Weg mit dem Schussreflex!. Jes Lysgaard

Weg mit dem Schussreflex! - Jes Lysgaard


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so zu akzeptieren und entspannte mich in Folge dessen. Das wiederum verbesserte mein Schießen und meine Ergebnisse wurden wieder konstant, aber für diesen Wettkampf war der Zug abgefahren.

      Währenddessen dachte ich über mein Gefühlsleben nach, ausgelöst durch den Kontrollverlust und die mentalen Umwege als Folge der verrissenen Schüsse, die immer und immer wieder vorkamen. Durch den Wettkampfdruck und die starke internationale Konkurrenz war das alles verstärkt worden. Mit diesen Schützen hätte ich mich auf Augenhöhe messen müssen.

       Europameisterschaft in Göteborg

      Ich war durch die Aufregung angespannt und konnte die Techniken, die ich trainiert hatte, nicht so anwenden wie geplant. Ich konnte auch meine eigene Erwartungshaltung nicht ausblenden, genauso wenig wie die Erwartungshaltung und das Urteil anderer.

      Die ganze Situation fühlte sich furchtbar an.

      Ich wurde nicht Letzter, das konnte ich verhindern. Die dänische Nationalmannschaft lieferte ein besseres Ergebnis ab als je zuvor, und ich konnte mich mit den anderen freuen, obwohl ich selbst so schlecht abgeschnitten hatte. Aber mir wurde klar, dass ich nun von Grund auf ganz neu anfangen muss.

      Lass uns zuerst klären, was der Schussreflex eigentlich ist und warum die meisten traditionellen Schütz*innen damit zu tun bekommen.

       SCHUSSREFLEX

      Wenn wir etwas Neues lernen, müssen wir uns dabei auf den Bewegungsablauf konzentrieren. Die Bewegungen sind nicht automatisiert und es haben sich auch noch keine Reflexe für die neue Bewegung gebildet. Wir führen die Bewegungen zunächst bewusst aus und später werden die Bewegungsmuster dann im Kleinhirn abgelegt. Wenn das passiert ist, kann eine Bewegung unbewusst ausgeführt werden.

      Durch diese Automatisierung brauchen wir für eine Bewegung dann weniger Muskelarbeit. Es werden auch geistige Kapazitäten frei und wir können diese nutzen, um die Bewegung weiter zu optimieren oder können uns auch gleichzeitig mit anderen Dingen beschäftigen.

      Wenn wir eine bewusste Bewegung initiieren wollen, geht der erste Impuls dafür vom präfrontalen Kortex im Gehirn aus. Von dort geht der Bewegungsimpuls zum prämotorischen Kortex, in dem die einzelnen Muskelgruppen untereinander koordiniert werden, und dann weiter zum motorischen Kortex. Vom motorischen Kortex verläuft das Nervensignal nun weiter zur Wirbelsäule und von dort zu den einzelnen Muskelgruppen.

       Automatisierte Bewegung

      Bei einer automatisierten Bewegung hingegen – bei deren Automatisierung sich ein Reflex gebildet hat –, wird die Bewegung durch den Schlüsselreiz ausgelöst. Das Bewegungssignal umgeht dabei den präfrontalen Kortex, in dem der bewusste Impuls für eine Bewegung eigentlich gestartet würde.

      Der Impuls zum Lösen des Pfeils entsteht, wenn das Schlüsselsignal/der Trigger den prä-/motorischen Kortex unter Umgehung des präfrontalen Kortexes aktiviert.

      Dieser leitet das Signal zum Lösen dann direkt zum Rückenmark und den Muskelgruppen.

      Diese Bewegungssignale umgehen also den präfrontalen Kortex. Wenn die Bewegung - hier das Lösen - aber noch nicht erfolgen soll, wollen wir den Bewegungsimpuls zum Lösen unterdrücken.

      Diese Unterdrückung wird als Impuls aus dem präfrontalen Kortex gesteuert, von dort also, wo die Bewegungen bewusst in Gang gesetzt werden.

      Die Unterdrückung gelangt ebenfalls zum prä-/motorischen Kortex. Dort laufen nun zwei gegensätzliche Bewegungsimpulse auf. Der Impuls “Sehne halten” und der gegenläufige Impuls „Sehne lösen“ führen zu einer völlig unkoordinierten Bewegung.

