Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Sigmund Freud

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anstatt sie zu eröffnen, so sind wir infolge unserer Kenntnis der Verhältnisse, unter denen sich dies Versprechen vollzog, geneigt, diese Fehlhandlung sinnvoll zu finden. Er erwartet sich nichts Gutes von der Sitzung und wäre froh, sie sofort wieder abbrechen zu können. Das Aufzeigen dieses Sinnes, also die Deutung dieses Versprechens macht uns gar keine Schwierigkeiten. Oder wenn eine Dame anscheinend anerkennend eine andere fragt: Diesen reizenden neuen Hut haben Sie sich wohl selbst aufgepatzt? – so wird keine Wissenschaftlichkeit der Welt uns abhalten können, aus diesem Versprechen eine Äußerung herauszuhören: Dieser Hut ist eine Patzerei. Oder wenn eine als energisch bekannte Dame erzählt: Mein Mann hat den Doktor gefragt, welche Diät er einhalten soll. Der Doktor hat aber gesagt, er braucht keine Diät, er kann essen und trinken, was ich will, so ist dies Versprechen doch anderseits der unverkennbare Ausdruck eines konsequenten Programms.

      Meine Damen und Herren, wenn es sich herausstellen sollte, daß nicht nur einige wenige Fälle von Versprechen und von Fehlleistungen überhaupt einen Sinn haben, sondern eine größere Anzahl von ihnen, so wird unvermeidlich dieser Sinn der Fehlleistungen, von dem bisher noch nicht die Rede war, für uns das Interessanteste werden und alle anderen Gesichtspunkte mit Recht in den Hintergrund drängen. Wir können dann alle physiologischen oder psycho-physiologischen Momente beiseite lassen und dürfen uns rein psychologischen Untersuchungen über den Sinn, d. i. die Bedeutung, die Absicht der Fehlleistung hingeben. Wir werden es also nicht verabsäumen, demnächst ein größeres Beobachtungsmaterial auf diese Erwartung zu prüfen.

      Ehe wir aber diesen Vorsatz ausführen, möchte ich Sie einladen, mit mir eine andere Spur zu verfolgen. Es ist wiederholt vorgekommen, daß ein Dichter sich des Versprechens oder einer anderen Fehlleistung als Mittels der dichterischen Darstellung bedient hat. Diese Tatsache muß uns für sich allein beweisen, daß er die Fehlleistung, das Versprechen z. B., für etwas Sinnvolles hält, denn er produziert es ja absichtlich. Es geht doch nicht so vor, daß der Dichter sich zufällig verschreibt und dann sein Verschreiben bei seiner Figur als ein Versprechen bestehen läßt. Er will uns durch das Versprechen etwas zum Verständnis bringen, und wir können ja nachsehen, was das sein mag, ob er uns etwa andeuten will, daß die betreffende Person zerstreut und ermüdet ist oder eine Migräne zu erwarten hat. Natürlich wollen wir es nicht überschätzen, wenn das Versprechen vom Dichter als sinnvoll gebraucht wird. Es könnte doch in Wirklichkeit sinnlos sein, eine psychische Zufälligkeit oder nur in ganz seltenen Fällen sinnreich, und der Dichter behielte das Recht, es durch die Ausstattung mit Sinn zu vergeistigen, um es für seine Zwecke zu gebrauchen. Zu verwundern wäre es aber auch nicht, wenn wir über das Versprechen vom Dichter mehr zu erfahren hätten als vom Philologen und vom Psychiater.

      Ein solches Beispiel von Versprechen findet sich in Wallenstein (Piccolomini, erster Aufzug, fünfter Auftritt). Max Piccolomini hat in der vorhergehenden Szene aufs leidenschaftlichste für den Herzog Partei genommen und dabei von den Segnungen des Friedens geschwärmt, die sich ihm auf seiner Reise enthüllt, während er die Tochter Wallensteins ins Lager begleitete. Er läßt seinen Vater und den Abgesandten des Hofes, Questenberg, in voller Bestürzung zurück. Und nun geht der fünfte Auftritt weiter:

Questenberg O weh uns! Steht es so?Freund, und wir lassen ihn in diesem WahnDahingehn, rufen ihn nicht gleichZurück, daß wir die Augen auf der StelleIhm öffnen?
Octavio (aus einem tiefen Nachdenken zu sich kommend)Mir hat er sie jetzt geöffnet,Und mehr erblick ich, als mich freut.
Questenberg Was ist es, Freund?
Octavio Fluch über diese Reise!
Questenberg Wieso? Was ist es?
Octavio Kommen Sie – Ich mußSogleich die unglückselige Spur verfolgen,Mit meinen Augen sehen – kommen Sie (will ihn fortführen)
Questenberg Was denn? Wohin?
Octavio (pressiert) Zu ihr!
Questenberg Zu –
Octavio (korrigiert sich) Zum Herzog! Gehen wirusw.

