Die Flüchtlinge sind da!. Armin Himmelrath
Bestimmungen zur Schulpflicht und zum Rechtsverhältnis von Schule)
Nordrhein-Westfalen: nach Zuweisung zu einer Gemeinde (§ 34 Schulgesetz)
Rheinland-Pfalz: nach Zuweisung zu einer Gemeinde (§ 56 Schulgesetz in Verbindung mit Verwaltungsvorschrift »Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund«)
Saarland: sofort (§ 30, Abs. 1.1 Schulordnungsgesetz in Verbindung mit der Verordnung zum Unterricht für ausländische Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sowie Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund)
Sachsen: Schulbesuchsrecht nach Stellung eines Asylantrags (§ 26 Schulgesetz in Verbindung mit Verwaltungsvorschrift zum Unterricht für ausländische Schülerinnen und Schüler an den allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Sachsen)
Sachsen-Anhalt: nach Zuweisung zu einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt (§ 36, Abs.1 Schulgesetz in Verbindung mit Runderlass zur Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes Sachsen-Anhalt)
Schleswig-Holstein: sofort (§ 20 Schulgesetz in Verbindung mit § 13 Landesmeldegesetz)
Thüringen: drei Monate nach Ankunft (§ 17 Schulgesetz)
Lange Wartezeiten zwischen der Ankunft in Deutschland und dem ersten Schulbesuch sind umstritten. Michael Becker-Mrotzek, Mitautor einer Studie des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache von »neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen im deutschen Schulsystem«, übt Kritik an den Schulgesetzen, die keinen sofortigen Beginn der Schulpflicht nach der Ankunft vorsehen. »Nach einer Flucht, die oft schon lange gedauert hat, kommt man mit zusätzlichen sechs Monaten ohne Schule in Deutschland schnell auf ein Jahr. Das ist nicht nur vertane Lebenszeit, es ist auch eine Entwöhnung vom Lernen. Die Motivation verpufft oder bleibt ungenutzt. Der Altersabstand zu den Mitschülern mit den gleichen Fertigkeiten wird immer größer« (Sadigh 2015). Eine Lücke, die es zu vermeiden gilt: »Auch wenn in diesem Zeitraum ein Recht auf Schulbesuch besteht, sind die Kinder und Jugendlichen häufig faktisch vom Schulbesuch ausgeschlossen«, kritisiert auch Studien-Mitautorin Mona Massumi die häufigen Verzögerungen. Sie empfiehlt, dass zwischen Ankunft und Schulbesuch nicht mehr als drei Monate liegen sollten (dpa 2015).
Schulbesuchsrecht
Der Begriff Schulbesuchsrecht bedeutet, dass der Zugang zum Schulsystem auf einen entsprechenden Wunsch hin gewährt wird. Es besteht also im Unterschied zur Schulpflicht zwar einerseits keine Garantie dafür, dass alle Kinder und Jugendlichen tatsächlich unterrichtet werden, andererseits können sie jedoch den Schulbesuch hinauszögern, wenn der erzwungene Schulalltag gleich nach der Ankunft eine unzumutbare Belastung für sie darstellen würde. Viele Bundesländer gewähren dieses Schulbesuchsrecht, bevor die Familien in einer Gemeinde untergekommen sind. So steht es den Kindern und Jugendlichen frei, schon von Anfang an zur Schule zu gehen oder sich auf einen späteren Neuanfang nach dem Verlassen der Erstaufnahmeeinrichtung zu konzentrieren. Erst dann ist ein kontinuierlicher Besuch im Klassenverband möglich – und in aller Regel auch verpflichtend.
Ende der Meldepflicht
Der Bundestag hat 2011 die Meldepflicht für Kinder und Jugendliche aufgehoben. Damit sind Schulen als öffentliche Institutionen nicht mehr verpflichtet, nicht registrierte, also illegal in Deutschland lebende Kinder und Jugendliche der Ausländerbehörde zu melden. In der Begründung der Koalitionsparteien heißt es sinngemäß: Um der Zielgruppe die Furcht vor Entdeckung des illegalen Aufenthaltes zu nehmen und den Besuch von öffentlichen Schulen sowie Bildungs- und Erziehungseinrichtungen für sie zu erleichtern, sollen diese öffentlichen Stellen von den bisher uneingeschränkt bestehenden aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten gegenüber Ausländerbehörden ausgenommen werden (Drucksache 17/ 6497 2011).
