Mehrsprachigkeit in der Schule. Группа авторов
Schröder-Sura (Hrsg.): Sprachen- und sprachfamilienübergreifendes Lernen – lebensweltliche und schulische Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr Verlag, 97-117.
Melo-Pfeifer, Sílvia / Reimann, Daniel (Hrsg.). 2018. Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland. State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven. Tübingen: Narr.
Mörkotter, Steffi / Schmidt, Katja / Schröder-Sura, Anna (Hrsg.) (2020). Sprachübergreifendes Lernen. Lebensweltliche und schulische Mehrsprachigkeit. Tübingen: Narr.
Rosa, Jonathan / Flores, Nelson. 2017. „Unsettling race and language: Toward a raciolinguistic perspective“, in: Language in Society, 46, 621-647.
Vetter, Eva (Hrsg.). 2013. Professionalisierung für sprachliche Vielfalt. Baltmannsweiler: Schneider Verlag.
Zur curricularen Verankerung sprachenübergreifender Kompetenzen
Ursula Behr
1 Einführung
Nachdem in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (Bista 2003, 7) für den Unterricht in einer ersten Fremdsprache dezidiert gefordert wird, Bezüge zwischen den von den Schülerinnen und Schülern erlernten Sprachen herzustellen und durch entsprechende Methoden und Einsichten Fähigkeiten zu lebenslangem, selbstständigem Sprachenlernen weiter zu entwickeln sind, führen die Standards für die Allgemeine Hochschulreife (2012, 12) Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz als verbindliche Kompetenzbereiche ein (Abb. 1).
Kompetenzbereiche Bildungsstandards, Allgemeine Hochschulreife
Mit den Kompetenzbeschreibungen der Bildungsstandards sind Erkenntnisse der psycho- und neurolinguistischen Forschung sowie mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte nunmehr bildungspolitisch legitimiert. Schröder (2012, 30) verweist darauf, dass in Zukunft der Unterricht in jeder der angebotenen Schulfremdsprachen über die jeweils zu lernende Sprache hinausreichen muss. Damit geht es im eigentlichen Sinn um die Entwicklung von Sprachenbewusstheit (cf. Behr 2015, 11).
Mit dieser Forderung ist ein veränderter unterrichtlicher Zugang zu Sprache als System und als Medium verbunden, der für jeglichen Sprachunterricht auf allen Niveaustufen von Bedeutung ist. D. h. die Schülerinnen und Schüler
erkennen, erklären und reflektieren die Funktionalität sprachlicher Formen und Strukturen,
erkennen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Besonderheiten sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel und ihrer Verwendung,
nutzen dieses Wissen für das Verstehen und Sich-Verständigen,
erklären an ausgewählten Beispielen das Zusammenwirken von Sprache und Kultur,
wenden Strategien zur Förderung der Kommunikation an und reflektieren sie.
Hieraus erwächst ein erhöhter Anspruch an kognitives, metakognitives, entdeckendes und schließlich sprachenübergreifendes Lernen. Es wird folglich „Formen sprachlichen Lernens geben müssen in einem Unterricht, der sprachlichen Phänomenen im Rahmen des schulisch Möglichen auf den Grund geht, sowohl in funktionaler wie auch in interkultureller Hinsicht […]. Anstelle von „Kochbuch-Regeln“ („wenn … dann“) werden Einsichten in Sprachfunktion und Sprachform geweckt, das Bewusstsein für deren Besonderheiten und Gemeinsamkeiten wird geschärft und die Sensibilität für die eigenen sprachlichen Lernpotenziale gefördert“ (Schröder 2012, 38).
Der notwendige Paradigmenwechsel, im Sinne eines integrativen Mehrsprachigkeitskonzeptes und der Ergänzung einzelsprachlicher Unterrichtsroutinen durch sprachenübergreifende Lehr- und Lernansätze, ist nicht erfahrungsgeleitet zu erreichen. Er setzt flankierende Maßnahmen grundsätzlicher und begleitender Art voraus. Eine grundsätzliche Voraussetzung für die Installierung integrativer Mehrsprachigkeit ist deren curriculare Verortung neben einer darauf ausgerichteten Lehrerausbildung.
Die curriculare Verortung sprachenübergreifenden Lernens bezieht sich auf dessen Verankerung in
den zentralen Steuerungsinstrumenten, d.h. in den Lehr- oder Bildungsplänen bzw. (Rahmen)Richtlinien für den Sprachenunterricht,
der schulinternen Lehr- und Lernplanung,
den Lehrwerken.
