zu mir und deutete auf sein Gerät: »This is the future of love«, sagte er in akzentfreiem Englisch.

      I hope not, hätte ich ihm gerne entgegnet, beließ es jedoch bei einem weiteren Achselzucken, zumal Lena bei ihrem leichten Schlaf bestimmt aufgewacht wäre, hätte ich ein Gespräch begonnen, wie ich es jetzt eigentlich gleich führen wollte.

      Mein Sitznachbar zog sich wieder zurück und ich schaute demonstrativ in die andere Richtung. Das sollte die Zukunft der Liebe sein? Zu wenig, tatsächlich fast nichts, wusste ich über die japanische Art zu kommunizieren, sodass ich Klamauk von Ernsthaftigkeit nicht unterscheiden konnte. Hatte ich hier gerade einen Witz gehört oder eine Prognose? Dass interkulturelle Missverständnisse vorprogrammiert waren und ich mich vor einem exotistischen Blick hüten musste, war mir bewusst gewesen. Umso mehr irritierte mich meine eigene Irritation. Gleichzeitig fand ich es spannend, irritiert worden zu sein und dankte meinem Sitznachbarn dafür im Geiste. In den unendlichen Weiten des Flughafens von Dubai verlor ich ihn aus den Augen.

      Bald hatten wir unser nächstes Gate und zwei Sitzplätze davor gefunden. Nachdem wir unsere Jacken zwischen Rücken und Wartebank gestopft hatten, um ein bisschen bequemer zu sitzen, nickte Lena gleich wieder ein. Um uns herum parkten Reisende ihre Koffer, schliefen auf Liegen, hielten sich mit Kaffee wach, sahen Filme auf ihren Laptops, mit Kopfhörern im Ohr. Der rauschende Flughafenlärm legte sich betäubend über die Nachtmüdigkeit in der Halle.

      Ich war gerade ebenfalls am Wegdämmern, da piepte es aus Lenas Handtasche.

      Mit unwillig verzogenen Mundwinkeln und noch geschlossenen Augen kramte sie nach ihrem Handy. Als sie es schließlich gefunden hatte, konnte ich beobachten, wie ihre Augen groß und rund wurden. »Oh Gott, Babe!«

      Da sie mich so nannte, konnte nur eine kleine Tragödie passiert sein. Babe, das war ich. Das Schweinchen namens Babe. Vom ersten Moment an, als der Name noch ein Witz gewesen war, kam er mir, und ihr, bescheuert vor. Fünf Jahre lag das zurück. Nachdem ich ein ganzes Jahr lang in jeder Ecke ihre Liebe gesucht hatte, fand sie schließlich meine. Endlich mussten wir nicht mehr bloß als Freunde scherzen, sondern konnten uns dabei küssen, den Mund mit der Hand zukleben, uns danach umarmen. Unter solchen Umständen Babe genannt zu werden, konnte ich ertragen. Lena machte sich damit über all die anderen Pärchen lustig, in deren Beziehung einer zum handzahmen Kater oder braven Schoßhündchen verklärt wurde. Wir waren natürlich anders. Der Witz, mich zum Schweinchen zu machen, gefiel ihr so gut, dass sie ihn ständig wiederholte, bis es irgendwann kein Witz mehr war und ich wirklich Babe hieß. Was erträgt man nicht alles an einem Menschen, den man liebt. Ich konnte mich nicht beschweren. Lena wäre gut ohne meine Klapse auf ihren Hintern ausgekommen, von denen sie die meisten zu spüren bekam, wenn sie nichts erwartete. Sie hätte auch darauf verzichten können, dass ich manchmal mit ihr sprach, als wäre sie mein Mannschaftskollege. Namen wie Manndecker oder Schwalbenkönig kamen nicht gut an. »Ich bin nicht dein Fußballkumpel«, schnitt sie mich mit einem zurechtweisenden Blick, der nicht einmal meinen Augen galt, sondern meiner Stirn oder meinem Haaransatz. Manchmal konterte sie auch: »Auf’m Platz würd ich dich eh nie anspielen.«

      Aber jetzt zog Lena diese andere Grimasse, die mahnende. Babe musste zuhören. »Anna und Jan haben sich getrennt.«

      Der Schreck, den sie so lange in ihren Augen hielt, dass er nicht übersehen werden konnte, übertrug sich auch auf mich. Wieder einmal spürte ich den rauen Wind, der in letzter Zeit die Beziehungen unserer Bekannten umzischte.

      »Ich dachte, die heiraten irgendwann«, sagte Lena. Ihre warme Stimme klang so betrübt, dass ich gleich ihre Hand nahm und sie an der Innenseite küsste, wie ich es oft tat. Anna und Jan waren eines dieser Paare, die perfekt wirkten. Von Streit


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