      Octavio wollte sagen »zu ihm«, zum Herzog, verspricht sich aber und verrät durch seine Worte »zu ihr« uns wenigstens, daß er den Einfluß, welcher den jungen Kriegshelden für den Frieden schwärmen macht, sehr wohl erkannt hat.

      Ein noch eindrucksvolleres Beispiel hat O. Rank bei Shakespeare entdeckt. Es findet sich im Kaufmann von Venedig in der berühmten Szene der Wahl des glücklichen Liebhabers zwischen den drei Kästchen, und ich kann vielleicht nichts Besseres tun, als Ihnen die kurze Darstellung von Rank hier vorlesen.

      »Ein dichterisch überaus fein motiviertes und technisch glänzend verwertetes Versprechen, welches wie das von Freud im Wallenstein aufgezeigte verrät, daß die Dichter Mechanismus und Sinn dieser Fehlleistung wohl kennen und deren Verständnis auch beim Zuhörer voraussetzen, findet sich in Shakespeares Kaufmann von Venedig (dritter Aufzug, zweite Szene). Die durch den Willen ihres Vaters an die Wahl eines Gatten durch das Los gefesselte Porzia ist bisher allen ihren unliebsamen Freiern durch das Glück des Zufalls entronnen. Da sie endlich in Bassanio den Bewerber gefunden hat, dem sie wirklich zugetan ist, muß sie fürchten, daß auch er das falsche Los ziehen werde. Sie möchte ihm nun am liebsten sagen, daß er auch in diesem Falle ihrer Liebe sicher sein könne, ist aber durch ihr Gelübde daran gehindert. In diesem inneren Zwiespalte läßt sie der Dichter zu dem willkommenen Freier sagen:

      Ich bitt Euch, wartet; ein, zwei Tage noch,

      Bevor Ihr wagt: denn wählt ihr falsch, so büße

      Ich Euern Umgang ein; darum verzieht.

      Ein Etwas sagt mir (doch es ist nicht Liebe), Ich möcht Euch nicht verlieren; – – – – – – Ich könnt Euch leiten Zur rechten Wahl, dann bräch ich meinen Eid; Das will ich nicht; so könnt Ihr mich verfehlen. Doch wenn Ihr‘s tut, macht Ihr mich sündlich wünschen, Ich hätt‘ ihn nur gebrochen. O, der Augen, Die mich so übersehn und mich geteilt! Halb bin ich Euer, die andre Hälfte Euer – Mein wollt ich sagen; doch wenn mein, dann Euer, Und so ganz Euer.[1]

      Gerade das, was sie ihm also bloß leise andeuten möchte, weil sie es eigentlich ihm überhaupt verschweigen sollte, daß sie nämlich schon vor der Wahl ganz die Seine sei und ihn liebe, das läßt der Dichter mit bewundernswertem psychologischen Feingefühl in dem Versprechen sich offen durchdrängen und weiß durch diesen Kunstgriff die unerträgliche Ungewißheit des Liebenden sowie die gleichgestimmte Spannung des Zuhörers über den Ausgang der Wahl zu beruhigen.«

      Wollen Sie noch bemerken, wie fein Porzia zwischen den beiden Aussagen, die in dem Versprechen enthalten sind, am Ende vermittelt, wie sie den zwischen ihnen bestehenden Widerspruch aufhebt und schließlich doch dem Versprechen recht gibt:

      Doch, wenn mein, dann Euer,

      Und so ganz Euer.

      Gelegentlich hat auch ein der Medizin fernestehender Denker den Sinn einer Fehlleistung mit einer Bemerkung aufgedeckt und uns die Bemühung um deren Aufklärung vorweggenommen. Sie kennen alle den geistreichen Satiriker Lichtenberg (1742–1799), von dem Goethe gesagt hat: Wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen. Nun


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