      Das ist es, was die meisten Schütz*innen erleben, wenn sie den Löseimpuls unterdrücken wollen. Dieser Schussreflex entsteht, wenn eine Bewegung aus zwei unterschiedlichen Hirnarealen mit zwei gegensätzlichen Bewegungsimpulsen gesteuert wird. Und diese daraus resultierende Bewegung fühlt sich nicht nur völlig unkontrolliert an - sie ist es auch.

      Das war das physiologische Modell zum Schussreflex. Es erklärt, warum es so schwer ist den Reflex zu überwinden und wieder zu einer bewusst gesteuerten Bewegung zu kommen.

       Warum entsteht der Reflex überhaupt?

      Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Ich denke, die Erklärung des amerikanischen Psychologen Daniel Stern vermittelt das beste Verständnis, wie es zu dem Reflex kommt. Daniel Stern hat intensiv im Bereich der Mutter-Kind Bindungen und Erwachsenenbindungen geforscht.

      Er hat sich aber auch mit der Verarbeitung von Reizen und Eindrücken im Hirn beschäftigt. Dabei fand er heraus, dass gleichartige Eindrücke denen wir oft ausgesetzt sind - wie Bilder oder Gerüche – in Gruppen gespeichert werden.

      Rufen wir uns diese Bilder oder Erlebnisse ins Gedächtnis, so erinnern wir uns nicht an ein einzelnes Erlebnis, sondern an eine Art Mittelwert aus den Erinnerungen der abgespeicherten Erlebnisgruppe. Das nennt Stern einen RIG (Repräsentativwert einer Internalisierten Generalisation). Durch die Vielzahl der gleichartigen Eindrücke können die Einzeleindrücke nicht mehr voneinander unterschieden werden.

      Gehen wir nun von dieser Theorie aus und berücksichtigen wir, dass unser Gehirn Bewegungen optimiert und automatisiert, wird klar, dass wir das Zielbild in einer einzelnen RIG abgespeichert haben.

      Die Erfüllung des Zielbildes aktiviert bei den meisten Schützen den Lösereflex, den Schussreflex. Das Zielbild ist nun aber als RIG gespeichert - als durchschnittliches Zielbild - und unser Gehirn wird den Impuls zum Lösen setzen, wenn das vorhandene, aktuelle Zielbild auch nur ungefähr dem durchschnittlich passenden Zielbild entspricht und unser Gehirn dies erkennt. Bedenke, das Gehirn will eine Bewegung stets optimieren2.

       Zielbild aus abgespeicherten Mittelwerten (RIG)

      Das Gehirn erkennt nun während der Schießbewegung immer früher, dass das Zielbild halbwegs erfüllt ist. Wir reden hier über eine Zeitspanne von einer halben Sekunde oder weniger, die zwischen der erkannten und der wirklichen Zielbilderfüllung liegt.

      Aber diese Zeitspanne genügt, dass wir die Sehne vorzeitig lösen. Und dann trifft unser Pfeil nicht dort, wo wir wollen.

      Dummerweise bleibt ein einmal erlernter Reflex zeitlebens im Gedächtnis. Es bildet sich ein sogenannter neuronaler Pfad aus. Durch den passenden Schlüsselreiz kann er immer wieder aktiviert werden. Auch dann, wenn wir andere Bewegungsmuster dazugewonnen haben, die von anderen Reizen gesteuert werden.

      Alte, hier negative, Schlüsselreize können durch eine Vielzahl von Faktoren belebt werden: Schlafmangel, Unterzuckerung, Adrenalin, etc. Wenn du dich neu konditionierst und alte Reize überschreiben willst, solltest du also ausgeruht, frisch und achtsam sein.

      2 Anm. des Übersetzers: Optimieren heißt hier auch: Weniger Kraft einsetzen müssen, die Bewegung zeitlich verkürzen können

       Muskuläres Gedächtnis

      Oben ist beschrieben, wie und warum unser Gehirn und Gedächtnis den Schussreflex entwickelt. Betrachten wir Bewegungsabläufe, so spielt aber auch unser kinästhetisches und unser muskuläres Gedächtnis eine Rolle. Das kinästhetische Gedächtnis speichert Gelenkstellungen und Bewegungen, das muskuläre Gedächtnis Spannungszustände in der Muskulatur. Man kann deshalb die Bogentechnik mit geschlossenen Augen trainieren, der optische Reiz ist dann ausgeschaltet.

      Es gibt andere Theorien


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