»Dies ist in der Praxis aber leider noch nicht überall angekommen«, kritisiert die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. An der Universität Bremen wurde deshalb untersucht, ob Kinder und Jugendliche ohne Papiere an öffentlichen Schulen in Deutschland tatsächlich angemeldet werden können oder wodurch dies gegebenenfalls verhindert wird. Dazu befragten die Universitätsmitarbeiter die Verwaltungen von 100 Grundschulen in 22 Groß- und Landeshauptstädten. Die Ergebnisse: In mehr als der Hälfte der Schulen gehörte das Anfordern einer Meldebestätigung zur Routine. Nur in sechs von 100 Fällen wurde darauf hingewiesen, dass eine Einschulung ohne Meldebestätigung möglich ist, auch wenn eine Adresse zur Feststellung des Schuleinzugsbezirks nötig ist. Bei verdeckten Anfragen mit potenziell illegalem Aufenthalt der Kinder und Jugendlichen wurde in 79 Prozent, bei Anfragen mit Offenlegung des illegalen Aufenthalts in 62 Prozent der Antworten kein gangbarer Weg zur Schulanmeldung aufgezeigt. Häufig waren Schulsekretariate unsicher und verwiesen an höherrangige oder spezialisierte Institutionen in der Schuladministration. Auch dort wurde von der Hälfte der Stellen keine positive Aussage zum Schulbesuch getroffen. Die Studie formuliert als Handlungsempfehlung für die Politik und verantwortliche Akteure unter anderem, dass Kultus- und Bildungsministerien in regelmäßigen Abständen alle Schulbehörden über die geltende Rechtslage informieren sollten. Es sei wünschenswert, dass alle Schulen »ihre Handlungen daran ausrichten, dass grundsätzlich jedes Kind einen Anspruch auf Schule hat« (vgl. GEW 2015).
Ende der Schulpflicht
Zugewanderte Kinder und Jugendliche, die in Deutschland vor ihrem 18. Lebensjahr ankommen, haben über die Schulpflicht an einer Regelschule eine gut organisierte und effektive Möglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen sowie sich in den Alltag und die Gesellschaft zu integrieren. Ältere Zugewanderte hingegen müssen oft in den Erstaufnahmeeinrichtungen zwischen Registrierung und Asylantragstellung ausharren. Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive haben allerdings seit November 2015 die Möglichkeit, an einem kostenlosen Integrationskurs sowie Sprachkursen teilzunehmen. Eine gute Bleibeperspektive hatten 2015 Flüchtlinge aus Eritrea, Irak, Iran und Syrien.
Einzig das Bundesland Bayern bietet Jugendlichen ein Berufsschulrecht bis zum 21. Lebensjahr, unter bestimmten Voraussetzungen auch bis zum 25. Lebensjahr. Die Gruppe der 18- bis 25-jährigen Zugewanderten ist laut Statistik die größte: Im Januar und Februar 2016 wurden 25,8 Prozent aller Erstanträge aus dieser Altersgruppe heraus gestellt (Statista 2016). Im gesamten Jahr 2015 waren es ebenfalls rund 25 Prozent (bumf 2016 c). Experten wie der Professor für deutsche Sprache und deren Didaktik, Michael Becker-Mrotzek, oder Matthias Anbuhl, Leiter des Bereichs Bildung im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds, fordern ein bundesweites Berufsschulrecht bis 25 Jahre.
Eine besondere Herausforderung: Deutsch als Zweitsprache
Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern
In den zuständigen Landesministerien, an den Hochschulen und in den Zentren für die Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren in Deutschland wird seit mehreren Jahren verstärkt darüber diskutiert, inwieweit die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern im Hinblick auf ihre zukünftige Arbeit angepasst und reformiert werden muss. Denn es liegt auf der Hand, dass wohl jeder, der heute ein Lehramtsstudium aufnimmt, in seinem Berufsleben mit Schülerinnen und Schülern zu tun haben wird, die auf Migrationserfahrungen zurückblicken. Unter dem Stichwort Diversität zielt diese Debatte darauf ab, Lehrerinnen und Lehrer zu befähigen, mit der zunehmenden Unterschiedlichkeit ihrer Schülerinnen und Schüler umzugehen. Diese Heterogenität ergibt sich aber nicht nur aus der Herkunft der Kinder und Jugendlichen, sondern – Stichwort Inklusion – möglicherweise auch aus unterschiedlichem Unterstützungsbedarf. Oder eben, die große Zahl von zugewanderten Flüchtlingen macht das deutlich, aus einer von Flucht geprägten Lebensgeschichte. »Wenn mir das Konzept von Diversität geläufig ist, ist es mir letztlich egal, ob ein Kind aus einer Gastarbeiterfamilie stammt, behindert oder über das Mittelmeer nach Europa gekommen ist«, sagt eine Berliner Lehrerin. »Entscheidend ist, es in seiner Individualität