Von besonderer Bedeutung ist die zentrale Planungsebene, denn Lehrpläne sind ein maßgeblicher Transmissionsriemen für die Installierung des Konzepts einer integrativen Mehrsprachigkeitsdidaktik. Sie können (und müssen) den verbindlichen Rahmen setzen für
die Formulierung sprachenübergreifender (gemeinsamer) Ziele, im Sinne der vom Schüler zu erwerbenden Kompetenzen, Inhalte und mehrsprachigkeitsdidaktischer Prinzipien in allen Sprachenfächern (inkl. des muttersprachlichen Deutschunterrichts),
die Ausweisung von Sprachlernbewusstheit als einer zentralen sprachlernstrategischen Zielgröße in allen Sprachenfächern,
die curricular abgesicherte Nutzung von Synergien und die Vernetzung zwischen der Muttersprache oder Zweitsprache Deutsch und den vor- und nachgelernten Fremdsprachen sowie
den zwischensprachlichen Vergleich auch zu den ‚nicht-schulischen’ verwandten und nicht-verwandten Sprachen (inkl. der Herkunftssprachen von Lernern).
Bausch & Helbig-Reuter (2003, 199) fordern in diesem Zusammenhang einen „neuen Lehrplantypus“. Diesem Anspruch werden die Thüringer Lehrpläne (2011)1 gerecht. Sie formulieren – im Sinne eines curricular verankerten sprachenübergreifenden Lehr-Lernkonzeptes – sprachenübergreifende Kompetenzen als gemeinsame Zielstellungen für den muttersprachlichen Deutschunterricht und für den Fremdsprachenunterricht.
2 Sprachenübergreifende Kompetenzen im Verständnis der Thüringer Lehrpläne für den Sprachunterricht
Die Thüringer Lehrpläne für alle Fächer der allgemeinen bildenden Schulabschlüsse folgen einer gemeinsamen Konzeption (cf. dazu die Leitgedanken zu den Thüringer Lehrplänen 2011, 7) und weisen neben zu entwickelnden fachspezifischen Kompetenzen auch fächerübergreifende Zielstellungen aus, die einerseits für die Kompetenzentwicklung in allen Fächern, sog. Lernkompetenzen, und andererseits für Fächer eines Aufgabenfeldes, z. B. gesellschaftswissenschaftliche, naturwissenschaftliche Kompetenzen, relevant und umzusetzen sind. Aufgabenfeldspezifische Kompetenzen sollen gemeinsame Zielsetzungen des Unterrichts in (verwandten) Fächern eines Aufgabenfeldes herausstellen, Treffpunkte für Zusammenarbeit in der jeweiligen Fachkonferenz und Vernetzung von Lehr-/Lernprozessen schaffen, Synergien nutzen und letztlich für Schülerinnen und Schüler Lernunterstützung ermöglichen.
Die Thüringer Lehrpläne für den Unterricht in der Muttersprache Deutsch und in den Fremdsprachen (2011) setzen diesen konzeptionellen Ansatz konsequent um und weisen für die Fächer des sprachlichen Aufgabenfeldes sprachenübergreifende Kompetenzen als gemeinsame Zielsetzung jeglichen Sprachunterrichts aus.
Der Auftrag, aufgabenfeldspezifische Kompetenzen in den Lehrplänen für den Sprachunterricht zu verankern, erforderte ein gemeinsames Begriffsverständnis von sprachenübergreifender Kompetenzentwicklung und deren sinnvolle Abbildung im jeweiligen Fachlehrplan. Hierfür waren die enge Zusammenarbeit und Abstimmung der beteiligten Lehrplangruppen eine unerlässliche Voraussetzung. Wesentlich war ebenso die Verabredung von Prämissen, wie:
das Fachlehrplanprinzip steht nicht zur Disposition,
es darf keine Abstriche im Bereich sprachenspezifischer Kompetenzentwicklung geben,
die Zielstellungen müssen in der lt. Stundentafel für die jeweilige Sprache vorgesehenen Lernzeit zu erreichen sein,
die Beschreibung sprachenübergreifender Zielstellungen muss in der für alle Thüringer Lehrpläne festgelegten Form erfolgen und somit Sach-, Methoden, Selbst- und Sozialkompetenz abbilden,